Arbeit in der 24-Stunden-Pflege: In der Grauzone
24-Stunden-Pflege zu Hause: Eine rechtliche Regulierung muss eine Sensibilität für Rechte und Pflichten auf allen Seiten herstellen.
D erzeit kommt Bewegung in die Frage, wie zukünftig rechtlich mit der sogenannten 24-Stunden-Pflege umzugehen ist. Hierbei handelt es sich um Betreuungsarbeiten in Privathaushalten älterer und hochaltriger Menschen, die durch zumeist Frauen aus den osteuropäischen Mitgliedstaaten erbracht werden.
Weil in dieser Form der häuslichen Betreuung in der Regel Höchstarbeitsgrenzen überschritten werden und eine explizite rechtliche Regelung fehlt, ist sie sehr umstritten. Die öffentliche Debatte war allerdings in den letzten Jahren vor allem von Empörung gezeichnet – weniger von Gestaltungsoptionen. Eine politische Regulierung verspricht nun erstmalig und schwarz auf weiß der Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien.
Es ist eine schwierige Balance: Einerseits fürchten manche, dass zu stark in diesen Wohlfahrtsmarkt eingegriffen wird (die Beteiligten könnten wieder auf den Schwarzmarkt abwandern). Andererseits muss Rechtssicherheit für statusrechtliche Verbesserungen geschaffen werden. Welche rechtliche Antwort auch gefunden wird, sie sollte bedenken, dass geschaffenes Recht nicht immer eins zu eins von den Betroffenen umgesetzt wird.
Bisher sieht die Realität in den Haushalten oftmals so aus, dass die pflegebedürftigen Personen beziehungsweise deren Familien von einer durchgängigen Einsatzbereitschaft der Betreuungskraft ausgehen und eher selten bewusst Arbeitsunterbrechungen schaffen. Vielmehr betonen sie, dass der Alltag im Pflegesetting an sich schon viel Freizeit böte – herangezogen werden dann „gemeinsame Fernsehabende“ oder das „Rumsitzen“.
schrieb ihre Dissertation über die Rolle von sorgenden Angehörigen in Settings mit ausländischen Pflegekräften und gewann dafür den Studienpreis der Körber-Stiftung 2021 in der Sektion Sozialwissenschaften. Die Dissertation kann auf der Internetseite des Budrich-Verlags kostenfrei heruntergeladen werden.
Letztlich also Kategorien, die das Arbeitsrecht nicht kennt. Oft scheint es sogar so, als würde jegliches bekannte Wissen über das Arbeitsrecht an der Türschwelle abgelegt und würden im Privathaushalt andere Maßstäbe angewandt – und verteidigt (Ausnahmen bestätigen die Regel). Wird dann doch mal über notwendige Pausenzeiten verhandelt, wird dies nicht selten mit eigenen Erfahrungen der Angehörigen begründet (im Sinne von: „Ja, mir wäre das auch zu viel“) oder als Kurzurlaub idealisiert („Dann kann die Dame mal mit dem Rad an den See fahren“).
Ähnlich sieht es mit den Erwartungshaltungen in den Haushalten aus: Viele Pflegebedürftige oder deren Angehörige gehen davon aus, die Betreuungskraft allein hätte sich anzupassen. Sicher stimmt dies in der Tendenz, denn die abhängige pflegebedürftige Person braucht für ihre Lebensführung externe Hilfe. Aber ob die Anpassung gänzlich einseitig sein muss?
In einem Beispiel meiner Forschung äußert ein pflegender Angehöriger, dass die Betreuungskräfte gut acht Wochen bräuchten, bis diese sich in das Know-how ihres persönlichen Alltags eingearbeitet hätten, denn das Niveau des „polnischen Dorfhaushaltes“ reiche nicht aus. Hier wird die Betreuungskraft und deren Herkunft pauschal abgewertet. Es sind solche und zahllose weitere Annahmen, die dazu führen, dass den Betreuungskräften das Leben in den Privathaushalten oft sehr schwer gemacht wird.
Hier kann auch eine rechtliche Regulierung kaum korrigieren, solange die Betroffenen selbst davon ausgehen, nichts zu einem gelingenden, gegenseitig wertschätzenden Arbeitsverhältnis beitragen zu müssen. Zwar kann per Gesetz die Prekarität der Live-in-Arbeit behoben, nicht aber zwingend auch auf die Sichtweise der Einzelpersonen eingewirkt werden.
Diese ist aber für die alltäglichen Interaktionen in den Haushalten, die zwischenmenschliche Ebene, enorm wichtig. Es existieren auch positive Gegenbeispiele: Familien, die einen Achtstundentag strikt umsetzen, die selbst viel vor Ort sind und sehr wertschätzend mit den Arbeitskräften umgehen. Gegen diese individuellen Erfolgsgeschichten ist gar nichts einzuwenden; bis auf den Umstand, dass Sympathie und Dank weder Rechtssicherheit und geregelte Arbeitszeiten noch gute Löhne ersetzen können.
Und auch um legales Handeln bemühte Familien scheitern an der derzeitigen Rechtslage, denn oftmals unterliegen die komplexen Vertragswerke europäischen Regelungen. Beispielhaft im Falle der komplexen Arbeitnehmerentsendung: Ist eine Betreuungskraft entsandt, verbleiben der Arbeitgeber und das Weisungsrecht formal im Heimatland.
Die Pflegebedürftigen oder deren Angehörigen vor Ort dürfen selbst keine arbeitsrechtlichen Weisungen erteilen. So telefonieren die Familien dann nach Polen, Kroatien oder Bulgarien, um dem dortigen Entsendeunternehmen mitzuteilen, die Betreuungskraft (die mitunter absurderweise gerade neben ihnen steht) möge fortan das Frühstück eine halbe Stunde später anrichten. Solche Stilblüten bringt es mit sich, wenn die Familien die Rechtslage der innereuropäischen Arbeitskräftemobilität ernst nehmen.
Immer wieder wird diskutiert, ob in Deutschland nicht eine Regelung eingeführt werden könnte, welche den Betreuungskräften den Rechtsrahmen einer Selbständigkeit anbietet. Doch die Erfahrungen aus Österreich, wo dieses Modell dominiert, zeigen, dass damit weiterhin das Risiko auf den Schultern der einzelnen Pflegekraft bleibt.
Bis dato profitiert dieser Schattenarbeitsmarkt besonders von den unbekannten Schaltstellen; von intransparenten Geldflüssen, Arbeitgebern im Ausland, ineffizienten Kontrollen und von der Abwesenheit neutraler Kontaktstellen für die Klärung alltäglicher Belange und Probleme. Dies sind nur einige der Symptome, die ein unregulierter grauer Arbeitsmarkt hervorbringt, vor dem die Politik bisher die Augen verschlossen hielt.
Um aber die an einem Live-in-Setting beteiligten Parteien – Betreuungskraft, Pflegebedürftige und Angehörige – und die zu verrichtende Arbeit juristisch greifbar zu machen, geht kein Weg daran vorbei, das Setting als Angestelltenarbeitsverhältnis festzuschreiben. Live-ins sollten künftig Arbeitnehmer*innen und Haushalte Arbeitgeber werden – mit allen Rechten und Pflichten.
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