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Anschlag in StraßburgGelbwesten wittern Verschwörung

Das Attentat trifft Frankreich in einer äußerst angespannten politischen Lage. Jetzt machen Verschwörungstheorien die Runde.

Anti-Terror-Spezialisten ermitteln nach dem Anschlag in Straßburg Foto: dpa

Paris taz | Am Morgen nach dem Attentat in Straßburg beginnt in Paris bereits das politische Scharmützel. Wie bei vergangenen Attentaten nutzen vor allem Vertreter der rechten Parteien die Situation, um die Sicherheitspolitik der Regierung unter Emmanuel Macron zu kritisieren. Die Präsidentin des Rassemblement national (ehemals Front National) Marine Le Pen ließ in einem Interview mit dem französischen Fernsehsender France 2 den Satz fallen, dass nicht alles getan werde, um den radikalen Islamismus zu bekämpfen.

Damit spielt sie auf den Status der Personen an, die in Frankreich einen sogenannten fichier S haben. So wie der Attentäter in Straßburg. Gemeint sind Personen, die bei den Geheimdiensten in einer Akte gelistet sind, weil sie in der Vergangenheit mit radikalen Vereinigungen oder extremistischem Gedankengut in Verbindung gebracht wurden. In der Akte werden Informationen gesammelt, aber es gibt keine dauerhafte Überwachung. Solange radikalisierte Personen nicht auffällig werden, dürfen sie weder festgenommen noch des Landes verwiesen werden.

Der rechtskonservative Politiker Nicolas Dupont-Aignan äußerte sich noch deutlicher als Marine Le Pen. Per Twitter forderte er die Regierung auf, alle Ausländer, die sich eines Verbrechens schuldig machen, des Landes zu verweisen. Er kritisierte zudem, dass den Geheimdiensten bekannte Personen, die eine Akte besitzen, sich frei bewegen dürfen, da sie wie das Attentat in Straßburg gezeigt hätte, bereit wären jederzeit zuzuschlagen.

Gegen Vorwürfe dieser Art wehrt sich Cédric Villani, Abgeordneter von Emmanuel Macrons Partei La République En Marche (LREM) der Region Essonne. Er warf im französischen Fernsehen Marine Le Pen vor, die Situation politisch auszunutzen, während es noch Verletzte im kritischen Zustand gibt. Er warnte davor, voreilig Schlüsse zu ziehen. Villani wies daraufhin, dass auch soziale Netzwerke in dieser Situation einen „Manipulationsraum“ darstellen.

Gelbwesten wittern ein Ablenkungsmanöver

Das Attentat trifft Frankreich in einer äußerst angespannten politischen Lage. Montagabend hielt Präsident Macron eine Rede, um auf die anhaltenden Proteste der Gelbwesten zu reagieren. Diese hatten weitere Proteste angekündigt. Auf verschiedenen Facebook-Seiten, sowie außerhalb der politischen Bewegung, häufen sich Kommentare, in denen das Attentat als Ablenkung der Regierung für den bevorstehenden fünften Demonstrationsakt am kommenden Samstag beschrieben wird.

Besonders viel Aufmerksamkeit erhält Maxime Nicolle. Nicolle, auch bekannt unter seinem Pseudonym Fly Rider, tritt seit Beginn der Bewegung in den Medien auf, um die Forderungen der Gelbwesten zu verteidigen. Er war auch zu einem der ersten Treffen mit der Regierung eingeladen.

Auf seinem Facebook-Kanal veröffentlichte Nicolle ein Video, in dem er sagt: „Der Typ, der ein Attentat machen will, der wartet doch nicht auf drei Personen abends um 20 Uhr in den Straßen….“ So jemand würde auf die Champs-Elysées gehen und sich inmitten von Tausenden von Menschen in die Luft sprengen. Sein umstrittenes Video wurde von dem Twitter Account Conspiracy Watch geteilt, die auf Verschwörungstheorien aufmerksam machen.

Darüber finden sich weitere Stimmen aus den sozialen Netzwerken, die der Regierung oder Emmanuel Macron vorwerfen, das Attentat selbst organisiert zu haben, um von den Forderungen der Gelbwesten abzulenken. Vor allem auf der Facebook-Gruppe „La France en colère“ aber auch auf anderen Gelbwesten-Seiten sah man schon am Abend des Attentates viele Kommentare dieser Art. Mittlerweile wurden sie von den Gruppenverwaltern wieder gelöscht, wohl aus Respekt vor den Opfern des Anschlages. Laurent Nunez, Staatssekretär für Inneres, reagierte prompt auf diese Aussagen. Er zeigte sich empört über die Anschuldigungen. Für ihn handelt es sich eindeutig im Verschwörungstheorien.

Demonstrationsrecht in Straßburg eingeschränkt

Wie geht es nun weiter mit den Gelbwesten? Staatssekretär Nunez sagte dem französischen Radiosender France Inter, dass es für die Sicherheitskräfte schwierig werde, an zwei Fronten gleichzeitig aktiv zu sein. Bekannt ist bisher, dass Militäreinheiten der Operation Sentinelle die Polizeieinheiten aufstocken. Demonstrationen der Gelbwesten sind am Tag des Attentats in Straßburg verboten, um die Suche nach dem Täter nicht zu behindern. Im Rest des Landes sind sie jedoch weiterhin erlaubt. Auch die Demonstrationen am kommenden Samstag sollen stattfinden dürfen.

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11 Kommentare

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  • es gibt menschen die behaupten das der anschlag in straßburg von der regierung geplant und ausgeführt wurde um von den innerpolitischen problemen der gelbwesten abzulenken. franz. politiker bestreiten das und nennen es schändlich wie man überhaupt an sowas denken kann. nun an dieser stelle möchte ich kurz auf den 10 juli 1985 hinweisen! was an diesem tag geschah ist genau das was nun auch passierte! es gab innerpolitische spannungen bzgl. der atompolitik welche durch greenpeace massiv unterstützt wurden! am 10 juli 1985 wurde dann durch "Agenten des französischen Service Action" ein bombenanschlag und mord begangen der erst viele jahre später auf druck zugegeben wurde! ist es also so abwegig zu glauben das sich dies nicht wiederholt zu einem zeitpunkt der nicht passender sein könnte (innerpolitische spannungen / gelbwesten)? www.google.com/sea...id=chrome&ie=UTF-8

  • Solange radikalisierte Personen nicht auffällig werden, dürfen sie weder festgenommen noch des Landes verwiesen werden.

    Ich dachte, bei dem Verdächtigen handelt sich um einen französischen Staatsbürger. Da wird es doch eh schwierig, ihn des Landes zu verweisen, oder habe ich irgendwas verpasst und die Meldung heute morgen im Radio war falsch?!

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @Strolch:

      Die Person sollte ja am Morgen festgenommen werden, aber hatte sich komischerweise verflüchtigt und schnell noch das Attentat verübt, um dann mir nichts dir nichts zu verschwinden. Man kann vielleicht davon ausgehen, dass nicht nur der französische Inlandsgeheimdienst Maulwürfe in der Islamistenszene hat, sondern umgekehrt, die Islamisten auch Maulwürfe bei der französischen Polizei, oder Hacker, es gibt ja sehr talentierte Informatiker beim IS.



      Unsinn ist natürlich die Verschwörungstheorie, dass der Staat von den Protesten der Gelbwesten ablenken will. Umgekehrt ist wohl richtiger, dass der IS von der Krise profitieren will, um die Regierung noch weiter zu verunsichern und vor allem die Franzosen. Und diese Rechnung scheint ja aufzugehen.

  • Der Aluhut passt doch auch optisch gut zur Gelbweste.

  • wir leben in Zeiten, in denen jede beschissen Verdächtigung als wahr entlarvt wird.



    Die längjährige Beobachtung unsere oberen Kasten lässt leider den Schluss zu, dass man ihnen mittlerweile alles getrost zutrauen kann!

    Warum konnten in Frankreich und in D immer wieder als Gefährder eingestufte Personen (mit Kontakten zu V-Leuten ->Amri) an Waffen gelangen und damit töten? Und wem nützt es?

    Die Gelbwesten fürchten zu Recht, dass ihre Demonstrationen nun auf Basis von 'Sicherheitsgesetzen' verboten werden. Schließlich machen die Gelbwesten nicht nur in Frankreich Furore sondern bergen Potential, sich auf weitere Teile Europas auszuweiten. Man stelle sich das einmal vor: Europaweite Kapitalismuskritik auf offener Straße und für jeden sichtbar ...

  • Ein unappetitlicher Versuch, diesen menschenfeindlichen Gewaltakt zur Denunzierung der Gelbwesten zu mißbrauchen.

    • @jhwh:

      Nunja, die Verschwörungs-Verbindung haben die Gelbwesten selbst gezogen, bisher kein anderer.

      • @Hans aus Jena:

        Haben sie das ? Sind "verschiedene Facebookseiten" eine zuverlässige Quelle ?

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @jhwh:

      "Auf seinem Facebook-Kanal veröffentlichte Nicolle ein Video, in dem er sagt: „Der Typ, der ein Attentat machen will, der wartet doch nicht auf drei Personen abends um 20 Uhr in den Straßen….“ So jemand würde auf die Champs-Elysées gehen und sich inmitten von Tausenden von Menschen in die Luft sprengen."

      Das sagt einer der Protagonisten der Bewegung, der zum Gespräch mit der Regierung eingeladen war.

      Können oder wollen Sie das nicht zur Kenntnis nehmen.

      Ich weiß ja auch nicht wie die Gelbwesten einzuschätzen sind, aber sie von jedweder Kritik auszunehmen, kann nur falsch sein.

  • In welch beschissenen Spekulationen und Verdächtigungszeiten leben wir...bei gleichzeitig bester Bildung ever!



    Der nächste Step scheint wohl „Malleus maleficarum“ vom Menschenfreund Henricus Institoris als Grundlage der weiteren Betrachtungen.