Angst vor steigenden Preisen: Kein Grund zur Panik
CDU-Wirtschaftspolitiker Merz, FDP-Chef Lindner und andere schüren im Wahlkampf Angst vor steigenden Preisen. Dabei ist die Inflation nur temporär.

A ktuell scheint die Welt unterzugehen. Deutschland drohe die Hyperinflation, die Sparer:innen würden enteignet, befürchten viele. In der Tat steigt die Inflation derzeit um knapp 4 Prozent, der höchste Wert seit 1993. Friedrich Merz (CDU) oder Christian Lindner (FDP) stützen darauf ihren Wahlkampf. Doch sachlich liegen sie falsch. Das belegt EZB-Direktorin Isabel Schnabel – und ökonomische Vernunft. Schnabel findet die Inflation sogar noch zu gering, mittelfristig und für die EU betrachtet. Doch wieso ziehen die deutschen Preise momentan an?
Zunächst gibt es den Basiseffekt. Während der Pandemie 2020 brachen Preise ein. Die Inflation bezieht sich auf diesen Krisenzeitraum, nun erholt sich die Wirtschaft wieder, die Preise steigen. Klar, dass die Inflation im Vergleich zu 2020 vergleichsweise hoch ausfällt. Zweitens senkte der Staat die Mehrwertsteuer von Juli bis Dezember 2020 von 19 auf 16 Prozent – was allein geschätzt knapp 1 Prozent der jetzigen Inflation ausmacht.
Ohne diese beiden Sonderphänomene ist die Inflation fast auf dem Niveau von 2019. Ansonsten läuft die Wirtschaft schlicht wieder an – was auch Merz und Lindner gefallen müsste. Logisch, dass Energie, sowie Vorprodukte und Rohstoffe teurer werden. Ganz spurlos geschieht ein Aufschwung eben nicht.
Rechnet man Deutschland heraus, liegt die Arbeitslosigkeit in der Europäischen Union mit knapp 10 Prozent zudem immer noch höher als im Krisenjahr 2008. Es ist daher zu früh, die Zinsen zu erhöhen und an der laschen Geldpolitik etwas zu ändern. Zumal sich die europäische Inflation 2022 laut EZB nur auf 1,5 Prozent bewegen wird. Ziel sind aber 2 Prozent.
Wirklich gefährlich wäre nur eine Preisspirale, wenn also die Arbeitgeber:innen gleichzögen und die Löhne und somit die Kaufkraft erhöhten. Das ist aber bei dieser temporären Inflation nicht in Sicht. Im Gegenteil, schon zum Jahreswechsel wird sie wieder stark sinken. Schnabel hat recht, wenn sie die aktuelle Rate vor allem als statistischen Sondereffekt sieht. Das passt aber schlecht ins Wahlkampfgetöse.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links