: Der Resignierende Bürgermeister
Hat Rot-Rot der Mut verlassen? Hundert Tage nach dem Start des neuen Senats bleibt unklar, was die geschwächte Koalition bis 2011 durchsetzen will: Klaus Wowereit wirkt amtsmüde, der Schuldenabbau ist vertagt. Für große Reformen fehlen der Regierung bislang die Pläne und das Selbstvertrauen
von MATTHIAS LOHRE
Es war nur eine Episode, aber sie sagt viel aus über die Stimmung Klaus Wowereits und des Senats. Da hatte der Regierende Bürgermeister fest zugesagt, den Empfang des Medienboards Berlin-Brandenburg auf der Berlinale zu besuchen. Ein Pflichttermin für jenen Mann, der sich wenige Monate zuvor selbst zum Kultursenator gekürt hatte. Und eine erstklassige Gelegenheit, jene Beobachter Lügen zu strafen, die Wowereit neuerdings Amtsmüdigkeit und Überforderung durch zwei Vollzeitjobs vorwerfen. Berlins Oberrepräsentant aber ließ den Pflichttermin aus – und ging zur Premiere des Films „Der gute Hirte“. Die fand zeitgleich statt, und immerhin war Regisseur Robert De Niro dabei.
Der Patzer Mitte Februar fiel kaum noch auf. Zu viele kleine und größere Fehler haben sich der Regierungschef und seine Senatoren seit ihrer Amtseinführung am 23. November geleistet. Eine erste Bilanz nach hundert Tagen „Rot-Rot II“ fällt durchwachsen aus. Der Start ist gründlich misslungen.
Am Anfang der Pannenserie stand die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Mitten in die Koalitionsverhandlungen von SPD und Linkspartei platzte Mitte Oktober die Nachricht, dass die Karlsruher Richter Berlin die erhofften Entschuldungshilfen in Milliardenhöhe versagen. Nun muss der Stadtstaat mit seinen gewaltigen Strukturproblemen selbst zurande kommen: 62 Milliarden Euro Schulden, nur eine Handvoll Industrieunternehmen und eine Arbeitslosenquote von 16,5 Prozent.
Seither scheint Wowereit nicht mehr herauszufinden aus seiner trotzigen, grobschlächtigen Reaktion auf das Nein aus Karlsruhe. Der Regierende Bürgermeister preschte mit mehreren unabgestimmten Forderungen in Richtung Bund und Länder vor: Mal wollte er gegen feste Abmachungen vom Bund mehr Geld für die Sanierung der Staatsoper. Kurz darauf piesackte er mit öffentlichen Äußerungen den Chef der Opernstiftung, Michael Schindhelm, bis der zermürbt seinen Job hinwarf. Einen solchen Chef wünscht sich kein Arbeitnehmer.
Seit Jahresbeginn scheint es, als sei Wowereit sein größtes Talent – das Gespür für aufkommende Stimmungen – vollständig abhanden gekommen. Als die Oppositionsparteien immer vehementer die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Wolf Biermann forderten, schätzten Wowereit und sein Vertrauter, SPD-Partei- und Fraktionschef Michael Müller, die Lage völlig falsch ein. Einem klaren Nein des Fraktionsvorstands folgte wenige Wochen darauf ein überraschendes Ja der Parlamentarier. Da war der Imageschaden bereits angerichtet: Ausgerechnet die beiden Parteien, die mit dem Tabu einer rot-dunkelroten Koalition aufräumten, fochten noch einmal die ideologischen Kämpfe der alten „Frontstadt“ aus. Plötzlich wirkte selbst die biedere CDU, als sei sie liberaler als der Senat.
Doch es wäre zu kurz gegriffen, die Senatsbilanz allein anhand eines dauerschmollenden Regierungschefs und verfehlter Symbolpolitik zu ziehen. Zwar verfügt Wowereit seit einer Gesetzesänderung im vergangenen Jahr offiziell über die „Richtlinienkompetenz“. Im Regierungsalltag fällt die jedoch wenig ins Gewicht. Umso wichtiger ist der Blick auf die Senatoren.
Fast schon sehnsüchtig warten Lehrer, Eltern und Gewerkschaftsvertreter auf die großen Werke des neuen „Supersenators“ für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Jürgen Zöllner (SPD). Seit Wowereit den Elder Statesman der Bildungspolitik aus Mainz an die Spree gelockt hat, erwarten Beobachter vom Senator fast Übermenschliches: Er soll die verabredete Einführung der Gemeinschaftsschule durchdrücken und verschreckte Eltern zugleich besänftigen. Die drei Unis soll er trotz Einsparungen zur bundesweiten Spitze führen. Noch ist kaum abzusehen, wie Zöllner diesen doppelten gordischen Knoten durchschlagen will (siehe Bericht unten).
Währenddessen sinkt der Stern eines anderen Ressortchefs: Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD). Der Mann fürs Grobe müht sich zwar weiter nach Kräften, Rot-Rot die Unumgänglichkeit weiteren Sparens einzubläuen. Aber im Koalitionsvertrag fehlt das Bekenntnis zum Abbau des stetig wachsenden Schuldenbergs. Die sprudelnden Steuereinnahmen steigern nicht gerade die Bereitschaft der Regierenden, ihren Wählern weitere Sozialkürzungen zuzumuten.
Das bekommt auch Wirtschaftssenator Harald Wolf zu spüren. Zwar konnte der Linksparteiler die Einführung seines Lieblingsprojekts durchsetzen: 2.500 sozialversicherungspflichtige Jobs, finanziert aus Transfergeldern und öffentlichen Zuschüssen. Das besänftigt die gereizte Parteibasis, die seit der Wahlschlappe deutliche Erfolge ihrer Führung verlangt. Doch an anderen Fronten bleibt Wolf in der Defensive: Das Pharmaunternehmen Bayer Schering will fast 1.000 Stellen in Berlin abbauen, und gegen den geplanten Verkauf der Gewerbesiedlungsgesellschaft (GSG) wehrt sich der Koalitionspartner.
Viele kleine Scharmützel beherrschen das Bild des Senats nach hundert Tagen. Der von Gegnern und Anhängern Wowereits arg strapazierte Spruch „Arm, aber sexy“ war ein Versprechen. Die Zukunft Berlins berge große Chancen, sollte es heißen. Nach der Karlsruher Gerichtsschlappe ist von dieser Vorfreude wenig geblieben.
So bald wird dieses Gefühl nicht zurückkehren. Der Senat verfügt nur über eine hauchdünne Zweistimmenmehrheit im Abgeordnetenhaus, und die selbstbewusst auftretenden Oppositionsparteien CDU, Grüne und FDP zeigen keine Neigung, bei Bedarf auszuhelfen. Unangenehme Umbauten sind auch aus diesem Grund kaum zu erwarten. Darauf deuten auch die jüngsten Äußerungen Wowereits.
Was er denn angesichts der unerwarteten Extraeinnahmen Berlins mit dem Geld tun wolle, wurde Wowereit in dieser Woche gefragt. Der Regierende antwortete, er setze „drei Schwerpunkte“: die Sanierung der Schwimmbäder und Kitas sowie die Reparatur von Straßen. Hoffentlich richtet sich der Senat nicht in seinem Kleinmut ein. Die Stadt kann sich Lethargie nicht mehr leisten.
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