Mitbestimmung in der Pflege: Angehörige fordern Entlastung

Angehörige betreuen rund 80 Prozent der Pflegebedürftigen. In Schleswig-Holstein fordern sie, stärker eingebunden zu werden.

Ein Mann hält die Hand seiner Frau

Rund um die Uhr im Einsatz und keinen Tag bezahlten Urlaub: Angehörigen-Pflege zu Hause Foto: Patrick Pleul/dpa

RENDSBURG taz | Als bei ihrem Mann erste Krankheits­symptome auftraten, hat Nicole Knudsen versucht, sie „wegzulieben“. Nachdem die Diagnose feststand, hat sie ihre Stelle gekündigt und sich auf seine Pflege konzentriert. Auch nach dem Tod ihres Mannes bleibt Knudsen dem Thema verbunden: Als Landesvorsitzende des Vereins „Wir pflegen“ setzt sie sich für die Rechte pflegender Angehöriger ein.

Die Pandemiejahre seien für pflegende Angehörige schrecklich gewesen, berichtet Knudsen: „Von einem Tag auf den andere brachen alle Unterstützungsangebote weg.“ Tagespflegen schlossen, Treffpunkte ebenso, nicht einmal Beratungsstellen hätten noch gearbeitet, sagt die 58-Jährige, die im nordfriesischen Örtchen Oldersbek lebt.

Sie habe sogar Verständnis dafür: „Es war für uns alle die erste Pandemie.“ Etwas anderes stört sie: „Während für die professionellen Pflegekräfte anfangs immerhin applaudiert wurde, hat sich um die pflegenden Angehörigen niemand gekümmert.“

Dabei tragen sie die Hauptlast: Rund 80 Prozent der Pflegebedürftigen, darunter Alte, aber auch Erwachsene und Kinder mit Behinderungen, Sucht- oder psychischen Krankheiten, würden zu Hause betreut, so Knudsen. Das Gesundheits- und Sozialsystem, die Politik und die Öffentlichkeit schauten aber fast nur auf die stationäre Pflege in Heimen, bemängelt die Kommunikationswissenschaftlerin. „Angehörige sind in den politischen Gremien und Beratungsrunden nicht vertreten.“

Pflege kostet Kraft

Das liege auch daran, dass die Pflegenden, die im „täglichen Improvisationstheater“ feststeckten, kaum die Zeit oder Nerven für ein politisches Ehrenamt haben, weiß Knudsen, die sich selbst ebenfalls erst engagiert, nachdem ihr Mann – der an Parkinson und Alzheimer litt – verstorben war.

Auf Amrum lernte sie ihren 30 Jahre älteren Partner kennen, 35 Jahre waren beide verheiratet. 2014 wurde bei ihm Parkinson diagnostiziert. Ein Schock für den damals über 80-Jährigen und seine Frau, die als Geschäftsführerin des Bundesverbandes Windenergie in Husum tätig war. Damit sie ihren Mann betreuen konnte, arbeitete sie von zu Hause aus auf Projektbasis weiter. Unglaublich intensiv sei die Zeit gewesen: „Man wird praktisch zu einer Einheit. Und man begreift, was wirklich wichtig ist.“

Dennoch kostet der Alltag mit einem Pflegebedürftigen Kraft. Der Verband fordert daher, die Angehörigen mehr zu entlasten – etwa durch Tagespflege nicht nur für Hochaltrige, sondern auch für Kinder und Erwachsene mit Behinderungen und durch Kurzzeitpflege-Angebote, die zurzeit Mangelware sind: „Zurzeit gilt für pflegende Angehörige: Bitte planen Sie Ihren Beinbruch ein Jahr im Voraus“, spottet Knudsen.

Allein in Schleswig-Holstein beziehen rund 130.000 Menschen Pflegegeld, etwa ebenso viele Angehörige, Freund*innen, Part­ne­r*in­nen kümmern sich nach Schätzungen des Angehörigenverbandes um sie. Darunter seien auch Kinder und Jugendliche, die als „Young Carers“ im Haushalt helfen oder Geschwister betreuen, wenn ihre Eltern wegen Krankheit ausfallen.

Kleine Gruppe mit Gewicht

Der Landesverband „Wir pflegen“ wurde im Februar gegründet – eine bisher kleine Gruppe, aber mit politischem Gewicht. Mit Birte Pauls (SPD) und Christian Dirschauer (SSW) sind zwei aktive Landtagsabgeordnete und Sozialausschuss-Mitglieder dabei. Flemming Meyer, ebenfalls Gründungsmitglied, saß lange für den SSW im Landtag, legte sein Mandat nieder, um seine kranke Frau zu pflegen: „Der weiß genau, wie die Lage ist“, sagt Knudsen.

Sie wünscht sich für den Verein weiteren Zulauf – und in der kommenden Legislaturperiode mehr Mitsprache für die Gruppe der Angehörigen. „Es soll nicht über uns, sondern mit uns geredet werden“, fordert sie.

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