Antisemitismus im HipHop: Gewaltphantasien im Kontext sehen
In der Debatte um das Echo-Desaster gibt es viel zu lernen – auch über die verbreitete Ahnungslosigkeit im Hinblick auf Subkulturen.
Wenn es etwas Erfreuliches an der Verleihung des Musikindustriepreises Echo an Kollegah und Farid Bang gibt, dann die Tatsache, dass sie mal ordentlich den Dreck unter dem Teppich hervorkehrt. Denn in der anhaltenden Debatte darüber kann man eine Menge lernen: über (muslimischen) Antisemitismus im deutschen Rap generell. Darüber, dass die unsägliche Zeile der Echo-Gewinner („Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“) sicher kein Zufall war. Über Bertelsmann, Monika Grütters und Helene Fischer. Und über eine Ahnungslosigkeit im Hinblick auf Subkulturen.
Zu letzterem vielleicht zuerst: Wenn jetzt ernsthaft die olle Kamelle vom grundsätzlich bösen Gangsta- und Battle-Rap wieder aufgewärmt wird, wie es diese Woche einige Kommentatoren taten, zeigt das nur, wie wenig man sich mit dieser Subkultur auseinandersetzen will. Hierzulande gab es etwa verdienstvolle Labels wie das von Marcus Staiger betriebene Royal Bunker, ohne das deutsche Jugendkultur nicht deutsche Jugendkultur wäre. Von den Beginnen in den USA, von N.W.A. (Niggers with Attitude), Dr. Dre oder auch Public Enemy ganz zu schweigen. Natürlich muss man über Antisemitismus, Sexismus und Gewaltphantasien im HipHop sprechen, aber im Kontext. Bitte jetzt nicht jedes „bitch“, „Kopfschuss“ und „Hurensohn“ auf die Goldwaage legen!
Denn den Kontext gibt es in Bezug auf Antisemitismus ja sehr wohl: Rapper wie Bushido, Kollegah und Massiv arbeiten immer wieder mit antisemitischen Stereotypen. Bushido hatte als Twitter-Profil mal eine Landkarte, von der der Staat Israel verschwunden war, Kollegah beschwört im Clip zu „Apokalypse“ eine Welt, die vom Finanzjudentum dominiert ist und die es zu befreien gilt. Bei dem Berliner Rapper Massiv fanden dagegen 9/11- Verschwörungstheorie und Hasstiraden auf Israel zusammen. Alle eint, dass sie im Nahostkonflikt ohne jeden Zweifel propalästinensisch sind.
Antisemitische Stereotype
Und auch Haftbefehl, der um einiges reflektierter ist als die genannten und eine völlig andere Ästhetik hat (beziehungsweise überhaupt eine Ästhetik hat), platziert immer wieder antisemitische Stereotype. Seine Line „Ich verticke Kokain an die Juden von der Börse“ verteidigte er mal damit, er habe nun mal als Jugendlicher Drogen an Bänker mit jüdischem Hintergrund verkauft. Wirklich so naiv, Haft?
Bei Haftbefehl bilden kruder Antikapitalismus und Verschwörungstheorie schon zu einer merkwürdigen Koinzidenz, auf dem 2015er-Album „Unzensiert“ fällt insbesondere der Song „Hang the bankers“ auf, in dem er unter anderem von der „Rothschild-Theorie“ spricht. Selbst wenn er das nicht für bare Münze nimmt, dürfte er damit Anklang bei den Antisemiten unter seinen Fans finden.
Was das Echo-Schlamassel auch zeigt: Innerhalb unserer Blasen wachen wir erst auf, wenn ein Kollegah bei einem Stadtfest auftreten soll (wie 2017) oder wenn er als preiswürdig erachtet wird. In kulturpolitischer Hinsicht dagegen herrscht üblicherweise Ignoranz gegenüber Subkulturen – denn Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die sich nun empört zeigte, interessiert sich für Popkultur auch nur, wenn’s brennt. Bertelsmann wiederum, das Label von Kollegah und Farid Bang, das das ausgezeichnete Album „Jung Brutal Gutaussehend 3“ herausgebracht hatte, verteidigte das Rap-Duo zunächst noch – um dann die Zusammenarbeit tags darauf doch zu beenden. Nun will man eine Kampagne gegen Antisemitismus mit 100.000 Euro unterstützen.
Das ist mindestens so unglaubwürdig wie Helene Fischer, die sich nach massivem öffentlichem Druck im Alter von 33 Jahren erstmals politisch äußerste und via Facebook mitteilte, wie „unangemessen und beschämend“ sie den Auftritt von Kollegah und Farid Bang fand. Nicht allerdings, ohne zuvor zu erwähnen, wie sehr es sie ärgere, „dass dieses Thema in dieser Form mit meinem Namen verknüpft wird“.
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