: Zwei Jahre lieb sein
Wiglaf Droste wird im Waschbrettkopfprozess zu einer Bewährungsstrafe verurteilt
BERLIN taz Bewusst hatte die Berliner Justiz den Termin für den gestern in zweiter Instanz verhandelten Waschbrettkopfprozess gegen Wiglaf Droste auf den sehr frühen Montagmorgen gelegt. Auch die Wahl des winzig kleinen Gerichtssaals sollte eine allzu große Öffentlichkeit davon abhalten, die Verhandlung zu beobachten. Einige Medienvertreter wurden gleich an der Tür abgewiesen. Nur wer sitzen könne, dürfe dem Prozess folgen, bekundete die Justizhilfskraft den Zuschauern. Als dann noch der Vorsitzende Richter Abel mit seinem ersten und einzigen Anflug von Ironie an diesem Morgen meinte, er habe ja nicht wissen können, dass Droste „die gesamte Leserschaft der taz mitbringen“ würde, waren sich die Prozessbeobachter einig: Das Urteil steht bereits von vornherein fest. Doch zumindest in diesem Vorurteil sahen sich die meisten zuletzt getäuscht. Denn im Gegensatz zur Vorinstanz verurteilte das Landgericht Berlin Wiglaf Droste lediglich zu einer Geldstrafe auf Bewährung. „Zwei Jahre lieb sein“, müsse er jetzt, kommentierte Droste anschließend das Urteil.
Vorausgegangen war ein durchaus zähes Ringen um Beweisanträge und Strafanträge. Das erste Wort hatte Droste, der Berufung eingelegt hatte gegen das am 20. 9. 2000 gegen ihn ergangene Urteil, 30 Tagessätze à 70 Mark wegen Beleidigung eines Feldjägers zahlen zu müssen. Ausgangspunkt der Klage war ein Kommentar in der taz vom 22. 7. 1999, in dem Droste Feldjäger, die Demonstranten bei einem Bundeswehrgelöbnis zwei Tage zuvor niederprügelt hatten, „Waschbrettköpfe“ und „Kettenhunde“ genannt hatte. Das Amtsgericht Berlin wertete in seinem Urteil besonders eine Passage des Kommentars als ehrverletzend: „Man fragt sich, was passiert sein muss, dass einer, der doch wahrscheinlich als Mensch geboren wurde, so etwas werden kann: ein Kettenhund.“ Feldjägern würde insbesondere durch den Relativsatz das Menschsein abgesprochen. „Wie ich das einschätze“, erklärte Droste auf Frage des Richters, beinhalte dies „keine beleidigende Absicht“, sei aber durchaus „im Furor geschrieben“, um das inhumane Handeln der Feldjäger zu bewerten. Es sei eben „die Aufgabe der Kritik, auf Verfehlungen hinzuweisen“, und diesen Kommentar könne man nicht losgelöst von den Ereignissen sehen.
Das folgende ausführliche Plädoyer des Droste-Verteidigers von Olenhusen ging vor allem auf die semantische und etymologische Analyse der inkriminierten Begriffe ein. Von Olenhusen zitierte die bereits für die vorige Instanz erstellten Gutachten von sachverständigen Autoren und Zeichnern, die gerade dem Neologismus „Waschbrettkopf“ jede beleidigende Wirkung absprachen und den Begriff „Kettenhund“ als Soldatenjargon auswiesen. Je länger das wortreiche Plädoyer dauerte, desto mehr Furchen gruben sich tief in die Stirn des Richters ein. Offenbar hatte er zunächst angenommen, eine „gemähte Wiese“ vorzufinden und die Verhandlung so schnell wie möglich über die Bühne bringen zu können. Spätestens als der Richter eine formvollendete Waschbrettstirn entwickelt hatte, war allen Beteiligten klar, dass es ihm mit dem Prozess und dem vorweggenommenen Urteil so leicht denn doch nicht werden würde.
Wenigstens machte es die blasse Staatsanwältin kurz und blieb in ihrem Strafantrag im Wesentlichen bei der Bewertung des Amtsgerichts. Sie nannte das bisherige Urteil der „Tat angemessen“. Gerade dem seit Jahren als Journalist und Schriftsteller arbeitenden Angeklagten sei hier kein Fehler unterlaufen. Er könne schließlich mit Worten umgehen und habe bewusst gehandelt. Sie könne also zu keiner anderen Bewertung kommen: Droste habe sich der Beleidigung schuldig gemacht, die Berufung sei zu verwerfen.
Droste wies in seinem Schlusswort darauf hin, dass er die Verhältnismäßigkeit des Falls als absurd empfinde – zwischen dem zugegebenermaßen „harschen Kommentar“ und der an nackten Frauen ausgeübten brutalen Gewalt der Feldjäger, die jetzt „so sensibel“ seien, sich von seinen Worten verletzt zu fühlen: „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil.“
Das anschließende Urteil und insbesondere seine Begründung überraschten die Zuhörer denn doch ein wenig: Die Geldstrafe wurde für einen Zeitraum von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Das Gericht sah in dem Begriff „Waschbrettkopf“ keine Beleidigung. Auch das Wort „Kettenhund“ sei zwar abwertend, aber gängiger Soldatenjargon. Lediglich die Passage über die Humanität von Feldjägern wurde als konkrete Beleidung gewertet. Dass es das Gericht bei einer Verwarnung beließ, begründete der Richter erstens mit der „positiven Prognose“ für Droste, zweitens mit der schon erstaunlichen Einsicht, dass der Kommentar tatsächlich vor dem Hintergrund der Veranstaltung, ihres Zeitpunkts und des gewählten Orts beurteilt werden müsse, die man durchaus als Provokation ansehen könne; und drittens, dass die Beleidigung an der unteren Grenze des Strafbaren liege. Damit könne die Gesellschaft leben, schloss Richter Abel die Urteilsbegründung.
Das insgesamt positivere Urteil wird allerdings dadurch getrübt, dass Droste sämtliche Gerichts- und Anwaltskosten tragen muss. Bemerkenswert jedoch ist, dass solche Verwarnungen mit einer Geldstrafe auf Bewährung gewöhnlich meist bei Jugendlichen ausgesprochen werden. Für einen 39-Jährigen immerhin ein schöner Bonus.
Droste kommentierte das Urteil mit Blick auf seine zukünftigen Texte, jetzt werde er nur noch Hauptsätze schreiben: „Soldaten sind keine Relativsätze.“ Außerdem verlangte er nach einer „Bewährungshelferin, die mich vor mir selbst schützt“. Ob dies hilft, kann übrigens schon heute bei seiner Lesung in der Berliner Volksbühne überprüft werden. Ab 21 Uhr will Droste dort gemeinsam mit der Berliner Band Herr Nilsson unter dem Motto „My message is love“ antreten. MICHAEL RINGEL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen