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Anwalt über Urteil zu Abgasmanipulation„Thermofenster für illegal erklären“

Diesel-Pkw mit unzulässig eingeschränkter Abgasminderung müssen zurückgerufen werden, fordert der Anwalt der Deutschen Umwelthilfe Remo Klinger.

Kommt der große Rückruf von VW Diesel-Fahrzeugen? Foto: Jan Huebner/Taeger/imago
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Herr Klinger, muss VW nach dem Abgasurteil des EuGH von voriger Woche nun Millionen von Diesel-PKW nachrüsten?

Remo Klinger: Davon bin ich als Anwalt der Deutschen Umwelthilfe überzeugt. Anordnen kann dies aber nur das Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg. Dort wird das EuGH-Urteil leider noch anders interpretiert. Daher muss das Amt wohl durch die Gerichte dazu gezwungen werden.

Was hat der EuGH konkret entschieden?

Die Abgasreduktion von Motoren darf nur abgeschaltet werden, um den Motor vor „plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden“ zu schützen. Der Schutz vor Verschmutzung und Versottung des Motors reiche nicht aus.

Und warum muss das Urteil zu einer Rückruf-Aktion bei so vielen PKW führen?

Weil in fast jedem VW-Diesel-Motor weiterhin unzulässige Abschalteinrichtungen vorhanden sind. Sie sorgen dafür, dass die Abgasreduktion nur bei warmem Wetter funktioniert – und abgeschaltet wird, wenn es etwas kühler wird, also meistens. Mit diesen so genannten Thermofenstern sind die Abgasgrenzwerte von den Fahrzeugen natürlich nicht einzuhalten.

Hat der EuGH explizit die Thermofenster für unzulässig erklärt?

Der EuGH musste über die Anfrage eines Gerichts aus Frankreich entscheiden. Dort ging es um eine Abschalteinrichtung, die dafür sorgte, dass die Abgasreduktion nur auf dem Prüfstand funktionierte, nicht aber im normalen Fahrbetrieb. Die Antwort des EuGH ist aber universell und natürlich auch auf Thermofenster anwendbar.

Welche Hersteller nutzen Thermofenster?

Bild: Helen Nicolai
Im Interview: Remo Klinger

ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er vertritt häufig die Deutsche Umwelthilfe, insbesondere in Prozessen um saubere Luft. Außerdem ist er Honorarprofessor der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde sowie Mitherausgeber und Redaktionsmitglied der Zeitschrift für Umweltrecht.

Wir gehen davon aus, dass alle Diesel-Hersteller solche Thermofenster nutzen.

Was sagt das Kraftfahrt-Bundesamt zu den Thermofenstern?

Das Kraftfahrt-Bundesamt übernimmt – wie meistens – die Argumentation der Autoindustrie. Das Amt hält Thermofenster immer noch für zulässig, weil ein Motor, der zunehmend versottet, irgendwann auch akut geschädigt werde. Das hat der EuGH aber sicher nicht gemeint. Denn dann würden die Abgasvorschriften ja weiter leerlaufen.

Gegen die Betrugssoftware von VW, die dafür sorgte, dass die Abgasreduktion nur auf dem Prüfstand funktioniert, ist das Kraftfahrt-Bundesamt aber vorgegangen.

Das stimmt. Das Amt hat im Herbst 2015 angeordnet, dass VW seine Diesel-Motoren in einen rechtmäßigen Zustand versetzen muss, weil sonst die Typengenehmigung widerrufen werde. Darauf hat der VW-Konzern für 80 verschiedene Fahrzeug-Typen Software-Lösungen entwickelt, die das Kraftfahrt-Bundesamt jeweils freigegeben hat. In diesen Freigabebescheiden hat das Amt allerdings ausdrücklich anerkannt, dass noch weitere Abschalteinrichtungen in den Motoren verbaut sind, die zulässig seien.

Und was ist seitdem passiert?

Die DUH hat beim Verwaltungsgericht Schleswig gegen die 80 Freigabebescheide für VW geklagt, ebenso gegen 28 Freigabebescheide für Daimler und zu mehreren Modellen bei Opel. Leider müssen wir in den Prozessen erst noch eine Grundsatzfrage klären.

Welche?

Es ist noch umstritten, ob die DUH in dieser Konstellation überhaupt klagen darf. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz sieht vor, dass Umweltverbände nicht gegen die Typengenehmigung von Autos klagen können. Das hat Verkehrsminister Scheuer 2017 durchgesetzt. Wir gehen aber davon aus, dass sich die Klagebefugnis der DUH aus europäischem und internationalem Recht ergibt – der so genannten Aarhus-Konvention.

Wer entscheidet darüber?

Das VG Schleswig hat Ende 2019 einen Musterfall dem EuGH zur Klärung vorgelegt. Ich bin sicher, dass der EuGH bald in unserem Sinne entscheiden wird. Und dann wird wohl auch das VG Schleswig die Thermofenster für illegal erklären.

Und dann kommt der große Rückruf?

VW wird sicher erstmal durch die Instanzen gehen, bis zum Bundesverwaltungsgericht. Aber dann muss das Kraftfahrt-Bundesamt die Nachrüstung aller Diesel-PKW anordnen.

Können Dieselkäufer dann auch Schadensersatz verlangen?

Das steht auf einem anderen Blatt. Der Bundesgerichtshof hat zwar im Mai 2020 entschieden, dass VW viele Dieselkäufer „vorsätzlich sittenwidrig“ geschädigt hat und deshalb schadenersatzpflichtig ist. Das bezog sich aber auf die Prüfstand-Software. Vieles spricht dafür, dass dies auf die Thermofenster zu übertragen ist.

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16 Kommentare

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  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    "Die Antwort des EuGH ist aber universell und natürlich auch auf Thermofenster anwendbar."

    Und das entscheidet die DUH? Wohl kaum!

  • Die Deutsche Umwelthilfe wird in ihrem Bemühen um die Beerdigung der deutschen Industrie von vielen Unwissenden unterstützt. Es geht hier mitnichten um die Umwelt sondern darum, wer uns in Zukunft welche Autos verkaufen wird.

  • Dann haben wir alles richtig gemacht, als wir beschlossen haben, unseren Euro-3 Diesel weiterzufahren statt durch einen Neuen zu ersetzen.

    • @Luftfahrer:

      Nö. Sie machen genauso viel Dreck und



      Lärm wie vorher, wie kann man sowas "richtig" finden?

      • @Mitch Miller:

        Wir haben einen Haufen Geld für die Anschaffung und Ärger mit Rückrufaktionen und Softwareupdates gespart. Auf ein frühzeitig verschlissenes AGR-Ventil und andere Probleme haben wir keine Lust. Zudem ist der junge Gebrauchte von den Fahrverboten genauso betroffen wie das Altfahrzeug. Folglich alles richtig gemacht. Jetzt erstmal abwarten, ob Elektroautos und Euro-6 Diesel auch noch allerlei Ärger bekommen, dann wäre auch das eine Fehlinvestition.

  • Die DUH hat 113 hauptberufliche Mitarbeiter aber nur 443 Mitglieder. Sie bezieht ihr Einkommen fast ausschließlich aus Steuergeldern, Abmahnungen und Industriespenden, letztere schwerpunktmäßig von der ausländischen Konkurrenz deutscher Hersteller.



    Man kann so eine Firma sicher "Umweltverband" nennen, man muß aber nicht.

    • @Axel Berger:

      Und? Wen interessiert das?

      Die Lobby und bestechliche Politiker haben wachsweiche Gesetze verfasst und abgenickt, sowie die Automobilindustrie diese selbst verfassten Gesetze maximal zu den eigenen Gunsten ausgelegt.

      Jetzt müssen halt Gerichte entscheiden ob das so rechtens war. Und außer der DUH treibt keiner das Thema. Im Gegenteil: das Kraftfahrzeugbundesamt arbeitet völlig gegen die Interessen der Bevölkerung.

      Die wahren Gegner sitzen in den Vorständen der Automobilkonzerne - nicht bei der DUH. Und das die sich finanzieren müssen: geschenkt. Niemand arbeitet umsonst!

    • @Axel Berger:

      Man kann das Kraftfahrt-Bundesamt auch als objektive und vertrauenswürdige Institution bezeichnen, die die Interessen der BürgerinnenundBürgerunseres Staatesvertritt, muss man aber nicht. Da diese Institution ausfällt, haben wir zum großen Glück die Deutsche Umwelthilfe.

    • @Axel Berger:

      Vorbildlich funktionierender Laden. Mehr davon.

  • naja verbrennungsmotoren erzeugen abgase da können soviele filter eingebaut wie man will es wird immer dreck erzeugt.das ganze ist seit jahrzehnten bekannt und wer ein sauberes auti kaufen will soll sich ein e-auto kaufen die batterien sind inzwischen kobaltfrei und haben weniger lithium und in norddeutschland ist der strom inzwischen fast 100% co2frei.

    • @prius:

      Der Anteil regenerativer Energien liegt bei ca. 40 %. Die Produktion von Autos bedeutet ein großer Ressourcen- und Energieaufwand. Wer sich wesentlich sauberer fortbewegen will, nutzt ÖPNV, Fahrrad usw..

    • @prius:

      Seit wann ist der Strommix in Norddeutschland "fast 100% co2frei"?



      Rechnet man ca. 24% Strom aus Atomkraftwerken als co2-frei hinzu, liegt der Mix gerade einmal bei 74%, der Rest kommt noch immer aus dem Bereich Erdgas und Kohle.

      Beim Erwerb eines e-Autos sollte man auch die durchschnittliche Fahrleistung betrachten. Ein Diesel der Oberklasse (300 Gramm co2/100km) kann immer noch rund 80.000 km fahren, bis das e-Auto ökologisch gleichzieht. Viele Autos werden jedoch deutlich weniger bewegt.

      Ökologisch fahren heißt ÖPVN oder Fahrrad nutzen, soweit es geht und auf dem (abgehängten) Land Fahrgemeinschaften bilden.

    • @prius:

      Weder Verbrennungautos noch e-Autos sind Natur-Kreaturen. Deswegen werden sie Footprints als COx oder NOx haben...



      Keyword: Well-to-wheel.

      Und falsch: Viele Batterien haben/werden haben müssen Lithium drin..



      Der Wettlauf um "limitierte" Resourcen in Chile, Bolivien, China, Australien schon angefangen.

      • @H B:

        Ah, den Begriff Well-to-wheel kannte ich noch nicht.



        Für eine Gesamtbilanz müsste allerdings die Herstellung und Infrastruktur einbezogen werden.