Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger: „Debatte, die an niedere Instinkte appelliert“
Schwerin will als erste Stadt eine Arbeitspflicht für Asylbewerber und Bürgergeldempfänger einführen – gegen den Willen des SPD-Oberbürgermeisters.
Er bezieht sich in seiner Forderung auf einen Beschluss der Schweriner Stadtvertretung von Mitte Dezember 2024. Als erste Stadt will Schwerin eine Arbeitspflicht für Asylbewerber und Bürgergeldempfänger einführen. Dafür soll das Instrument der sogenannten Arbeitsgelegenheiten genutzt werden, mit dem eigentlich mit öffentlichem Geld Tätigkeiten finanziert werden, die eine Eingliederung in das Arbeitsleben erleichtern sollen.
Diese Arbeitsgelegenheiten sind bereits im Asylbewerberleistungsgesetz und auch im Sozialgesetzbuch vorgesehen. Neu ist die Pflicht zur Arbeit und Sanktionen bei Verweigerung.
Schwerins CDU erweiterte den ursprünglichen Antrag der AfD, der nur Asylbewerber betraf, um auch Bürgergeldempfänger einzuschließen. Diesen Ersetzungsantrag stellte Jan Reißig (CDU) während der Stadtvertretersitzung vor, wo er von einer Mehrheit angenommen wurde. Reißig erklärte dort, dass die Bürgergeldreform es schwieriger mache, der Menschen „habhaft“ zu werden.
Arbeit lohnt sich
Die CDU kritisiert immer wieder, dass das Bürgergeld falsche Anreize setze und Arbeit sich nicht mehr lohne. Das Ifo-Institut hatte allerdings Anfang 2024 eine Studie zu dieser Frage veröffentlicht. Darin heißt es, dass „trotz der deutlichen Anhebung der Regelsätze im Bürgergeld weiterhin ein spürbarer Lohnabstand besteht“. Soll heißen: Arbeit lohnt sich.
Während der letzten Stadtvertretersitzung in Schwerin argumentierte Jan Reißig, dass Arbeit die Integration verbessern könne und Menschen das Gefühl geben solle, gebraucht zu werden. Arbeitsmarktforscher widersprechen dieser Einschätzung jedoch und warnen, dass solche Arbeitsgelegenheiten „entweder nichts nützen oder eher schaden“.
Reißig verwies auf Greiz und den Saale-Orla-Kreis in Thüringen als Vorbilder für Schwerin. Seit 2024 müssen dort arbeitsfähige Flüchtlinge gegen eine Aufwandsentschädigung von 80 Cent pro Stunde arbeiten, sonst drohen ihnen Leistungskürzungen. Der dortige Landrat Christian Herrgott (CDU) lobt die Arbeitspflicht als Erfolgsmodell. Die Praxis stößt jedoch auch auf Kritik.
Helena Steinhaus von der Organisation Sanktionsfrei sagt über Greiz und den Saale-Orla-Kreis: „Flüchtlingen ist Erwerbsarbeit während des Asylverfahrens meistens verboten. Deswegen kann man mit jeder Maßnahme mehr Menschen in Arbeit bringen als vorher. Das ist doch eine Bullshit-Rechnung.“
Schwerins Oberbürgermeister Rico Badenschier (SPD), der gegen den Antrag stimmte, bezeichnete die Maßnahme gegenüber dem NDR als „eine Debatte, die an niedere Instinkte appelliert“. Durch unterschiedliche Gesetze würden Flüchtlinge eine Entschädigung von 80 Cent pro Stunde erhalten, während die Mehraufwandsentschädigung für Bürgergeldempfänger im Rahmen von 1 bis 2 Euro pro Stunde liegt.
Das Problem sei auch ein wirtschaftliches: Es entstehen weitere Kosten wie Versicherung, Arbeitskleidung, Betreuung und Dokumentation, die über die Mehraufwandsentschädigung hinausgehen. Daher wäre nur ein Teil der Kosten gedeckt, der Rest müsst refinanziert werden. Insgesamt stünde „wenig Output einem hohen Verwaltungs- und Betreuungsaufwand gegenüber“.
Eine Pressesprecherin der Stadt fügte hinzu, dass das Jobcenter bereits bessere Maßnahmen zur langfristigen Qualifizierung wie Weiterbildung oder Berufsabschluss anbiete. Sie bemängelte, dass bei dem Stadtratsbeschluss der Jobcenterbeirat mit Bürgergeldexperten nicht einbezogen wurde. Den Beschluss nannte sie Populismus, weil er nur wenige hundert Menschen betreffe und ungeeignet sei, der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken.
Der Oberbürgermeister soll jetzt in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter und sozialen Trägern ein Konzept erarbeiten. Die Umsetzung steht noch nicht fest. Zu prüfen ist, auf welcher gesetzlichen Grundlage die Menschen zur Arbeit verpflichtet werden sollen, ob weitere Stellen dafür geschaffen werden müssen und wie das finanziert werden soll.
Ein erster Zwischenstand der Prüfung soll spätestens im Februar vorliegen. Der Beschluss in Schwerin ist bundesweit beispiellos. Steinhaus vom Verein Sanktionsfrei sagt dazu: „Wir haben keine hohe Erwerbslosenquote. Das ist Symbolpolitik, die Vorurteile schürt“.
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