piwik no script img

Linke müssen nicht für Neonazis posieren

Amtsgericht: Wenn Rechte bei einem Aufmarsch Demonstranten fotografieren, dürfen sich diese kurz vermummen

Es ist nicht strafbar, sich bei einer Demonstration zu vermummen – wenn dies dazu dient, die eigene Identität vor Neonazis zu schützen. Das hat das Amtsgericht Tiergarten gestern entschieden. Durch ein solches Verhalten sieht das Gericht das Vermummungsverbot nicht verletzt. Es verbiete nur, das Gesicht vor der Polizei zu verbergen, so der Richter.

Das Urteil bezieht sich auf den Fall der Studentin Anna Steger*: Am 1. Mai 2004 demonstrierte sie gegen einen NPD-Aufmarsch in Lichtenberg. An einer Tankstelle an der Frankfurter Allee wurde sie mit etwa 150 Gegendemonstranten von der Polizei eingekesselt. Als der Zug der 2.500 Rechtsextremen nach fünfstündiger Verzögerung vorbeikam, war die Menge auf tausende Protestler angewachsen. Einige Neonazis zückten Kameras und fotografierten die Menge am Straßenrand – eine übliche Einschüchterungstaktik.

Steger hatte Angst, dass Bilder von ihr im Internet auftauchen könnten. „Ich habe von vielen Fällen gehört, bei denen Linke später verprügelt wurden.“ Also zog sie ihre Kapuze auf und band sich ihren Schal um. Als die Rechten weg waren, legte sie beides wieder ab. Sie wiederholte dies für wenige Minuten, als die NPDler auf dem Rückweg wieder vorbeizogen. Die Polizei nahm sie dann wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot fest.

Im April 2005 wurde Steger vor dem Amtsgericht freigesprochen. Dem Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft gab das Kammergericht wegen mangelhafter Urteilsbegründung statt. Gestern war der Hergang erneut unstrittig, entscheidend war die Frage, ob die Vermummung einen Verstoß gegen den Paragrafen 17a des Versammlungsgesetzes darstellt. Es sei strafbar, seine Identifikation zu verhindern, heißt es darin.

Der Staatsanwalt vertrat die Auffassung, das Vermummungsverbot solle auch die Erhöhung der Gewaltbereitschaft durch Anonymität verhindern. Stegers Anwalt, Stephan Schrage, führte an, die Identität seiner Mandantin sei der Polizei bekannt gewesen, da sie sich nur für wenige Minuten vermummt habe. „Ansonsten war sie aber stundenlang erkennbar“, so Schrage. Zwar sei denkbar, dass das Verbot die Gewaltbereitschaft einschränken solle, dies sei aber nicht direkt dem Wortlaut des Gesetzes zu entnehmen. Anwalt Schrage rechnet damit, dass die Anklage erneut Revision einlegt. Im Zweifel will er bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. INGA HELFRICH

*Name geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen