Arbeit in Serie: Der Sexarbeiter: „Kerle dürfen bei mir schwach sein“
Lucien Lafayette arbeitet als genderqueerer Sado-Maso-Sexworker in Berlin. Eigentlich sollten ihn die Krankenkassen bezahlen, sagt er.
Der Arbeitsplatz
Dass sich in diesem Haus am Tempelhofer Damm ein Sado-Maso-Studio befindet, würde man nicht vermuten. Auf dem Klingelschild stehen Kanzleien und Arztpraxen, im Erdgeschoss wirbt eine Apotheke mit dem Slogan „Stoppt den Schmerz – nicht Sie“.
Zehn große, aufeinander abgestimmt eingerichtete Räume hat das Studio im dritten Stock. Naturbelassenes Holz, Stahl, Leder. Einen Tagungsraum gibt es, ein Requisitenzimmer, Räume mit Seilzügen, gynäkologischen Stühlen und Duschen. In einem originalgetreuen medizinischen Behandlungszimmer können geschulte Sexarbeiter*innen auf Wunsch Spritzen und Skalpelle zum Einsatz bringen. Gerade ist eine Putzkraft dabei, die „Klinik“ sauber zu machen.
Lucien Lafayette (das ist natürlich ein Künstlername) mag dieses gut ausgestattete und geführte Studio, in dem er sich für „Sessions“ einmietet. Mit Kund*innen trifft er sich aber auch zu Hause oder im Hotel. „Ich bin überall zu haben, wo man mich haben will. Selbstverständlich nicht auf einer Parkplatztoilette oder so“, erzählt er in der Teeküche des SM-Studios, in die Mitarbeitende sich zurückziehen können. Im Regal über dem Küchentisch steht die „Gesetzessammlung für die betriebliche Praxis“.
Der Mensch
Die Serie (Teil 12)
Mit unserer „Arbeit in Serie“ werfen wir alle zwei Wochen Schlaglichter auf die Berliner Arbeitswelt, auf spannende Tendenzen und bedenkliche Phänomene. MehrfachjobberInnen, moderne ArbeitssklavInnen, ArmutsrentnerInnen: Wir schauen dahin, wo es wehtut. Aber auch dahin, wo die Berliner Wirtschaft boomt: Immobilienbranche, Unterhaltungsindustrie, digitale Transformation. Wir stellen Fragen nach Wertschätzung und Perspektiven. Wir sprechen mit Menschen, die typisch sind für Entwicklungen und doch auch ihre ganz eigene Geschichte erzählen. Alle Folgen finden sich unter taz.de/arbeitinserie. (taz)
„Ich bin genau das, was ein Leben voller Lust und Kink aus mir gemacht hat“, steht auf Lafayettes Internetseite und: „Ich bin genderqueer, pansexuell und weitaus emanzipierter als der Rest der Männerwelt. Maskulin – feminin – androgyn – mir egal! Ich bin das Beste aus allem.“
Lafayette ist Anfang 30, fast zwei Meter groß, sehr schlank und trägt halblanges, weinrotes Haar und schwarze Kleidung, die mit Leder, Schnüren und Spitze besetzt ist. „Viele Kunden verstehen sich nicht als schwul, wünschen sich aber Sex mit einem Mann. Sie kommen zu mir, weil ich auf der Grenze der Geschlechter bin, queer bin, und das geht dann für sie.“ In Prüm in der Vulkaneifel ist Lafayette aufgewachsen. „Das ist eine katholische, eine harte Gegend.“
Wie alles begann
Die Branche
Im Hinblick auf Arbeitsweisen, -orte, Entlohnung und Rahmenbedingungen ist die Sexarbeit ein „facettenreicher Bereich“, sagt der High-End-Escort Lucien Lafayette. Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) bemüht sich deshalb um Abgrenzung vom Menschenhandel und schreibt: „Frauenhandel ist eine Verletzung der Menschenrechte und soll bekämpft werden. Sexarbeit hingegen ist Arbeit. Und diese sollte als solche anerkannt und respektiert werden!“ Beratungsstellen wie Hydra, smart Berlin, Olga, IN VIA, Trans*sexworks bieten Sexarbeiter*innen Unterstützung. Am „Runden Tisch Sexarbeit“ sitzen Verbände, Beratungsstellen, Verwaltung und Polizei. Wie viele Sexarbeiter*innen es in Berlin gibt, kann statistisch nicht bestimmt werden, sagen Verbände und staatliche Stellen.
Das Gesetz
Die freiwillige Ausübung von Sexarbeit durch Erwachsene sowie die Nachfrage danach sind in Deutschland seit 2002 zulässig. Seit 2017 das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten ist, müssen Sexarbeiter*innen ihre Tätigkeit persönlich anmelden und vor der Anmeldung eine gesundheitliche Beratung wahrnehmen. BesD, der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen (BSD), aber auch der „Hurenkongress“ sehen sowohl das Schutzgesetz als auch Bemühungen um ein Sexkaufverbot nach dem sogenannten schwedischen Modell kritisch. Diese Gesetze würden Sexarbeit gegenüber anderen Branchen diskriminieren, kriminalisieren und Sexarbeiter*innen weiterhin stigmatisieren. „Die moralische Attitüde hilft nicht, wenn man Hunger hat“, meint die Sozialarbeiterin Barbara Eritt von IN VIA zu Verbotsforderungen. (sah)
An der Bauhaus-Universität in Weimar hat Lafayette nach dem Abitur Grafikdesign studiert und eine Promotion begonnen. „Dort bin ich auch zur SMJG gegangen, das ist ein Verein für junge Leute, die sich für Fetischismus interessieren.“
Der private Fetisch wird zur beruflichen Einkommensquelle. „Wie man so schön sagt, ich war jung und brauchte das Geld. Ich hatte das Glück, dass mein erster Kunde ein wundervoller Mann war. Viele Kolleg*innen kommen übrigens aus dem Design-Bereich. Das hat vielleicht mit der eigenen Ästhetik von BDSM zu tun.“
„Nach sieben Jahren wurde es mir in Weimar zu langweilig. In Berlin gibt es viele schöne Subkulturen und eine gute Nachfrage von SM-Dienstleistungen. Ich fühle mich sehr zu Hause in Berlin.“
Die Arbeitszeit
Lucien Lafayette hat eine 40-Stunden-Woche, „wie jeder normale Selbstständige auch. Auch mit Urlaub und allem.“ Seine Arbeitszeit verteilt sich zu 20 Prozent auf tatsächliche SM-Sessions und zu 80 Prozent auf Büroarbeit. „Nicht aus jeder Anfrage wird eine Session. Sehr spontane Anfragen lehne ich ab. Es ist unmöglich, in einer halben Stunde in einem Hotel am anderen Ende der Stadt zu sein. Dazu kommt noch die Zeit für Outfit und Make-up.“ Die Zahl der Anfragen schwankt. „In besonders heißen Wochen haben die Leute keine Lust auf SM-Sex. Das geht wenn dann nur in Hotels mit Klimaanlage.“ Auch der Januar ist kein gefragter Monat, an Weihnachten hingegen läuft es sehr gut für den Sexarbeiter.
Die Bezahlung
„Ich habe ein kleines, ganz normales Einkommen, von dem ich leben kann“, meint Lafayette, will aber nicht sagen, wie viel eine Session kostet. „Ich habe keine Kinder und auch sonst hängt niemand finanziell von mir ab. Für eine Familie bräuchte es ein regelmäßigeres Einkommen.“
Das Gewissen
„Ich komme aus der Werbebranche. Jetzt ist mein Gewissen deutlich besser als damals. Wenn ein Typ zum ersten Mal zu mir kommt, ist es wunderschön zu sehen, wie sich internalisierter Selbsthass und so weiter lösen. Unemanzipierte Kerle dürfen bei mir schwach sein, hörig sein, schön gefunden werden. Für meine Arbeit sollte ich in vielen Fällen eigentlich von der Krankenkasse bezahlt werden.“
Lafayette bietet seinen Kunden nach einer Session „Gender-Consulting“ als Zusatzleistung an, also Gespräche, in denen es um Sehnsüchte und die persönliche Geschlechtsidentität geht. „Die Frage dabei ist: Wie kann man die schönen Gefühle aus der Session in den Alltag hinüberretten.“
Eines belastet das Gewissen des Sexarbeiters doch: „Einer, der viel verdient, kann eine ganze Nacht mit mir haben, und das vielleicht regelmäßig. Andere müssen ewig sparen, bis sie sich vielleicht einmal im Jahr eine Session leisten können. Das ist ein unfaires System. Aber die Arbeit selbst tut Gutes und fördert Menschen.“
Die Wertschätzung
Sein Job generiert einen hohen Selbstwert, meint Lafayette. „Auch ich wurde als Kerl sozialisiert. Als Escort werde ich als schön wahrgenommen. Das Begehren der Kunden fühlt sich gut an.“ „Ich werde oft als Kerl gelesen, deshalb wird mir die Opferrolle nicht zugeschrieben.“ Trans- bzw. Homophobie hat Lafayette zwar privat, nie jedoch im beruflichen Kontext erlebt. Von den Behörden kommt wenig Wertschätzung für geregelte Sexarbeit. „Im Jobcenter wurde mir einmal ein Training zur Selbstständigkeit angeboten. Am zweiten Tag hat die Trainerin eine E-Mail bekommen, dass meine Art der Selbstständigkeit nicht vom Jobcenter gefördert werde, und ich konnte die Maßnahme nicht machen.“
Und wie wird seine Tätigkeit von der Familie und den Freund*innen gesehen? „Meine Mutter war überzeugt, nachdem sie hier im Studio zu Besuch war und die Studioleiterin kennengelernt hat. Meinen Vater haben eher die Preise für meine Sessions beruhigt. Die dachten zuerst alle, ich würde nachts an der Straße stehen – was ich keineswegs abwerten will. Den Prostituierten auf dem Straßenstrich gebührt größter Respekt.“
Die Branche
„Es ist ein facettenreicher Bereich.“ Lafayette selbst schätzt sich glücklich, dass er noch nie mit Gewalt und Menschenhandel Erfahrungen gemacht hat. „Als Kerl ist es einfacher als für eine Person, die als Frau wahrgenommen wird. Als ich damals mein Unternehmen beim Amt angemeldet habe, hat die Sachbearbeiterin mich angeguckt und gesagt: ‚Zwangsprostitution können wir schon mal ausschließen.‘“
Lafayette sagt von sich, dass er einer der wenigen genderqueeren Sexworker ist. „Das Studio hier ist in Berlin auch das einzige, das gendersensible Sexarbeit fördert.“ „Es gibt auch viel zu wenige Sexworker*innen, die sich zum Beispiel um Pflegefälle kümmern. Ich kenne nur zwei. Eine davon wurde einmal von einer evangelischen Pfarrgemeinde bezahlt, um einen Pflegefall zu besuchen. Das fand ich sehr schön.“
Lafayette erzählt, dass Sexarbeit im Allgemeinen vor allem von Heteromännern in Anspruch genommen wird, schon weniger von Schwulen, auch wenn die seine Hauptkundschaft darstellen. „Ganz wenige Cis-Frauen nehmen SM-Dienstleistungen in Anspruch.“ „Die Peripherie ist für Männer sexy, für viele weiblich sozialisierte Personen eher abstoßend. Die schämen sich dann vor ihren Freundinnen. Männer hingegen wollen während einer Session Fotos machen, um damit angeben zu können.“ Auch an den hohen Preisen scheitert es oft bei Frauen. „Deshalb biete ich eine Gender-Pay-Gap-Kompensation an.“
Die Perspektive
„Man ist irgendwann zu alt für den Job, obwohl man im SM-Bereich und als Kerl länger dabei bleiben kann.“ Und: „Man kann den Job nur machen, solange er Spaß macht.“
Etwa zehn Jahre lang möchte Lafayette noch als Sexworker tätig sein, danach will er sich etwas anderes aufbauen. Eventuell wird er noch einmal in der Werbebranche arbeiten, vielleicht als Fotograf. Eine Möglichkeit wäre auch, ein eigenes Studio zu betreiben: „Das ist wie im Sport. Wenn man nicht mehr spielen kann, wird man Trainer“, sagt er. Vielleicht kommt es aber auch noch zu der abgebrochenen Promotion.
Was würden Sie sich für unverhoffte 100 Euro kaufen?
„Na ja, unverhofft ist mein Gehalt ja immer“, sagt Lafayette. „Ich würde das in den Geldbeutel stecken und fertig.“ Und wenn die 100 Euro nur für Luxus ausgegeben werden dürften? „Dann würde ich mir Schuhe kaufen.“ Fetischschuhe? „Alle Schuhe sind Fetisch.“
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