Fünf Themen spalten Rot und Grün: SPD: Steuer auf Vermögen
Einer der Standardsprüche in den Korridoren der Abgeordnetengebäude an der Berliner Dorotheenstraße lautet dieser Tage so: „Aus einem platten Reifen kann man keine Luft herauslassen.“ Die Finanzlage des Bundes, die SPD und Grüne heute zum Auftakt der Koalitionsverhandlungen diskutieren, sei so angespannt, dass das Haushaltsloch nicht mit Einsparungen alleine zu schließen ist.
SPD-Finanzminister Hans Eichel ließ zwar dementieren, dass er für das laufende Jahr einen Nachtragshaushalt mit einer zusätzlichen Neuverschuldung in Höhe von 13 Milliarden Euro plane, Fakt ist aber: Ohne neue Schulden wird es nicht gehen. Durch die schlechte Konjunktur, Steuerausfälle und sinkende Einnahmen der Sozialversicherung klettert das Defizit der öffentlichen Budgets auf bis zu 3,5 Prozent – die fehlenden rund 20 Milliarden Euro lassen sich nicht mit Haushaltskürzungen beschaffen.
Weg Nummer drei neben Kürzungen und Schulden: mehr Einnahmen durch höhere Steuern. SPD-Ministerpräsidenten wie Kurt Beck und Sigmar Gabriel haben sich für die Wiedereinführung der Vermögensteuer und eine höhere Erbschaftssteuer ausgesprochen. Während Gewerkschaftschef Michael Sommer (DGB) die Idee begrüßte und Industrie-Vertreter Michael Rogowski (BdI) sie ablehnte, gab es auch aus der SPD selbst Kritik. Der thüringische SPD-Chef Christoph Matschie meint, höhere Steuern seien schlecht für die Wirtschaft. KOCH
Grüne: Firmen sollen zahlen
Auch bei den Grünen kursieren Überlegungen für die Anhebung bestimmter Steuern – allerdings mit anderen Akzenten als bei der SPD. Die Wiedereinführung der Vermögensteuer und eine höhere Erbschaftssteuer hält die grüne Finanzexpertin Christine Scheel für unrealistisch. Beides sei gegen die Mehrheit der Union im Bundesrat kaum durchzusetzen. Erschwerend komme hinzu, dass das Bundesverfassungsgericht demnächst noch über die Erbschaftssteuer zu befinden habe. Scheel rät dehalb, sich nicht an den falschen Stellen zu „verkämpfen“.
Ein Phänomen, das schwer auf der grünen Seele lastet, ist die Unternehmenssteuer. Hier will der kleinere Koalitionspartner dafür sorgen, dass sich gerade Konzerne der Steuerzahlung nicht völlig entziehen. „Mindeststeuer“ lautet das Stichwort, wobei die Höhe der Körperschaftssteuer, die eine profitable Firma in jedem Fall abführen soll, noch nicht ansatzweise geklärt ist. In jedem Fall aber wollen die Grünen die Möglichkeit beschneiden, Gewinne durch die Verluste von Tochterfirmen auf null zu rechnen. Auch an einem anderen Punkt sind die Grünen ins Grübeln geraten. Nachdem die rot-grüne Bundesregierung selbst die Steuer für den Verkauf von Firmenbeteiligungen durch Kapitalgesellschaften auf null gesenkt hatte, ist jetzt die Reform dieser Reform im Gespräch. Eine neue Steuer auf die so genannten „Veräußerungsgewinne“ könnte speziell den Kommunen zugute kommen, heißt es in der grünen Bundestagsfraktion. Der Charme dieser Lösung: Würde die Verkaufssteuer künftig im Rahmen der kommunalen Gewerbesteuer geregelt, könnten die Unternehmen aufgrund der speziellen Konstruktion keine Verluste gegenrechnen.
Weiterhin plädieren die Grünen gegen eine höhere Mehrwertsteuer, da sie Konsum und Wachstum behindere. Die Ökopartei fordert eine Initiative, um die von Globalisierungskritikern gewünschte Tobinsteuer auf Devisentransaktionen im europäischen Rahmen voranzubringen. Letzteres lehnt Bundesfinanzminister Hans Eichel ab. KOCH
SPD: Ökosteuer – nicht mit uns
Kaum hatten die Grünen das Reizthema „Ökosteuer“ angesprochen, kam aus den Reihen der SPD deutlicher Widerstand. Nein, eine weitere Erhöhung über die jetzt geplante letzte Stufe zum 1. Januar 2003 hinaus werde es mit den Sozialdemokraten nicht geben. Eine Klarstellung von ziemlich weit oben: Wirtschaftsminister Werner Müller ist dagegen, SPD-Fraktionschef Franz Müntefering ebenso. Einzelne Befürworter der höheren Ökosteuer in der SPD wollen lieber nicht mit Namen in der Öffentlichkeit auftauchen. Einem Kompromiss wäre die SPD-Verhandlungskommission freilich nicht völlig abgeneigt. Der könnte so aussehen: Man streicht einige der vielen Ausnahmen. Das verarbeitende Gewerbe etwa zahlt nur ein Fünftel der Steuer, auch die Betreiber von Gewächshäusern und Fischzüchter. Wenn man alleine die energieintensiven Branchen voll heranziehen würde, nähmen die öffentlichen Haushalte rund 4,6 Milliarden Euro mehr ein. KOCH
Grüne: Ökosteuer ohne Alternative
Reinhard Loske, umweltpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, tat das Richtige, um einen Aufmacher in Bild zu landen: Er forderte eine weitere Erhöhung der Ökosteuer zum 1. Januar 2004. Die Einnahmen, so Loske, sollten allerdings nicht mehr in die Stabilisierung des Rentenbeitrags fließen, sondern in die Absenkung der Kfz-Steuer für schadstoffarme Autos oder niedrigere Einkommensteuersätze. Andere Grüne hängten das Thema etwas tiefer – ohne den Hinweis zu vergessen, dass die SPD schon selbst dahinterkommen werde. Die Lage sei nämlich die: Durch höhere Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsflaute steigt das Defizit in der Sozialversicherung. Beschäftigten und Unternehmen drohen höhere Sozialbeiträge. Das probate Gegenmittel wären steigende Einnahmen aus der Ökosteuer. Die Grünen sind da ganz entspannt.
KOCH
SPD: Mehr Sicherheit
Die großen Projekte Staatsbürgerschaftsrecht und Zuwanderungsgesetz erklärte die SPD schon in ihrem Wahlprogramm für abgeschlossen. Auch nach dem Sieg hat in der SPD niemand Lust, diese giftigen Fässer noch mal aufzumachen. Damit könne man sich nur „eine blutige Nase holen“, sagte der für Innenpolitik zuständige SPD-Fraktionsvize Ludwig Stiegler der taz. Streit mit dem kleinen Koalitionspartner erwartet Stiegler bei der geplanten „Datenschutznovelle“ und der „Evaluierung der Sicherheitsgesetze“. Da werde es „sicher die eine oder andere Turbulenz“ geben. Zur Bekämpfung des Terrorismus will die SPD auch eine neue Kronzeugenregelung durchsetzen, die bisher am Widerstand der Grünen gescheitert war. „Da werden wir sicher lange verhandeln“, glaubt Stiegler. LKW
Grüne: Gegenpol zu Otto Schily
Im ersten Siegesrausch gleich nach der Wahl entdeckte Grünen-Chefin Claudia Roth auch den „Doppelpass“ wieder und forderte, Einwanderer der ersten Generation sollten leichteren Zugang zur doppelten Staatsbürgerschaft erhalten. Und aus dem Umfeld der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck wurde gestreut, es gebe in der Migrationspolitik „noch viel zu tun“. Doch der Teufel steckt diesmal im Detail. Die großen Projekte Zuwanderungsgesetz und Staatsbürgerschaftsreform wurden schon vor der Wahl in Gang gebracht. Um in den nächsten vier Jahren bei diesen Fragen – und noch wichtiger: bei kommenden Sicherheitspaketen – ein Wörtchen mitreden zu können, brauchen die Grünen einen ernst zu nehmenden Gegenpol zu Innenminister Otto Schily. Deshalb werden sie sich in den Koalitionsverhandlungen wahrscheinlich weniger auf Inhalte konzentrieren – und mehr auf Personalia. Eine grüne Justizministerin wäre langfristig mehr wert als ein noch so hübsch klingende Formulierung im Koalitionsvertrag. LKW
SPD: Ausbau von Autobahnen
Die SPD wird verkehrspolitisch so weitermachen wie bisher. Sie will am Antistauprogramm festhalten, das den Ausbau von Autobahnen und Bundesstraßen vorsieht. Sie wird sich weigern, die von Schröders unruhiger Hand eingeführte Entfernungspauschale zu reduzieren, obwohl diese Subvention das Bauen im Umland fördert und zusätzlichen Verkehr erzeugt.
Die SPD wird dafür sorgen, dass die Debatte um eine komplette Herauslösung des Schienennetzes aus der Deutschen Bahn nicht wieder aufgewärmt wird. Denn der Kanzler hält zu Bahnchef Mehdorn, und sowohl Verkehrsminister Bodewig als auch die Grünen haben da wenig zu sagen. Streit auch innerhalb der SPD könnte es dagegen um den Metrorapid geben: Die einflussreiche SPD in Nordrhein-Westfalen hält an der Magnetbahnstrecke fest. Die Grünen halten den Plan für unrentablen Schwachsinn – und einige Bundes-SPDler auch. KK
Grüne: Billiger Bahnfahren
Eine der Forderungen, die die Grünen, durch ihren Wahlsieg gestärkt, an die SPD stellen: Die Verkehrspolitik soll grüner werden. Den Ministerposten werden die Grünen zwar nicht bekommen. Doch wenigstens wollen sie einige Bereiche vom Verkehr- ins Umweltministerium holen. Dazu gehört die Zuständigkeit für die Förderung alternativer Treibstoffe. Hier verlangen die Grünen eine feste Quote, ähnlich wie beim Einspeisegesetz für den Energiebereich.
Die Bahn soll nach dem Willen der Grünen künftig nur noch sieben statt sechzehn Prozent Mehrwertsteuer bezahlen. Zur Gegenfinanzierung könnte man höhere Einnahmen aus der Ökosteuer heranziehen. Die reduzierten Steuersätze, die für bestimmte Branchen gelten, müssen auf Drängen Brüssels ohnehin angehoben werden. Die Sozialdemokraten lehnen eine Steuerermäßigung für die Bahn bisher ab – wegen des Haushaltslochs. KK
SPD: Raucher sollen zahlen
Eine einzige klare Ankündigung hat Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) den ganzen Wahlkampf hindurch wiederholt: Um den Solidarkassen mehr junge Gutverdiener zu erhalten, werde die Versicherungspflichtgrenze angehoben. Ab dieser Grenze von derzeit 3.375 Euro Brutto-Monatseinkommen dürfen sich abhängig Beschäftigte privat versichern. Ausgerechnet dieser Maßnahme jedoch soll nun das Kanzleramt bereits eine Absage erteilt haben – man vergrätze eine wertvolle Klientel und außerdem natürlich die Privatversicherer. Andererseits ist es die Ministerin schon gewöhnt, dass ihr das Kanzleramt die Rechnung durchkreuzt. In diesem Sinne dürfte auch Schmidts Vorschlag zu verstehen sein, die Tabaksteuer um fünf Cent pro Kippe zu erhöhen: Man kann’s ja mal versuchen, zurückgepfiffen werd’ ich eh noch. UWI
Grüne: Kranke kein Thema
Wie gut, dass die Grünen gar keine GesundheitspolitkerInnen mehr vorzeigen können – so können sie den Ärger über steigende Beiträge den Sozialdemokraten überlassen. Auch die Gestaltung der Maßnahmen, die unter dem Etikett „Gesundheitsreform“ verkauft werden müssen, wird die Grünen kaum kümmern. Haben doch mit Andrea Fischer und Monika Knoche die letzten beiden Sachkennerinnen den Bundestag verlassen, und die Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt strebt nach dem Fraktionsvorsitz. Dabei würde es sich lohnen, eine grüne Forderung wiederzubeleben: dass Miet- und Zinseinkünfte zur Berechnung der Kassenbeiträge herangezogen werden müssten. Doch können sich die Grünen schwer entscheiden, ob sie lieber den Kurs der Ministerin stützen – oder ob sie ihrem Anspruch als tabulose Reformer gerecht werden, indem sie das Prinzip „alle Leistungen für alle Versicherten“ in Frage stellen.
UWI
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