Arbeitsmigranten aus Thailand in Israel: „Das Telefon klingelt, aber er meldet sich nicht“
In Nordisrael starben vier thailändische Erntehelfer durch Hisbollah-Raketen, dabei wollte Israel sie nicht in gefährdeten Gebieten arbeiten lassen.
Mit Genehmigung des israelischen Militärs pflückten sie am Donnerstag vergangener Woche Äpfel, nur einen Steinwurf von der libanesischen Grenze entfernt. Zwei Hisbollah-Raketen schlugen in den Apfelhain ein und töteten die vier Arbeitsmigranten und den israelischen Sohn des Plantagenbesitzers.
Südostasiatische Erntehelfer sind für Israels Agrarwirtschaft existenziell. Vor dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 waren rund 30.000 Thais in Israel beschäftigt. Als danach ein Drittel von ihnen in ihre Heimat flüchtete, blieben viele israelische Bauernhöfe und Plantagen weitgehend unbewirtschaftet.
Tonnenweise Äpfel, Tomaten und Avocados verfaulten, weil es an Pflückern fehlte. Seitdem ist Obst im Schnitt 12 Prozent teurer geworden, Gemüse gar um 18, meldet Leket, Israels führende Organisation zur Lebensmittelrettung.
Thailand will mehr Arbeitskräfte nach Israel schicken
Seit Juni fährt Thailands Regierung den Export ihrer Arbeitskräfte wieder hoch. Bis Jahresende sollen laut Arbeitsministerium in Bangkok 10.000 Thais nach Israel vermittelt werden.
Trotz Israels Zusicherungen, die Arbeitsmigranten ausschließlich in sicheren Regionen einzusetzen, landen viele in den gefährlichen Grenzgebieten zum Libanon und zu Gaza, wo drei Viertel des inländisch konsumierten Gemüses angebaut wird.
Die Felder und Plantagen dort sind teilweise nicht zugänglich oder können nur unter Lebensgefahr bewirtschaftet werden. Mitte Oktober kam bereits ein thailändischer Erntehelfer in Nordisrael ums Leben. Ein weiterer wurde verletzt, als eine Panzerabwehrrakete in einem Apfelhain im Kibbuz Yiron explodierte.
Danach beteuerte Israels Innenminister Moshe Arbel, es sei verboten, Arbeitsmigranten in evakuierten Grenzregionen zu beschäftigen. Doch die Realität sieht anders aus.
Angehörige in Thailand warten auf Antworten
Tausende Kilometer entfernt warten im ärmlichen Nordosten Thailands Angehörige der Getöteten auf Antworten. Im abgelegenen Dörfchen Nong Makhua, zwei Autostunden von der Provinzhauptstadt Nakhon Ratchasima entfernt, hält Sumali Pimsri ein Foto ihres Mannes Kawisak in den Händen.
Auch Tage nach dessen Tod wählt sie noch seine Handynummer, in der Hoffnung, seine Stimme zu hören. „Das Telefon klingelt, aber er meldet sich nicht“, sagt sie verzweifelt.
Vor zweieinhalb Jahren brach Kawisak nach Israel auf. „Wenn ich nicht gehe, werden wir alle an Armut sterben“, sagte er seiner Familie. Mit seinem Verdienst versorgte der 37-Jährige nicht nur Frau und Eltern, sondern finanzierte auch die Ausbildung seiner Geschwister. Er sicherte die Existenz von neun Verwandten. „Er war unser Anker“, sagt Sumali der taz.
In Videoanrufen zeigte er seiner Frau oft fliegende Raketen und Rauchschwaden vom Grenzgebiet zum Libanon. Am Donnerstag vergangener Woche rief er sie zum letzten Mal an. Der Plantagenbesitzer habe mit dem Militär ausgehandelt, dass sie für zwei Stunden in die Sperrzone dürften.
„Warum haben sie meinen Sohn nicht beschützt?“
„Er sagte mir, sie müssten schnell hinein und pflücken, die Äpfel seien reif und sein Chef habe viele Bestellungen“, erinnert sich Sumali. Eine Stunde später starb Kawisak durch die Rakete.
„Warum haben sie meinen Sohn nicht beschützt?“, will Kawisaks Vater Net Papanang wissen. Der 62-Jährige arbeitete selbst viele Jahre in Israel. Er gehörte zu den ersten thailändischen Arbeitsmigranten, die Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre in den Nahen Osten kamen. Um Israels Landwirtschaft von palästinensischen Arbeitskräften unabhängiger zu machen, wurden damals viele Niedriglohnkräfte aus Asien angeworben, vor allem aus Thailand.
Doch unter so riskanten Bedingungen wie heute mussten sie nie zur Ernte, erzählt Net, und fordert von Israels Behörden Aufklärung: „Warum hat das Militär ihm den Zugang erlaubt, obwohl sie wussten, dass es ein unsicheres Gebiet war?“ Auf seine Fragen gibt es bis heute keine Antworten.
Die thailändische Regierung hat mit einem Schreiben in Jerusalem protestiert und fordert einmal mehr, ihre Landsleute nicht in hochriskanten Regionen einzusetzen. Dies hat Bangkok seit Oktober letzten Jahres wiederholt erfolglos gefordert.
In Thailand ist die Nachfrage nach Arbeit in Israel groß
Trotz der jüngsten Todesfälle will Thailands Arbeitsministerium aber weiter Arbeitskräfte in den Nahen Osten entsenden. Diesen Monat sollen 800 Thais nach Israel vermittelt werden, teilte das Arbeitsamt am Montag mit. Wer wirklich nach Israel gehen wolle, würde dies auch ohne staatliche Unterstützung tun, was Überwachung und den Schutz durch die Regierung erschwere, erklärte der Direktor der Behörde.
Die Nachfrage nach Arbeit in Israel bleibt im südostasiatischen Königreich hoch. Im Juni zählte das Arbeitsministerium 30186 Thais, die daran Interesse bekundeten. Besonders groß ist das Interesse in der nordöstlichen Region Isaan, wo die Armutsrate fast doppelt so hoch ist wie im Landesschnitt.
Auch Thana Tichantuk stammte aus Isaan. Sein Heimatdorf Klong Nadi, 300 Kilometer nordöstlich von Bangkok, hat nur 500 Einwohner. Thana wollte seiner Familie durch die hohen Löhne in Israel ein besseres Leben ermöglichen. Vergeblich baten ihn seine Eltern, nicht dorthin zu gehen, sondern wie sein Bruder in Taiwan Arbeit zu suchen. „Sterben können wir überall“, entgegnete er.
„Er arbeitete überall, wo man ihn hinschickte“
In seinen drei Jahren in Israel entwickelte Thana eine Bindung zum jüdischen Staat. Er mochte das Land und die Menschen und lernte sogar Hebräisch. „Wahrscheinlich war er in einem früheren Leben ein Israeli“, sagt seine Mutter Charung der taz. Thana hatte großes Vertrauen in Israel und das Militär. „Er war mutig und arbeitete überall, wo man ihn hinschickte“, erinnert sich Vater Charnchai.
In einem Monat wollte der 31-Jährige für eine Weile nach Hause kommen, bis sich die Lage in Nordisrael etwas beruhigt hätte. Stattdessen wird nun sein Sarg in die Heimat zurückgebracht.
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