Antisemitismus und Hubert Aiwanger: Seine brisante Vergangenheit
Freie-Wähler-Chef Aiwanger steht wegen eines antisemitischen Flugblatts aus seiner Jugend unter Druck. Sein Bruder bekennt sich dazu. Kritik bleibt.
Wenig später räumte Aiwangers Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte zuvor von Aiwanger Aufklärung gefordert: „Es sind schlimme Vorwürfe im Raum. Dieses Flugblatt ist menschenverachtend, geradezu eklig.“
Aiwanger und Söder haben am Sonntag tagsüber mehrere Termine – Aiwanger in Ansbach und Weihenzell in Mittelfranken, Söder in Aufhausen bei Regensburg und in Bamberg. Mit Spannung wird erwartet, ob sie dort zu ihren Äußerungen vom Vortag öffentlich Stellung nehmen. Aiwanger war am Samstag, als die Vorwürfe gegen ihn im Raum standen, nicht zu einem Volksfest-Umzug in Augsburg erschienen.
In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Die CSU hatte stets erklärt, die Koalition mit den Freien Wählern nach der Wahl fortsetzen zu wollen. Alle Umfragen hatten bis zuletzt fast keinen Zweifel daran gelassen, dass dies auch möglich sein wird – wobei die Freien Wähler zuletzt bei 11 bis 14 Prozent lagen. Die CSU regiert im Freistaat seit der Wahl 2018 zusammen mit den Freien Wählern.
Aiwanger wirft SZ Schmutzkampagne vor
Nach den Aufklärungsaufforderungen von Söder und auch aus der Bundesregierung hatte der 52 Jahre alte Aiwanger in einer schriftlichen Erklärung mitgeteilt: „Ich habe das fragliche Papier nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend.“ Es seien lediglich damals Exemplare des Flugblatts in seiner Schultasche gefunden worden. Über einen Sprecher hatte Aiwanger der SZ bereits zuvor mitgeteilt, er habe „so etwas nicht produziert“, und eine „Schmutzkampagne“ beklagt.
Wenig später räumte sein ein Jahr älterer Bruder ein: „Ich bin der Verfasser des in der Presse wiedergegebenen Flugblattes.“ In einer persönlichen Erklärung sagte er weiter: „Ich distanziere mich in jeder Hinsicht von dem unsäglichen Inhalt und bedauere sehr die Folgen dieses Tuns. Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war.“
Die Freien Wähler, deren Bundesvorsitzender und Aushängeschild Hubert Aiwanger ist, stellten sich demonstrativ hinter ihn und verurteilten den Inhalt des Pamphlets. „Als Bundespartei legen wir besonderen Wert darauf, uns noch einmal in aller Deutlichkeit von dem fraglichen Flugblatt abzugrenzen“, heißt es in einer Mitteilung. „Wir Freien Wähler stehen für ein entschiedenes Einschreiten gegen alle Erscheinungsformen des Antisemitismus.“
Der stellvertretende Bundesvorsitzende Martin Petry fügte hinzu: „Wir kennen Hubert Aiwanger seit vielen Jahren, nicht nur aus der Zusammenarbeit im Bundesvorstand, und haben von ihm noch nie eine einzige antisemitische Äußerung gehört.“ Der Parlamentarische Geschäftsführer Fabian Mehring hatte zuvor beklagt, „welche Kampagnen sechs Wochen vor wichtigen Wahlen gegen uns gefahren werden, nachdem wir Freie Wähler auf der politischen Erfolgswelle schwimmen“.
Scharfe Kritik auch aus dem Bund
Am Samstag hatten sich zahlreiche Bundes- und Landespolitiker zu Wort gemeldet und von Aiwanger eine Stellungnahme eingefordert. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte beim Twitter-Nachfolger X geschrieben: „Wer die Opfer von Auschwitz verhöhnt, darf in unserem Land keine Verantwortung tragen. Die schwerwiegenden Vorwürfe müssen dringend aufgeklärt werden.“ Mehrfach wurde Aiwangers Rücktritt gefordert, wenn sich die Vorwürfe bewahrheiten sollten. Die SPD hatte eine Sondersitzung des Landtags verlangt.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Selbst wenn Aiwanger das Flugblatt nicht selbst verfasst, aber mit sich getragen und verteilt haben sollte, lassen die widerlichen und menschenverachtenden Formulierungen Rückschlüsse auf die Gesinnung zu, die dem zugrunde lag.“
Aiwanger war zuletzt wegen umstrittener Äußerungen auf einer Kundgebung bundesweit in die Schlagzeilen geraten. Er hatte dort unter anderem gesagt, dass die schweigende Mehrheit sich die „Demokratie zurückholen“ müsse. Ihm wurde daraufhin – wie schon oft – Populismus vorgehalten. In der bayerischen Landesregierung ist Aiwanger Minister für Wirtschaft und Energie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit