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Antisemitismus in der CoronakriseAlte Feindbilder neu

In der Coronapandemie finden antisemitische Vorurteile besonders großen Anklang. Die Anhänger solcher Weltbilder sind nicht mehr zu retten.

Tragen des Davidsterns: eine Überzeichnung der heutigen Situation und Verharmlosung der Nazizeit Foto: Boris Roessler/dpa

Judensterne mit der Aufschrift „Ungeimpft“, Schmähungen des jüdischen Geschäftsmanns George Soros, Berichte, wonach „zionistische Geheimlabore“ das Virus hergestellt hätten: Die Coronakrise scheint ein idealer Nährboden für antisemitische Vorurteile zu sein.

Latent vorhandener Antisemitismus „erhält neue Nahrung“, sagt dazu der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein. Der Psychologe Ahmad Mansour geht davon aus, dass alte Feindbilder an die aktuelle Situation angepasst werden. Kaum ein Feindbild eignet sich dafür besser als die Mär von der „jüdischen Weltverschwörung“, die eine „Weltregierung“ plane und dazu das Virus als Vorwand für die Knechtung der Bevölkerung erfunden habe.

Wenn es um die Frage geht, wie sich solcher gefährlicher Unsinn bekämpfen lässt, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Es hat seit Ende des 19. Jahrhunderts nicht an Versuchen gefehlt, den Antisemitismus zu bekämpfen. Doch das Ergebnis dieser Versuche fällt deprimierend aus. Der Verein zur Abwehr des Antisemitismus wurde 1890 im Deutschen Kaiserreich gegründet. Sein Ziel: den Judenhass mit rationalen Argumenten bekämpfen.

Bis 1933 erschienen in Deutschland Tausende Flugblätter und Druckschriften gegen den Judenhass, angefangen bei den „Abwehrblättern“ bis hin zum „Anti-Anti“ des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens.

Diese Loseblattsammlung zerlegt antisemitisch geprägte Behauptungen von A wie „Auslandsbanken“ bis Z wie „Zersetzender Geist“ mit bemerkenswerter Gründlichkeit und erschien in sieben Auflagen. „Wir müssen endlich einmal endgültig dieser unwürdigen Judenhetze im deutschen Volke ein Ende machen, aus Wahrheitsliebe und Gerechtigkeit gegenüber unseren jüdischen Mitbürgern, aus Liebe zum deutschen Volke, zur deutschen Kultur“, heißt es im Vorwort.

So inkohärent der Antisemitismus in seinen Argumentationsmustern ist, die „den Juden“ gleichzeitig für die Schrecken von Kommunismus und Kapitalismus verantwortlich machen, so wenig sind deren Anhänger rationalen Argumenten zugänglich. Und schon damals galt, was heute im Zeitalter der sogenannten sozialen Medien erst recht manifest ist: Antisemiten sind mit dieser Art Publikationen gar nicht zu erreichen. Sie nehmen sie schlicht nicht zur Kenntnis, sondern entnehmen ihre „Argumente“ ihrer eigenen gefilterten Blase.

Bekehrung scheint aussichtslos

Diese Erkenntnis ist angekommen: Versuche, eingefleischte Antisemiten vom Unsinn ihres Glaubens zu überzeugen, werden kaum mehr unternommen. Stattdessen bemühen sich Pädagogen und Gedenkstätten darum, judenfeindliche Vorurteile zu bekämpfen, schon bevor sich diese in den Köpfen festsetzen. Wenn dagegen Antisemiten Gesetze verletzen, ist die Staatsanwaltschaft gefragt.

Antisemitische Vorurteile erleben im Rahmen der irrationalen Suche nach Schuldigen für die Coronakrise eine Aufwertung, darin sind sich Experten einig. Ihre Vorstellungswelt ist ähnlich irrational wie vor 1945, auch wenn sich die Bezugspunkte verändert haben: Da werden einerseits Vergleiche zwischen 2020 und dem Ermächtigungsgesetz 1933 gezogen, um die Bedrohlichkeit der heutigen Situation zu überzeichnen (und die Nazizeit zu verharmlosen), andererseits wird Juden eine abgrundtiefe Bösartigkeit angedichtet, obwohl es doch genau diese waren, die ab 1933 unter dem NS-Regime am meisten zu leiden hatten.

Mit dem Wissen um die Geschichte erscheint es einigermaßen aussichtslos, antisemitische Verschwörungsmystiker bekehren zu wollen. Felix Klein empfiehlt, gegenüber den Mitläufern „Druck zu machen“. Es müsse für sie unangenehm werden, ihre Hassbotschaften zu verbreiten. Gegen die Ideologen dagegen helfe „nur Repression“.

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8 Kommentare

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  • Warum müssen die in der Bekämpfung von Antisemitismus wahrnehmbaren Stimmen es immer wieder so weit überzeichnen, dass ich mich gezwungen sehe, ihnen vehement zu widersprechen, obwohl ich ihr Anliegen viel lieber unterstützen würde?

    Wer Vergleiche zu Ermächtigungsgesetzen und Judensternen zieht, um seine eigene Angst vor Entmachtung und Stigmatisierung zum Ausdruck zu bringen, bezeugt damit nicht gerade historisches Bewusstsein und guten Geschmack.

    Das aber als Beleg für absichtliche Verharmlosung von Naziregime und Holocaust sowie Antisemitismus heranzuziehen, ist seinerseits in gefährlicher Weise realitätsfremd und geschichtsvergessen. Ja, es verharmlost indirekt sogar selbst echten Antisemitismus und folgt einer plumpen Logik der Eskalation von Vorwürfen, die es nicht in Qualitätsmedien schaffen sollte.

  • 2G
    2422 (Profil gelöscht)

    Es ist für mich schlicht unfassbar, wie aus der Warnung Brechts "Der Schoß ist fruchtbar noch aus dem das kroch" die gegenwärtige Gesinnungsschnüffelei werden konnte, in der ein staatlich bestallter "Antisemitismusbeauftragter" nach seinem Belieben politisch mißliebige Personen mit Antisemitismusanwürfen denunzieren kann.

  • Ist schon sehr praktisch, jede Verantwortung für irgendwas von sich zu schieben und sie dem "guten alten Juden" in die Schuhe zustecken. Der war's ja schon immer schuld.

    Genau genommen sind (anti)semitische Feindbilder also ein Ausdruck psychischer Erkrankung, ein Vermeiden der Selbstreflektion und Verdrängung, um sich selbst nicht sehen zu müssen.

  • Wäre Bill Gates Jude, die Verschwörungstheoretiker würden ihr Glück kaum fassen können.

    Gibt man bei Google "Bill Gates Jude" ein, bekommt man 4 Millionen Einträge angezeigt. Die Hoffnung muss groß gewesen sein.

    • 2G
      2422 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      ...Dagobert Duck, dieser geldgierige Bänker, kriegt bei dieser Phrase nur knapp über 1 Millionen Treffer, während Donald Duck über 2,5 Millionen Treffer erzielt. Wie interpretieren Sie im Lichte Ihrer Hypothese dann dieses Ergebnis?

    • @Jim Hawkins:

      Prima!! Sie haben's auf den Punkt gebracht!!

  • Ja leider. Wann immer mit Verschwörungsglaube die ganze Welt erklärt wird greifen nun auch Leichtgläubige im Corona Erklärfieber auf die in jeder Warenauslage angebotenen antisemitische Vorurteile zurück die "dank" dem Aufschwung alter und neuer Rechten und ihrer Sprache und Denkmuster im normalen Sprachgebrauch wieder selbstverständlich quasi schamlos feilgeboten werden für den Hausgebrauch. Aufklärung und klare Stoppschilder gerade im eigenen social media oder analogen Bekanntenkreis können aber was bewirken. Damit kann ich die gar nicht mehr wahrnehmenden sondern nur noch likenden und weiterleitenden aufrütteln, dass eben NICHT ALLES was die "Freunde" der Community verschicken schon okay ist. Erst lesen dann denken und gegebenfalls LÖSCHEN und vor allem sofort NACHHAKEN bei besagten "Freunden" empfehle ich da. Wissen sie was sie da verschickt haben? Überzeugte Gläubige da haben Sie wohl Recht können tatsächlich kaum mit Fakten erreicht werden alle anderen schon und sie müssen erreicht werden um wenigstens den Durchfluss und die Verbreitung einzudämmen.

  • Es geht den Anhängern der antisemitischen Verschwörungstheorien nicht um Fakten, sondern um ein bequemes Ventil für ihre Frustrationen. Gleichwohl ist die Faktensammlung wichtig. Ich werde sie mir beizeiten besorgen.