piwik no script img

Antisemitismus als globales PhänomenKampf gegen Nazis muss global sein

Politische Verantwortung sollten alle tragen. Unabhängig davon, ob die eigenen Vorfahr_innen an Menschheitsverbrechen beteiligt waren.

Das KZ Sachsenhausen am 25. Januar 2022 Foto: Markus Schreiber/ap

M eine Vorfahren waren nicht am Holocaust beteiligt. Das ist kein Flex, auch wenn ich zugebe, dass ich froh darum bin. Ich habe keine deutsche oder österreichische Familie. Keiner meiner (Ur-)Großeltern war in der Wehrmacht, bei der SS, der SA, in der HJ, im BDM oder in der NSDAP.

Niemaus in meiner Familie war KZ-Wärter_in oder hat Nachbar_innen verpetzt. Die Mehrheit der Deutschen kann das nicht von sich behaupten. Ich denke nicht, dass es mich zu einem besseren Menschen macht. Aus Kindern und (Ur)-Enkel_innen von Faschist_innen können immer auch Antifaschist_innen werden. Leider funktioniert das Ganze auch andersrum.

Für meine politische Verantwortung spielt es keine Rolle, was meine Verwandten (nicht) gemacht haben. Würde ich nach, sagen wir, Kanada ziehen, würde ich mich schließlich auch mit dem Genozid an den First Nations auseinandersetzen und entsprechend handeln. Nicht, dass sich ein Verbrechen mit dem anderen vergleichen ließe, doch die Essenz bleibt: Die Geschichte des Ortes, an dem ich lebe, muss nicht mit meiner Familie zu tun haben, um heute Konsequenzen daraus zu ziehen.

Trotzdem beobachte ich manchmal, dass Menschen, deren (Groß-)Eltern oder sie selbst erst nach 1945 nach Deutschland gekommen sind, sich selbst einen Freifahrtschein ausstellen, um sich nicht mit Antisemitismus ausein­andersetzen zu müssen. Nicht, dass weiße Deutsche gut darin sind, Verantwortung aus ihrer Geschichte zu übernehmen, aber das ist keine Ausrede.

Unbedarft „nie wieder“ posten

Als sei es eine ausschließlich deutsche und nicht globale Verantwortung, wenn es um die Aufgabe geht zu verhindern, dass sich so etwas wie der Holocaust wiederholt. Kurze Geografiehilfe: Colleyville, Pittsburgh, Alexandria, Ravenna, Isfahan, Évora oder Basra liegen woanders.

Offensichtlich können manche Menschen Zusammenhänge ganz gut voneinander trennen: Eine nationalsozialistische Vergangenheit von einer postnationalsozialistischen Gegenwart, Antisemitismus vom Holocaust oder die Shoah von Israels Existenz. Wie oft habe ich letztes Jahr am 27. Januar auf Social Media gesehen, dass Leute unbedarft „nie wieder“ posten, während sie ihren von Doppelmoral und antisemitischen Narrativen getränkten Hass auf Israel kundtun.

Weil für sie nichts mit nichts zu tun hat. Solche Takes entstehen, wenn Leute denken, die Auseinandersetzung mit Antisemitismus sei für sie irrelevant, weil sie in der Schule was zur NS-Zeit gelernt, ein Buch über Antirassismus gelesen oder keine Nazivorfahren haben. Die Kolleg_innen werden nicht müde zu betonen, gegen Antisemitismus zu sein, ohne richtig sagen zu können, was Antisemitismus eigentlich ist.

Auch mit vagem Antisemitismusverständnis erinnert dieser Tag daran, dass es nicht reicht, ein System schlecht zu finden, um es zu verhindern. „Nie wieder“ heißt kämpfen, egal, wo maus herkommt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Hengameh Yaghoobifarah
Mitarbeiter_in
Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.
Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Der Artikel erscheint mir etwas wirr und inkonsistent. Aber ich glaube, dass ich ihn trotz einiger Umwege und Sackgassen im Artikel entschlüsselt habe.

    Als Mensch trägst du die universielle Verantwortung aus der Geschichte zu lernen und entsprechend zu handeln. Hier am Beispiel Antisemitismus.

    Leider wird, und da stimme ich BLAUERMOND zu, H. Yaghoobifarah am Schluss nicht konkret. Schade.

  • Auch hier wird wieder sehr vage etwas gefordert, was am Ende von vielen "Durchschnittsbürgern" ohne direkten politischen oder sonstigen Einfluss nur als Aufruf zu Schuldgefühlen interpretiert werden könnte.

    So weit mir bekannt ist, waren "die Deutschen" doch nach dem zweiten Weltkrieg ziemlich vorbildlich im öffentlichen Aufarbeiten "ihrer" Schuld. Wobei Heinz Müller ja nicht zwingend persönlich Schuld hatte, weil ihm wenige Handlungsoptionen blieben.



    Ich weiß von einem Vorfahr, der (wenige) Juden versteckte (die er von der Arbeit persönlich kannte). Offenbar ist ihm das auch gelungen, vielleicht, weil er eine relativ hohe berufliche Position hatte (Leiter von Bergwerg - damit wäre er heute wieder in der Schusslinie von FFF).

    Was aber bringt mir das? Was, wenn er überzeugter Nazi gewesen wäre?

    Mich stört dieses schwammige "schämt euch für eure Vergangenheit, Identität, Hautfarbe, Nationalität" extrem, weil es oft den Falschen, die sich im Alltag schon um die beste Mitmenschlichkeit bemühen, einfach nur Schuldgefühle aufdrückt. "Ich bin schlecht, selbst meine Nachfahren werden sich immer schämen müssen" hilft niemandem.

    Konkrete Handlungsanstöße - engagiert euch da, zeigt Zivilcourage, helft Menschen in Not - wären viel sinnvoller, da sie positive Handlungsoptionen böten.

    ABER: Doch nicht basierend auf der Identität oder den Vorfahren Einzelner, sondern schlicht als normale Form des Umgangs miteinander!

    Aus meiner Sicht kann die Welt nur dann besser werden, wenn man Menschen erlaubt, sich bei dem, was für die Zukunft sinnvoll ist, auch gut zu fühlen. Nicht durch das Einreden von Schuldgefühlen, schon gar nicht für etwas, an dem keiner persönlich teilgenommen hat.

  • Wenn H. Yaghoobifarah wirklich antisemitisch ist und politische Verantwortung für richtig hält, wieso wird schon in dem Titel durch die Verwendung des Wortes "Nazi" der Holocaust relativiert.

    Hier fehlt das Feingefühl und die Differenzierung, auch das gehört zur politischen Verantwortung.

    Die Verwendung von "Nazi" im historischen Kontext ist richtig, im aktuellen Kontext einfach falsch und irreführend. Die Benennung von Menschen als z.B. konservativ, rechts oder rechtsextrem wäre zielführender. "Nazi" ist im heutigen Gebrauch ein populistischer Ausdruck, der eher zur Spaltung unserer Gesellschaft beiträgt.

    Wenn wir aber unsere gemeinsame Werte, wie z.B. Antisemitismus glaubwürdig und kraftvoll vertreten wollen, dann müssen wir uns zusammenraufen und nicht auseinanderdividieren lassen.

    • @Black & White:

      Sie meinen doch sicher den Kampf gegen Antisemitismus als gemeinsamen Wert.

      • @aujau:

        Ja, darum gehts hier in erster Linie.



        ("...gemeinsame Werte, wie z.B. Antisemitismus...")

        Andere Werte wären in diesem Zusammenhang Respekt, Verantwortung und Empathie.

  • Ich hatte dieses "maus" erst für eine(n) übersehene(n) Schreibfehler_in gehalten. Aber das ist ernst gemeint.



    Wie schon Karl Kraus so wunderbar formulierte: Bin ich oder ist die Welt irre? (Ironie off)

    • @Trabantus:

      Das von Hengameh Y. bereits seit längerem verwandte Pronomen "maus" finde ich eigentlich ganz charmant. Mich störten eher solche durchs Internet geisternden kurzlebigen Modevokabeln wie "Flex" (ich gehe mal davon aus, dass hier kein Winkelschleifer gemeint ist). Ansonsten bin ich aber sehr einverstanden mit dem Artikel. Mal abgesehen davon, dass sowieso jeder Mensch auf der Welt sich gegen Nazis und Antisemitismus einsetzen muesste, übernehmen Immigrant:innen und ihre Nachfahren als "Adoptivkinder" des Aufnahmelandes auch die Verantwortung fuer dessen Geschichte in gleichem Ausmass wie die autochthone Bevoelkerung. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die Aussage eines wohl tuerkischstaemmigen Jugendlichen vor Jahren in einer TV-Sendung ueber den Besuch einer KZ-Gedenkstaette: "Ich habe mich noch nie so sehr als Deutscher gefuehlt, wie hier."

      • @Volker Scheunert:

        Was Sie charmant finden, hält mich davon, H.Y ernst nehmen zu können.



        Das bedeutet nicht, dass ich mit dem Artikelinhalt nicht einverstanden wäre.

  • Was ist denn ein Flex?

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Bei so viel moralischer Überlegenheit kommt mir mein Mittagessen hoch.

    • @4813 (Profil gelöscht):

      Hier ist Yaghoobifarrah doch zur Abwechslung mal nicht so "moralisch überlegen."

  • Global und Lokal einverstanden!

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Icke och, wa.

      Die Deutschen lieben ihr "Biotop mit toten Juden" (Eike Geisel), können aber ihren Hass auf die lebenden und vor allem auf deren Staat immer weniger verbergen.

      • @Jim Hawkins:

        Stimme zu. Aber warum dieses Phänomen auf Nazis beschränkt sein soll, wie die Schlagzeile des Artikels suggeriert, erschließt sich mir nicht.

        • @Manfred MIlde-Büttcher:

          Das stimmt. Antisemitismus ist in jedem politischen Lager zuhause.

  • "Politische Verantwortung sollten tragen alle."

    Bereits die Unterüberschrift könnte von Jar Jar Binks stammen.