Arbeitsbedingungen an Unis: Geht’s Hanna im Ausland besser?
In Deutschland wird seit der Debatte #IchBinHanna über WissenschaftlerInnen-Jobs diskutiert. Wie sieht es in Dänemark, Großbritannien und Spanien aus?
Unter dem Hashtag #HannaGehtInsAusland, der seit März auf Twitter kursiert, berichten Forschende von einer dritten Möglichkeit: Deutschland den Rücken kehren und woanders weiterforschen. „Reichlich unbefristete (!) Stellen in England ausgeschrieben, im selben Zeitraum nur eine einzige (auf drei Jahre befristete) in Deutschland. Das muss man sich nicht zweimal überlegen“, schreibt eine, die nach ihrer Dissertation lieber an einer englischen Uni weiterforscht. Eine Wissenschaftlerin, die nach Österreich gewechselt ist, begründet ihren Schritt so: „Klare Zielvereinbarung, Tenure Track, Department-Struktur.“ Also Transparenz, Aussicht auf Entfristung, mehr Unabhängigkeit vom Prof. All das, was an deutschen Unis oft fehlt.
Rund 85 Prozent des akademischen Mittelbaus an deutschen Hochschulen sitzt auf befristeten Stellen. Die Ampelregierung hat versprochen, die Befristungsregeln zu überarbeiten. Aktuell dürfen die Unis Personen für insgesamt zwölf Jahre befristet anstellen – 6 Jahre vor und 6 Jahre nach der Promotion. Doch ein Grundproblem kann auch die geplante Reform nicht beheben: Neben den gut 50.000 Professuren gibt es kaum unbefristete Stellen für Forschende. Selbst Profs, die es „geschafft“ haben, sprechen von einem Lotteriespiel.
„Es ist diese Politik, die viele von uns ins Ausland getrieben hat und die für uns mit unseren Expertisen eine Rückkehr unter den aktuellen Bedingungen äußerst unwahrscheinlich macht“, schreiben die Initiatoren von #HannaGehtInsAusland. Doch wie lukrativ sind die Arbeitsbedingungen in anderen Ländern wirklich?
Dänemark
Das Land wird häufig genannt, wenn man mit deutschen Wissenschaftler:innen über gute Arbeitsbedingungen spricht. Der Kommunikationswissenschaftler Manuel Menke kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. 2020 ist er auf eine Assistenzprofessur der Uni Kopenhagen gewechselt, auch wegen der prekären Arbeitsbedingungen in Deutschland. Zum ersten Mal in seinem akademischen Leben habe er das Gefühl gehabt, mehrere Jahre im Voraus planen und ein Familienleben aufbauen zu können, berichtet Menke in der Mitgliederzeitschrift der dänischen Akademikergewerkschaft Dansk Magisterforening. Und dies, obwohl Dänemark gerade nicht die eine Garantie biete: „wirst du Professor, hast du eine lebenslange Garantie auf eine unkündbare Festanstellung“.
Staatsangestellte in Dänemark haben nämlich keinen dem deutschen Beamtenstatus vergleichbaren strengen Kündigungsschutz. Aber mit dieser „mangelnden Arbeitsplatzsicherheit lasse sich leben, denn das System in Dänemark ist in vielen anderen Bereichen viel besser als in Deutschland“, meint Menke: Vor allem im Vergleich zum „unmenschlichen Druck“, dem junge Forscher:innen in Deutschland ausgesetzt seien. In Dänemark gebe es nicht so ein hierarchisches System und die Abhängigkeit von einem Professor, „mit der Gefahr des Machtmissbrauchs“.
Befristete Anstellungen, Kettenverträge, fehlende Zukunftsperspektiven gibt es allerdings auch in Dänemark. Im Zeitraum 1999–2008 konnten durchschnittlich zwei von drei Postdocs – Wissenschaftler:innen, die ihre Promotion abgeschlossen haben – damit rechnen, nach sechs Jahren eine feste Anstellung an der Universität zu haben. In der darauf folgenden Zehnjahresperiode war es nur noch jeder Dritte. Dafür hat man den Begriff des „Postdoc-sumpen“, des Postdoc-Sumpfs geprägt.
Nach den gesetzlichen Vorschriften dürfen befristete Anstellungsverhältnisse im Lehr- und Forschungsbereich eigentlich nicht mehr als zweimal verlängert werden. Wie es in der Praxis aussehen kann, illustriert eine 2018 vom Obersten dänischen Gerichtshof entschiedene Klage von vier ehemaligen Angestellten gegen die Universität Roskilde. Deren Verträge waren in einem Zeitraum von 10 bis 14 Jahren zwischen 7 und 11 Mal verlängert worden. Die Uni veränderte einfach jeweils die Stellenbeschreibung, auch wenn die tatsächlichen Arbeitsaufgaben die gleichen geblieben waren.
Zwar heißt es in der Verordnung zum wissenschaftlichen Personal an Hochschulen ausdrücklich, eine „Stelle als Lektor/Seniorforscher wird in der Regel unbefristet besetzt“. Dennoch sind ein Viertel derer, die es bis dahin geschafft und einen Lehrauftrag erhalten haben, derzeit befristet angestellt. Man missbrauche eine Ausnahmeregelung, die eigentlich nur für ausländische Gastprofessuren oder in Verbindung mit speziellen Forschungsprojekten gedacht war, kritisiert Jens Vraa-Jensen von Dansk Magisterforening. Nach deren Statistik wird rund die Hälfte der Forschung und Lehre an dänischen Universitäten von nicht festangestelltem Personal geleistet.
Dänemarks Rat für Forschungs- und Innovationspolitik empfiehlt mehr so genannte Tenure-Track-Programme – also Stellen mit Aussicht auf Entfristung. Und zweitens eine Berufsorientierung junger Forscher:innen, die stärker auf die Beschäftigung in der Wirtschaft ausgelegt ist.
Großbritannien
Im Vergleich zu Deutschland liegt die Quote der festangestellten Wissenschaftler:innen auf der Insel ziemlich hoch: bei Forscher:innen haben 32 Prozent eine unbefristete Stelle, bei Dozent:innen sogar 66 Prozent. Doch auch an britischen Unis herrschen zum Teil prekäre Arbeitsbedingungen, kritisiert die Gewerkschaft University and College Union (UCU). Zwischen 2009 und 2022 seien die realen Gehälter um 25 Prozent gesunken, zwei Drittel der Beschäftigten wollen nach einer UCU-Umfrage die Wissenschaft in den kommenden fünf Jahren verlassen. Besonders groß ist die Unzufriedenheit unter Doktorand:innen. Vier von fünf wollen den Beruf wechseln, wenn sich nicht Gehalt und Arbeitsbedingungen verbessern.
Vor allem zu Beginn der Karriere gebe es oft nur befristete Verträge, sagt ein Sprecher der Gewerkschaft. Teils erhielten Forschende nur sogenannte zero hours contracts, Nullstundenverträge, bei denen Angestellte nur bei Bedarf der Uni Arbeit erhalten. Andere werden stündlich bezahlt. Die Vertragsbedingungen würden zwar regelmäßig zwischen den Universitätsvertretungen und der UCU verhandelt.
Trotzdem bedeute das nicht, dass sich Unis an diese Vereinbarungen hielten, so der Sprecher. Vor allem Frauen und Schwarze Angestellte seien von schlechter Bezahlung betroffen. Auch die größten und reichsten britischen Universitäten, darunter Cambridge University, London School of Economics (LSE), und Oxford University, würden starken Gebrauch von befristeten Verträgen machen.
Der Grund liegt in der Hochschulfinanzierung. Ein Großteil der Einnahmen der Unis kommen von den Studiengebühren. Immatrikulieren sich in einem Jahr viele Student:innen, erhält die Uni mehr Gelder und kann auch mehr Mitarbeiter:innen einstellen. Schreiben sich weniger ein, braucht sie nicht alle Dozent:innen. Kürzere Verträge erlauben hier also Flexibilität. Innerhalb der nächsten 25 Jahre rechnet die UCU mit einem Rückgang der wissenschaftlichen Arbeitsplätze um etwa 25 Prozent. Laut der Gewerkschaft wandern viele britische Wissenschaftler:innen in die USA, nach Kanada oder Australien ab, weil dort die Verdienste höher seien.
Spanien
Die spanische Linksregierung hat viel versprochen, um die Arbeitsbedingungen an Unis zu verbessern. Mehr Geld für die Universitäten, mehr Dauerstellen für Wissenschaftler:innen und Dozent:innen. Doch wer sich an den Unis umschaut, muss feststellen, all das funktioniert nur bedingt.
Aktuell haben zwar 50,8 Prozent der Professor:innen und Dozent:innen an Spaniens öffentlichen Hochschulen einen Festvertrag. Der Rest sind sogenannte „beigeordnete Lehrkräfte“. Diese Stelle wurde eigentlich ins Leben gerufen, um Menschen mit besonderen Erfahrungen und Kenntnissen in einem Fachgebiet für eine Nebentätigkeit an die Uni zu locken. Viele von ihnen sind Gymnasiallehrer:innen. Allerdings missbrauchen die Unis diese Teilzeitstellen. Denn auch junge Akademiker:innen erhalten so einen Vertrag. Sie verdienen deutlich unter 1.000 Euro im Monat, geben dafür Unterricht und forschen. In der Hoffnung, irgendwann einmal auf einen richtige Dozentenstelle zu rutschen. In den letzten Jahren hat sich diese Praxis gar verschärft. Vor sieben Jahren waren noch knapp 58 Prozent an den Unis festangestellt.
Die Universitäten reagieren damit auf die Sparpolitik der Regionalregierungen, die ähnlich wie in Deutschland für Bildung zuständig sind. Spanien gibt derzeit nur 0,58 Prozent des BIP für die Forschung an öffentlichen Einrichtungen aus. Zusammen mit privaten Institutionen sind es 1,6 Prozent. Zum Vergleich: Im EU-Schnitt 2,3 Prozent und in Deutschland gar 3,1 Prozent. Diesen Anteil will Spanien mithilfe des neuen Gesetzes 2030 erreichen. Bis dahin werden wohl weiterhin viele junge Forscher:innen ihr Glück im Ausland suchen. Dort werden sie besser bezahlt und haben bessere Aufstiegschancen.
Dank der jüngsten Universitätsreform werden jetzt 26.000 Dozent:innen landesweit festangestellt. Doch oft handelt es sich nur um einen Teilzeitvertrag. Selbst eine Festanstellung reicht mitunter nicht zum Leben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“