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Antrag auf dem BundesparteitagSPD soll Mindestlohn-Ausnahme für Landwirtschaft ablehnen

Das wird dem Bauernverband missfallen: Ein Antrag für den SPD-Parteitag wendet sich gegen Ausnahmen vom Mindestlohn in der Landwirtschaft.

Saisonale Ern­te­hel­fe­r*in­nen haben oft auch keine reguläre Sozialversicherung Foto: inderlied/kirchner-media/imago

Berlin taz | Der SPD liegt ein Antrag gegen Ausnahmen vom Mindestlohn für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft vor. „Der SPD-Bundesparteitag lehnt die Forderung des Deutschen Bauernverbands, Saisonarbeitskräften künftig nur noch 80 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns zu zahlen, mit Nachdruck ab“, heißt es in dem Papier. So eine Ausnahme wäre „eine Form des Lohndumpings auf dem Rücken der Beschäftigten“. Zu den Initiatoren gehören unter anderem die bayerische Landesvorsitzende Ronja Endres und das Bundesvorstandsmitglied Florian von Brunn.

Ihr Antrag für das am Freitag beginnende Parteitreffen kritisiert, dass Bundesagrarminister Alois Rainer (CSU) sich offen für die Forderung des Bauernverbands zeige. Das stehe im Widerspruch zum Geist des Koalitionsvertrags, „der nicht auf das Infragestellen, sondern eine Erhöhung des Mindestlohns abzielt“. Die SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung müssten sich gegen jede Form von Mindestlohn-Ausnahmen einsetzen.

Die Bedingungen in der Saisonarbeit sind dem Antrag zufolge bereits heute vielfach prekär. Zum Beispiel das Beratungsnetzwerk „Faire Mobilität“ des DGB und die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt dokumentieren schwere Missstände: So würde der Mindestlohn vielfach unterschritten, Überstunden nicht bezahlt oder den Beschäftigten würden hohe Beträge für Unterkunft und Transport vom Lohn abgezogen.

Eine Mindestlohn-Ausnahme könnte sich laut Antrag auch auf die anderen Löhne in der Landwirtschaft auswirken, denn diese würden sich oft am Abstand zu der gesetzlichen Untergrenze orientieren. Sie lägen aktuell bei circa 15 bis 16 Euro pro Stunde.

Bauernverband warnt vor mehr Obstimporten

Die Landwirte profitierten bereits jetzt schon in dem Bereich von einer Reihe von Sonderregelungen, beispielsweise bei der weitgehend sozialversicherungsfreien kurzfristigen Beschäftigung. Bei EU-Staatsbürgern wäre eine Ausnahme vom gesetzlichen Mindestlohn zudem ein Verstoß gegen das Prinzip der Gleichbehandlung und „somit auch europarechtswidrig“, heißt es in dem Antrag. Niedrigere Löhne würden zudem den Arbeitskräftemangel in vielen Betrieben verschärfen.

Der Bauernverband hatte seine Forderung mit den „geringeren Lebenshaltungskosten in den Herkunftsländern“ der Saisonarbeitskräfte gerechtfertigt, von denen viele aus Osteuropa kommen. Sollte der Mindestlohn ohne Ausnahme auf 15 Euro pro Stunde erhöht werden, würden viele Betriebe aus dem Gemüse-, Obst- und Weinbau aussteigen, so Verbandspräsident Joachim Rukwied.

Tatsächlich ist Deutschlands Selbstversorgungsgrad zum Beispiel bei Obst im vergangenen Jahrzehnt trotz Mindestlohn-Erhöhungen kaum gesunken: In den fünf Jahren von 2019 bis 2023 produzierte Deutschland Zahlen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung zufolge im Schnitt 20,40 Prozent des hierzulande verbrauchten Obstes. In den fünf Jahren davor 20,46 Prozent. Bei Gemüse war der Grad der Selbstversorgung mit rund 36 Prozent in beiden Zeiträumen ebenfalls fast konstant. Dass Deutschland nur so wenig Obst und Gemüse selbst produziert, liegt nicht nur an den Arbeitskosten, sondern zum Beispiel auch am Klima.

242.800 Menschen waren von März 2022 bis Februar 2023 nur saisonal in der Landwirtschaft angestellt, wie das Statistische Bundesamt berichtet. Sie ernteten zum Beispiel Spargel, Erdbeeren oder Weintrauben und erledigten auch andere Tätigkeiten auf den Höfen. Die Arbeiter sollen in der Regel den Mindestlohn in Höhe von 12,82 Euro erhalten und haben oft keine reguläre Sozialversicherung.

Die Mindestlohnkommission aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern vereinbarte am Freitag eine Erhöhung in zwei Stufen: Demnach soll der gesetzliche Mindestlohn zum 1.1.2026 um 1,08 Euro auf 13,90 Euro steigen. In einem zweiten Schritt sind ab 1.1.2027 dann 70 Cent mehr, also 14,60 Euro vorgesehen. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag stand noch, dass ein Mindestlohn von 15 Euro bereits im Jahr 2026 „erreichbar“ sei.

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19 Kommentare

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  • "Dass Deutschland nur so wenig Obst und Gemüse selbst produziert, liegt nicht nur an den Arbeitskosten, sondern zum Beispiel auch am Klima."

    Es dürfte aber kaum am Klima liegen, wenn im Ein-Maschinenbediener-Betrieb "Energiepflanzen" statt personalintensiver pflanzlicher Lebensmittel angebaut werden.

  • Die sPD hat bis jetzt ja noch nicht mal den "normalen" Mindestlohn durchgesetzt, die 15€. Dass es Ausnahmen nach unten davon geben könnte, ist sowieso indiskutabel.



    Aber wie kommt dieser Mindestlohn überhaupt zustande? Er soll die ArbeitnehmerInnen "armutsfest" machen. Ist da auch miteingerechnet, dass zur Armutsfestigkeit auch das Alter gehört? Denn auch mit 15€ Mindestlohn ist man mit 100% Sicherheit im Alter arm. Für eine auskömmliche Rente reicht das niemals - ungeachtet der Frage, was die Regierung dem Rentensystem noch so alles antun wird in den kommenden Jahren.

  • Mindestlohn heißt deswegen so, weil niemand für seine Arbeit in Deutschland weniger verdienen sollte. Ja, das gilt auch für Erntehelfer, Ausländer, Menschen mit Behinderung die in Werkstätten arbeiten...

  • Nun die Frage ist, ich bin absoluter Verfechter des Mindestlohns, lohnt sich dann manuelle Feldarbeit in Deutschland noch?

    Ich glaube eher nicht, da wir sonst für unser "heimisches" Obst und Gemüse so viel zahlen müssten, dass es sich einige nicht mehr leisten können.

    Ob dann Importe aus anderen Ländern, sozial gerechter und klimafreundlicher sind sei dahin gestellt.

    • @weather2018:

      "lohnt sich dann manuelle Feldarbeit in Deutschland noch?"

      Nachdem ja der Artikel korrekt feststellt, dass gerade bei den "guten" also den pflanzlichen Lebensmitteln sowieso am internationalen Markt eingekauft werden muss, kennt der Handel die (Einkaufs)Preise ganz gut und macht entsprechend Druck - es hat beispielsweise schon seinen Grund, warum man praktisch keine Tafeltrauben mehr aus Deutschland bekommt (wer nicht als Prädikatsweingut die Flasche Wein für 15€ aufwärts verkauft, kann sich Handarbeit bei der Lese schon seit der Jahrtausendwende kaum noch leisten - und selbst die haben inzwischen Vollerntemaschinen) und selbst die Ware aus Italien inzwischen langsam durch Importware aus Namibia, Indien oder Brasilien ersetzt wird. Oder Heidelbeeren inzwischen eher aus Peru oder Marokko kommen als aus Spanien...

      Selbst im Bio-Landbau wird ja in Europa inzwischen verstärkt im industriellen Stil (also mit ein paar wenigen - deutlich über Mindestlohn bezahlten Menschen, aber dafür mit jeder Menge Maschinen) gearbeitet...

      • @FriedrichHecker:

        "Nachdem ja der Artikel korrekt feststellt, dass gerade bei den "guten" also den pflanzlichen Lebensmitteln sowieso am internationalen Markt eingekauft werden muss,... "

        Also wieder in eine Abhängigkeit begeben? Und was bitte ist mit dem CO2 Fußabdruck für all die Waren von außerhalb.



        Auch denke ich das die Arbeitsverhältnisse in manchen Teilen der Welt nicht so optimal sind, als das man/frau die Produkte guten Gewissens kaufen kann.



        Mir kommt es langsam wie bei vielen Dingen hier in Deutschland vor aus den Augen aus den Sinn.

  • Kaufe soweiso die billigeren ERdbeeren aus Bulgarien im Kaufland. Gleicher Preis (oder billiger) als vom Selbstpfücker-Feld nebenan.

    Wenn der Mindestlohn steigt für die Landwirtschaft, dnn wird haltr weniger hier produziert und verkauft da teurer. Kann man dann in Natur umwandeln. Win:Win für jeden.

    • @Franz Tom:

      In Natur umwandeln? Das gibt Bauplätze gegen die Wohnungsnot! 🤣

  • Diese weitere "Ausnahme" wäre das endgültige Ende des Mindestlohnes, schlechterdings eine Farce.

    Eine weiter Folge davon dass man ja gegen den Sozialstaat hetzen darf wie man mag, weil ein von der Ewigkeitsgarantie geschütztes Staatsstrukturprinzip nicht "wesensgehaltig" für die sogenannte FDGO so, gegen die man ja nicht hetzen und agieren darf.

    • @freedomrights:

      Chapeau Fein gesagt!

      Als einer - der es in der wenig milderen Form bilebt hett - datt‘de in der Erntezeit - tonn Middach inne Köök nich inkamst: - dee Sesoniers die Saison-Wanderarbeiter sitten to Dish! - Und zogen weiter! Eben



      &



      Das ist heute eine weit brutalere Realität •



      &



      Etwas anderer Dreh - aber niemand hat es besser auf den Punkt gebracht als er



      Otis Redding - Sittin’ On) The Dock of the Bay -



      de.wikipedia.org/w...he_Dock_of_the_Bay



      Otis laß gehn. www.youtube.com/wa...UMb3RpcyByZWRkaW5n



      &



      Art 20 GG “sozialer Rechtsstaat“



      Der Vater/Erfinder dieser - von Anfang an von den Rechten (Forsthoff “Redaktionsversehen!“



      bekämpften vom Roché de Bronce Art 79 GG Ewigkeitsgarantie geschützten Verfassungsformel - Hermann Heller hat einst gegen die Carl-Schmitt-Fronde den bis heute gültigen Titel gewählt “Rechtsstaat oder Diktatur“



      www.digitale-samml...bsb11127783?page=1



      & heute ?

      Na Mahlzeit

  • Da sind wir alle sehr gespannt, ob die SPD durchhält. Zu erwarten ist das nicht. Die sind zuvorderst an ihren Pöstchen interessiert - das riskieren sie nicht. Und dann folgt das Gejammer bei der nächsten BTW, wenn sie einstellig werden - richtig so. Solche "Sozial"-Demokraten braucht Deiutschland nicht.

  • Letztendlich währe das Diskriminierung und Ausbeutung aufgrund der Herkunft.

    • @Andreas J:

      Genau. Das liegt voll auf der Linie der jetzigen Regierung.

  • Ich habe zu wenig Ahnung von der Materie, als das ich da groß mitdiskutieren könnte....aber eines weiss ich, da es in der Branche auch genügend " schwarze Schafe " mit teilweise politisch fragwürdigen Ansichten gibt, würde ein Nachgeben beim Mindestlohn Zustände schaffen, die selbst römischen Sklavenhaltern posthum Sorgenfalten auf die Stirn zaubern würden!

  • Ich würde dem Bauernverband auch keine Ausnahmen zugestehen, schon gar nicht, wenn ich mir die Argumente von Herrn Rukwied anhöre. Da die meisten Saisonarbeiter aus der EU stammen dürften, wären seine Ideen möglicherweise sogar europarechtswidrig.

    • @Aurego:

      Herr Rukwied holt sich bestimmt bald Inder für ein paar Cent auf seine Felder - es ist nicht zu fassen mit welcher Unlogik, auf welchem Level hier ein was ? Ach ja - ein Verbandspräsident hier argumentiert.



      Unglaublich !

      • @Alex_der_Wunderer:

        Die Inder arbeiten bereits alle auf Feldern in Italien. Die werden nicht ins kalte, ungemütliche Deutschland umziehen wollen.

  • Es gibt also noch Sozialdemokraten in der SPD.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      I hope so •

      Hermann Heller - der Kronjurist der Sozialdemokratie Erfinder/Vater des /



      “Sozialen Rechtsstaats““ Art 20 Grundgesetz !



      Ist’s scheint’s noch nicht ganz vergessen:



      ders.; “Rechtsstaat oder Diktatur“ - that’s the •