Analyse zu AfD-Wahlprogramm: Auf dem Rücken der Ärmsten
Die AfD verkauft sich gern als Partei des kleinen Mannes. Tatsächlich würden fast ausnahmslos Reiche profitieren, sagt Wirtschaftsweise Achim Truger.
Der Professor für Sozioökonomie hat den Entwurf des AfD-Wahlprogramms gelesen und eingeordnet: „Die AfD will die oberen Einkommensschichten und die Wirtschaft entlasten“, fasst er zusammen. Allerdings würde der geforderte EU-Austritt und das Fehlen eines Konzepts gegen den Fachkräftemangel Deutschland in eine tiefe Rezession stürzen. Truger urteilt: „Das AfD-Programm ist harter Neoliberalismus, garniert mit nationalistischer EU-Feindlichkeit und Anti-Klimapolitik.“
Aus Trugers Sicht wäre vor allem der von der AfD geforderte Dexit verheerend: „Der Austritt aus dem Euroraum sowie die Wiedereinführung der D-Mark wären wirtschaftspolitisch vollkommen irre.“ Ebenso fehle der Partei ein Rezept gegen den Fachkräftemangel – „wenn die AfD weiterhin ausländerfeindlich ist und auf Migration verzichten will, wird sie das Arbeitskräftepotential nicht erhöhen können.
Die AfD plant, ihr Wahlprogramm auf dem Parteitag am 11. und 12. Januar in Riesa zu verabschieden. Der Leitantrag sieht neben dem EU-Austritt und der Wiedereinführung der D-Mark die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland für billiges Gas vor. Ebenso leugnet die AfD die menschengemachte Klimakrise und setzt auf Kohle und Atomstrom. Die Partei fordert zudem Zurückweisungen und Festnahmen an der Grenze und will Leistungen für Asylbewerber*innen und Bürgergeld-Empfänger*innen stark einschränken. Erbschafts- und Vermögenssteuer sollen abgeschafft, Unternehmenssteuern gesenkt werden.
Völkische Familienpolitik
Die Lösung des Fachkräfteproblems sieht die AfD in ihrer Familienpolitik, die auf den Erhalt des deutschen Volkes abzielt und Staatsangehörige mit Migrationshintergrund ausschließt – auch wenn die Partei letzteres hinter gewissen Formulierungen kaschieren will: „Durch eine aktivierende Familienpolitik strebt die AfD eine Geburtensteigerung und damit die demografische Wende in Deutschland an, die … auch unsere Kulturweitergabe sicherstellt…“
Aktivierende Familienpolitik bedeutet Herdprämien und Steuergeschenke für jedes zusätzliche Kind: Betreuungsgehalt statt Kita, Rückzahlung von 20.000 Euro an Rentenbeiträgen pro Kind und Ehe-Start-Kredite, die mit jedem weiteren Kind teilweise erlassen werden. „Familien sollten idealerweise von einem Gehalt leben können und nicht auf eine Doppelberufstätigkeit angewiesen sein“, heißt es.
Welcher Elternteil zu Hause bleibt, lässt die AfD offen – angesichts sozialisierter Rollenbilder und der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen ist jedoch klar, wen es betrifft. Ähnlich antifeministisch ist die Forderung, Gleichstellungsbeauftragte zu Familienbeauftragten zu machen.
Beim Thema Abtreibungen zeigt sich, dass Frauenkörper für die AfD hauptsächlich Verfügungsmasse für den Fortbestand des Volkes sind: Abtreibungen sollen erheblich erschwert werden und müssten die „absolute Ausnahme bleiben, z.B. bei kriminologischer und medizinischer Indikation“. Schwangerschaftskonfliktberatungen sollen „dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen“, indem Schwangeren verpflichtend Ultraschallbilder gezeigt werden und Informationen über Abtreibungen verboten werden.
Belastungen bei Rente müsste Mitte tragen
Die von der AfD versprochene Kinderprämie hilft nicht gegen den Fachkräftemangel, meint der Wirtschaftsweise Truger. „Mal abgesehen davon, wie man deutschnationalen Kinderreichtum bewerten will, hilft das die nächsten 20 Jahre nicht, zumal die AfD Deutschland erst einmal in eine tiefe Rezession führen würde durch den Euro-Austritt.“ Die wirtschaftspolitischen Forderungen seien „neoliberale Steuersenkungspolitik mit einer Durchbrechung bei der Rente, wo es auch soziale Momente gibt.“
So will die AfD die gesetzliche Rente stärken und ein Rentenniveau von 70 Prozent erreichen. Doch Truger sieht große Fragezeichen bei der Finanzierung: Höhere Kosten erfordern höhere Beiträge, die die AfD durch Steuersenkungen ausgleichen will. Von Entlastungen bei der Einkommensteuer profitieren vor allem obere Einkommensschichten: „Die zusätzlichen Belastungen müssten die untere Mitte und die Mitte tragen“, sagt Truger.
Ein Preisschild fehlt auch bei der Erhöhung des einkommensteuerlichen Grundfreibetrags auf 15.000 Euro, die untere Einkommen entlasten soll. Truger dazu: „Da ist die Finanzierungsfrage völlig offen“. Allein die Anhebung des Grundfreibetrags dürfte mehr als 15 Milliarden Euro kosten. Ebenso führe die Senkung der Unternehmensteuern zu Haushaltslöchern. Auch die geforderte Abschaffung des Solidaritätszuschlags wäre mit weiteren 12 Milliarden Euro teuer und würde vor allem hohe Einkommen entlasten. Gleichzeitig wolle die AfD die Schuldenbremse einhalten: „Das bewegt sich alles im finanzpolitischen Nirwana“, sagt Truger.
Sparen bei den Ärmsten
Die AfD will bei den Ärmsten den Rotstift ansetzen: beim Bürgergeld und bei Asylbewerber*innen. Auch beim Klimaschutz will die Partei sparen, ebenso die Entwicklungshilfe kürzen und die Förderung bestimmter NGOs einstellen.
Das reicht laut Truger nicht: Nach Abschaffung von Solidaritätszuschlag, Erbschaftssteuer, CO₂-Abgaben und Grundsteuer fehlen „sicher 100, eher 200 Milliarden Euro Plus“. Bei Kürzungen zu Lasten Geflüchteter und Bürgergeld-Empfänger*innen gebe es zudem verfassungsrechtliche Schranken. Einsparungen bei Klimaausgaben stehen großen Senkungen von CO₂-Abgaben und Energiesteuern entgegen – „die Rechnung möchte ich mal sehen“, sagte Truger.
Fraglich ist auch, auf welche Weise die AfD Wahlgeschenke wie die Erhöhung der Renten oder die 20.000 Euro-Prämie für Kinder finanzieren will: „In dem Programm wurde überhaupt nichts durchgerechnet – es fehlt ein umfassendes Gesamtkonzept zur Finanzierung.“ Wie die Forderungen der Partei funktionieren sollen, bleibt offen.
Hinzu kommen mögliche gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Folgeschäden einer unterlassenen Klimapolitik, der Abschaffung der CO₂-Abgabe und der Fokussierung auf fossile Brennstoffe. Truger bilanziert: „Würde das in die Realität umgesetzt, wird einem angst und bange.“
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