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Angst vor SprachvorschriftenVolksini gegen Gendern geplant

Die Hamburger Verwaltung und Bildungseinrichtungen sollen auf gendergerechte Sprache verzichten. Eine Volksinitiative dazu wird gerade vorbereitet.

Aufreger: Genderstern, hier malerisch auf eine Hauswand gesprüht Foto: Christian Ohde/imago

Hamburg taz | Gendergerechte Sprache in der öffentlichen Verwaltung, den Bildungseinrichtungen und den städtischen Unternehmen zu verhindern – das ist das Ziel einer Volksinitiative, die gerade in Hamburg vorbereitet wird. „Wir lehnen ‚Gendersprache‘ ab, da sie diskriminierend, integrationsfeindlich und vorurteilsbeladen ist“, heißt in der Begründung zu dem Aufruf. Der Text wird auf Bitten der Initiatoren gerade vom Landeswahlleiter geprüft.

Die Praxis der Hamburger öffentlichen Stellen ist uneinheitlich. In der Regel werden die männliche und die weibliche Form verwendet, manchmal das Binnen-I, auch mal das Sternchen. Eine Ausnahme ist der Koaltionsvertrag von SPD und Grünen, in dem 500-mal des Gendersternchen vorkommt, wie die Arbeitsgruppe Gendersprache im Verein Deutsche Sprache gezählt hat.

„Sprechen Sie die Sprache der Bürger: korrektes, klares Deutsch“, appelliert die Arbeitsgruppe an den Senat am Ende eines offenen Briefes, für den Sabine Mertens verantwortlich zeichnet.

Mertens ist auch eine Vertrauensperson der Volksinitiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“. Darin wird der Senat aufgefordert sicherzustellen, „dass die amtliche schriftliche oder elektronische Kommunikation und Veröffentlichung unter Einhaltung der Regeln des ‚Rats für deutsche Rechtschreibung‘ erfolgt“. Das soll auch für die öffentlichen Unternehmen gelten.

Parteiübergreifender Charakter?

Hinter der Initiative stehe keine kohärente Gruppe, sondern ein loser Zusammenschluss von Leuten, die das Gendern ablehnten, sagt Mertens. Sie selbst engagiere sich schon seit etlichen Jahren in dieser Sache. Mertens gehört neben der Schriftstellerin Monika Maron und dem inzwischen verstorbenen „Sprachpapst“ Wolf Schneider zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs „Schluss mit Gender-Unfug!“ und hat mit einer Gruppe semiprominenter Frauen beim Bundestag eine Petition gegen das Gendern eingereicht.

„Wie kann es sein, dass Politik und Verwaltung das so puschen?“, fragt Mertens. Gendersprache ist für sie ein elitäres Projekt, bei dem eine Minderheit so tue, als repräsentiere sie eine Mehrheit. In einer repräsentativen Umfrage von Infratest Dimap für die Welt am Sonntag im Mai 2021 lehnten 65 Prozent der Wahlberechtigten die Verwendung gendergerechter Ausdrücke in der Öffentlichkeit sowie in den Medien ab – etwas mehr noch als im Jahr davor. Selbst knapp die Hälfte der Grünen-Anhänger zeigte sich ablehnend.

„Wir erhöhen den Druck, weil wir wissen, dass auch in den Parteien Gendersprache keine Mehrheit hat“, sagt Mertens. Sie betont den parteiübergreifenden Charakter ihrer Ini­tiative, wundert sich aber, dass sich keine der etablierten Parteien auf ihre Seite gestellt habe.

Dabei sieht Mertens Gefahr im Verzug: Beim Gendern handele sich um eine identitäre Propagandasprache und einen massiven Angriff auf den Sprachstandard. „Das macht eine Kultur kaputt“, warnt Mertens.

Sternchen und Doppelpunkt seien unnötig

Hilfsmittel wie das Sternchen oder der Doppelpunkt im Wort seien unnötig, denn die Gruppen, die hier mitgemeint werden sollten, würden in der Hochsprache automatisch abgebildet. „Standardsprache zeichnet sich durch den Gebrauch von verallgemeinernden Begriffen aus, wo Merkmalsbeschreibungen wie Geschlecht, sexuelle Orientierung, Hautfarbe, Glaubensbekenntnisse und Ideologien bedeutungslos sind“, heißt es in der Abstimmungsvorlage.

Darin ist eine lange Liste weiterer Vorwürfe aufgeführt: Gendersprache reduziere Menschen auf bestimmte Merkmale wie das Geschlecht. Damit sei sie sexistisch und menschenfeindlich. Die Gendersprache sei widersprüchlich und verunstalte die Sprache. „Sie will einerseits ‚alle Geschlechter sprachlich sichtbar machen‘, andererseits geschlechtsspezifische Ausdrücke vermeiden“, heißt es in der Vorlage.

Und weiter: Gendersprache benachteilige durch ihre Umständlichkeit bildungsferne und sprachbehinderte Menschen. Sie verwische klares Denken und erschwere die Verständigung. Sie spalte Worte und die Gesellschaft als Ganzes. Durch das Gendern grenze sich eine vermeintlich fortschrittliche Elite von den „normalen“ Menschen ab. Am Ende lenkten Diskussionen um Gendersprache und Frauenquoten von den berechtigten Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit ab.

Die Tatsache, dass das Gendern um sich greift und Verwaltungen wie auch Unternehmen dazu übergehen, kann allerdings auch als Beleg dafür gelten, dass viele Mertens’ Thesen eben nicht teilen. So ist Gendern zwar bisher nicht in der Hamburger Verwaltung vorgeschrieben, wohl aber seit 2019 in Hannover, ebenso in Lübeck und für Gesetze und Vordrucke im Land Brandenburg. An der Hamburger Uni ist ein entsprechender Vorstoß 2019 blockiert worden.

Wenn der Landeswahlleiter an der Vorlage für die Volksinitiative nichts auszusetzen hat, wäre der nächste Schritt für Mertens, eine Unterschriftensammlung anzumelden. 10.000 Unterschriften brauchen sie und ihre Mitstreiter, damit eine Volksinitiative offiziell zustande kommt. Übernimmt die Bürgerschaft das Anliegen nicht, kann die Initiative ein Volksbegehren beantragen.

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15 Kommentare

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  • Die Initiative hat recht, das Gendern ist sexistisch und teilt die Menschen in nervigster Weise immer in Frau und Mann! Das generische (!) Maskulinum schließt dagegen alle ein. Diese permanente Erwähnung des Geschlechts ist zudem für viele Formulierungen sinnentstellend und ablenkend. Beispielsatz: "Rosa Müller ist eine der berühmtesten Autoren der Welt" (also von allen, die professionell schreiben) bedeutet etwas anderes als "Autorinnen der Welt". Ich lehne aus feministischen Gründen das Gendern ab, denn ich will nicht, dass die Welt permanent sprachlich in Frau und Mann geteilt benannt wird. Wie schon die Autorin Nele Polatschek treffend sagte, wieso soll immer mitgesagt werden, dass sie eine Vagina hat, und beispielsweise nicht, dass sie jüdisch ist, oder andere zufällige Merkmale!



    Toll, dass endlich solche Initiativen entstehen!

  • Wenn Städte wie Hannover das Gendern vorschreiben, dann zeigt das nicht, dass "viele" das gut finden, sondern allenfalls die politische Verwaltungsspitze.

    Und was den Anspruch angeht, Gendersprache sei "gendergerecht" bzw. "geschlechtergerecht": das ist falsch, denn "gerecht" ist eine Sprache, die das (biolog.) Geschlecht bzw. (soziale) Gender nur dann thematisiert, wenn es erforderlich ist.



    Genau das leistet die übliche deutsche Sprache mit dem generischen (!) Maskulinum bzw. dem _sprachlichen_ Geschlecht.

  • Wenn man keine echten Probleme hat macht man sich welche

  • Naja, die Gurtpflicht fanden die Leute damals auch ganz schrecklich und bevormundend.



    Politik an Umfrageergebnissen auszurichten hätte vielleicht Sinn in einer idealen republikanisch-demokratisch Situation, siehe Arendt und Habermas. Bis dahin (also für den Rest meines Lebens?) bin ich froh, dass es in diesem Land keinen Volksentscheid auf Bundesebene gibt und sich der Volkszorn nicht ohne zeitliche und sachliche Verzögerung politisch Bahn schlagen kann.

    • @Ijon Tichy:

      Gab es denn schon mal irgendwo, wie bei der Gurtpflicht, eine Geldstrafe für unterlassenes Gendern?

      • @Ingo Bernable:

        Nö, aber neben den drohenden Geldtrafen handelte es sich dabei auch um ein diskursives Projekt: Plakate, Filmchen, Printartikel, Aufklärung...



        Dinge können erfolgreich einsickern, das dauert natürlich, bis sedimentierte Gewohnheit abgetragen wurde und Dispositive abgelöst werden. Das zeigt sich auch an politischen hegemonialen Projekten. Daher begrüße ich Gendern in allen Zusammenhängen. Meine eher konservativen Arbeitskolleginnen tun es inzwischen auch; vielleicht nicht zuletzt aufgrund meiner penetranten Nutzung im täglichen Gespräch. Mit Strafe habe ich bisher nicht gedroht.

        • @Ijon Tichy:

          "penetranten Nutzung "

          Dies scheint auch die Strategie im Öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu sein.

  • Gendersprache benachteilige durch ihre Umständlichkeit bildungsferne und sprachbehinderte Menschen.

    Bin gespannt wie "Leichte Sprache" gegendert wird?

    Informationen in Leichter Sprache



    Dies ist die Internet-Seite www.hamburg.de. Hier finden Sie Informationen in Leichter Sprache. Zum Beispiel: Was ist der Senat, welche Freizeit Angebote gibt es in Hamburg, welche Aufgaben haben die Behörden und Bezirke?

    Und



    „Alarmierende Befunde“: Immer mehr Grundschulkinder, die Mindeststandards nicht erreichen

  • "Die Tatsache, dass das Gendern um sich greift und Verwaltungen wie auch Unternehmen dazu übergehen, kann allerdings auch als Beleg dafür gelten, dass viele Mertens’ Thesen eben nicht teilen."



    Kann man so und so sehen. Erkennbar ist allerdings, dass durch das zunehmende Gendern auch der Widerstand wächst. Siehe auch diese Initiative.

  • "„Wie kann es sein, dass Politik und Verwaltung das so puschen?“, fragt Mertens."



    Puschen bezeichnen afaik im norddeutschen Sprachraum Hausschuhe, wohingegen hier wohl das englischsprachige 'pushen' gemeint ist. Für die vermeintlich unverfälschte Reinheit der deutschen Sprache eintreten, aber dann auf ein derart plattes denglisches Kauderwelsch zurückgreifen ... wtf!?!



    "„Das macht eine Kultur kaputt“, warnt Mertens."



    Kaputt ist doch auch noch so eine weitere französische Importvokabel, weg damit. Und in welchem Zustand waren Sprache und Kultur denn eigentlich mal heile? Müsste sie nicht für einen vollständigen Reparaturversuch zumindest auch die Movierung weiblicher Berufsbezeichnungen wieder zurückdrehen, so dass etwa eine Bäckerin wieder die Ehefrau des Bäckers, die als Weibsbild in kulturgemäßer Tradition selbstverständlich keiner bezahlten Arbeit nachgeht, bezeichnen würde? Völlig kaputt das? Sicher. Also, macht kaputt was euch kaputt macht.

    • @Ingo Bernable:

      Der Punkt, und da hat Mertens nicht unrecht, ist, dass Sprache von sprechen kommt und so etwas wie das Gendersternchen eben nicht aussprechbar ist. Und davon abgesehen, dass Gendern nun mal als elitäres, von oben aufoktroyiertes, wahrgenommen wird. Es ist nun mal ohne Zweifel so, dass das Gendern sich eben nicht aus der populären Umgangssprache heraus entwickelt hat, sondern aus einem akademischen Diskurs kommt - anders als die Übernahme und Eigenausformung von Wörtern wie kaputt. Das kann man drehen und wenden, wie man will. Sage ich als jemand, der/die durchaus versucht, geschlechtergerechte Sprache anzuwenden. Aber nicht auf Kosten der Verständlichkeit und auch nicht, wenn das bei de_m_r Angesprochenen als hochnäsig und elitär rüberkommen muss.

      • @Suryo:

        Auch etwa die Covid-Schutzmaßnahmen entstanden vor einem akademischen Hintergrund, wurden 'von oben' verordnet und waren anders als das Gendern tatsächlich verbindlich. Waren sie deshalb schlecht? Der Vorwurf, dass etwas akademisch sei und dabei das Attribut akademisch eher pejorativ zu sehen ist durch und durch populistisch, ganz abgesehen davon, dass mittlerweile rund die Hälfte eines Jahrgangs studieren geht, Akademiker*innen also keineswegs eine kleine Elite stellen, sondern allmählich zur Mehrheit werden.

        • @Ingo Bernable:

          "...ganz abgesehen davon, dass mittlerweile rund die Hälfte eines Jahrgangs studieren geht, Akademiker*innen also keineswegs eine kleine Elite stellen, sondern allmählich zur Mehrheit werden."



          Mit dem kleinen aber feinen Haken, dass die Rechnung "Akademiker = Genderer" nicht aufgeht. Eine solche Gleichung existiert schlicht nicht. Es ist nur ein kleiner Teil, der das Gendern vorantreiben will.

          • @Encantado:

            Schon richtig, aber seit wann lassen sich derlei Ressentiments von Differenzierung beeindrucken. Wenn sie es täten würden sie wohl doch über den Widerspruch stolpern, dass die wenigen Institute für Gender Studies kaum in der Lage sein können allen anderen etwas von oben aufzuokroyieren. Also ist man ganz allgemein gegen Akademiker*innen, Großstadtbewohner*innen, etc. und fühlt sich als Kämpfer*in für die vermeintliche Sache der vermeintlichen aber vermeintlich schweigenden Mehrheit ebenso legitimiert wie Covidioten und Pegidisten.