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Analyse der WirtschaftsweisenThema verfehlt

Simon Poelchau
Kommentar von Simon Poelchau

Die Wirtschaftsweisen gucken aufs Wachstum, die nötige Digitalisierung und Dekarbonisierung. Den Brückenstrompreis sparen sie aus.

Ein Brückenstrompreis als entscheidendes Instrument? Dazu schweigen die Weisen Foto: Schöning/Imago

D er Brückenstrompreis ist derzeit das wichtigste wirtschafts- und industriepolitische Thema. Doch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bringt es fertig, das umstrittene Instrument in seinem Jahresgutachten gar nicht erst zu erwähnen. Die Wirtschaftsweisen, wie das fünfköpfige Gremium auch genannt wird, tun sich damit keinen Gefallen.

Natürlich gibt es vieles, was derzeit die Konjunktur belastet. So ist es durchaus nachvollziehbar, dass der Sachverständigenrat sich zum Beispiel mit den Auswirkungen des demografischen Wandels auf das langfristige Wachstum beschäftigt. Dass er darauf hinweist, dass auch die mangelnde Investitionslaune der Unternehmen zum Problem wird, ist sogar gut und erfrischend. Doch dass er zum Brückenstrompreis schweigt, ist schwierig.

Der Brückenstrompreis könnte das entscheidende Instrument zur ökologischen Transformation der Industrie sein. Doch während die einen davor warnen, dass mit der Maßnahme veraltete, klimaschädliche Technologien unnötig am Leben gehalten werden, fürchten andere, dass ohne eine vorübergehende Subventionierung des Strompreises für energieintensive Unternehmen die Lichter ausgehen. So demonstrierten erst am Dienstag Tausende BASF-Beschäftige für die Maßnahme.

Insofern hätte man vom Sachverständigenrat erwarten können, dass er zum Brückenstrompreis Stellung bezieht. Schließlich ist er eins der bekanntesten und wichtigsten ökonomischen Gremien des Landes. Er hätte die Debatte mit seinem Beitrag bereichern und sich gleichzeitig in einer wichtigen Frage profilieren können.

Die Wirtschaftsweisen beschäftigen sich stattdessen lieber zum Beispiel mit der Rente oder dem Steuersystem. Das sind durchaus auch wichtige Themen. Aber würden die fünf Mitglieder des Gremiums jetzt noch mal die Schulbank drücken und wäre ihr Jahresbericht eine Klausur, dann hieße es: Thema verfehlt. So stärken die Wirtschaftsweisen mit ihrem Schweigen nur wieder Stimmen, die ihren Zweck infrage stellen.

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Simon Poelchau
Redakteur
ist für Ökonomie im taz-Ressort Wirtschaft und Umwelt zuständig.
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11 Kommentare

 / 
  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Wozu brauchts den "Sachverständigenrat" eigentlich noch?



    Sein Rezepte, seine Empfehlungen sind doch die immer gleichen:



    1. Lohnzurückhaltung (gaaaanz wichtig!)



    2. Unternehmenssteuern und Reichensteuer runter



    3.Mehr "Anreize" (sprich: Subventionen) für Unternehmen



    4. Sozialabgaben in Richtung Arbeitnehmer umsteuern ((direkt oder indirekt über private Altersvorsorge (Aktienrente und so'n Mumpitz))



    5. Lebensarbeitszeit rauf (praktischer Zweifacheffekt: kürzerer Rentenbezug und längere Beitrags- sprich Lebensarbeitszeit)



    6. "Bürokratieabbau" - sprich: ein Unternehmen sagt, was es tun will und der Staat nickt ab und unterschreibt. Sofort!

    Dann darf ein "linker" Feigenblatt-Ökonom (früher: Bofinger, heute: Truger) noch einen Minderheitensatz dazuschreiben - fertig.

    Und so wird Jahr für Jahr derselbe "Bericht" veröffentlicht.



    Kann man 'ne Menge einsparen.

  • Die Zusammensetzung des Rates (3 Frauen, 2 Männer) ist anscheinend Fortschritt genug.



    Der Rest ist das alte Mantra vom Wirtschaftswachstum, "das allem zugrunde liegt". Angesichts der ungebremsten Erwärmung unseres Treibhauses Erde empfiehlt man, die Heizung zügig weiter aufzudrehen.

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    “ Der Brückenstrompreis könnte das entscheidende Instrument zur ökologischen Transformation der Industrie sein.”

    Inwiefern sollte denn gerade die Förderung besonders energieintensiver Unternehmen die ökologische Transformation befördern?

    Man dürfte hier durchaus eine kurze Begründung des Autors für diese doch sehr fragwürdige Behauptung erwarten.

    Eine Förderung von Unternehmen, die von Gas und Kohle auf erneuerbare Energien umsteigen wäre dagegen sinnvoll.



    Noch besser wäre aber die Senkung der Stromnebenkosten für alle.



    Immerhin ist das Preisniveau in D ja allein deshalb so viel höher als in den Nachbarländern.



    Dann würden sich Wärmepumpen auch schneller durchsetzen.

  • 4G
    47439 (Profil gelöscht)

    Leider haben die sog. "Weisen" bei der Rentendiskussion wieder mal verschwiegen, dass unabdingbar ist, die Rente zu vereinheitlichen, ALLE ( auch Beamte, Politiker, Selbständige etc. ) zahlen in einen Topf und ALLLE beziehen aus diesem Topf, mit einer Deckelung nach oben, wer mehr Rente beziehen will und sich das leisten kann, kann ja zusätzlich in`s private gehen, aber erstmal in den gemeinsamen Topf einzahlen .....

    • @47439 (Profil gelöscht):

      Für neue Beamte könne sie das machen aber für alle bereits bestehenden Beamtenverhältnise geht das nicht.

  • Die Kernkompetenz der Wissenschaft sollte sein, der Politik aufzuzeigen, welche Folgen mögliche Vorschläge haben dürften. Probieren wir es doch mal mit Schulwissen.



    1. Wir haben in Deutschland eine „soziale Marktwirtschaft“. Der Sinn des Marktes ist, dass erstens Leute, die als Verkäufer am Markt tätig sind, entscheiden, welche Angebote für die Zukunft sich am besten verkaufen und zweitens sie die Chancen nutzen, die Produktionskosten zu senken, indem etwa substituiert (ersetzt) wird, was zu teuer ist.



    Industriesubventionen verzögern im schlimmsten Fall diese Marktanpassung und können mithin nur dann sinnvoll sein, wenn sichergestellt ist, dass diese Mittel nur „geliehen“ werden, um die für die Investitionen in die Substitution notwendige Liquidität zur Verfügung zu stellen. Für soziale Folgen einer scheiternden Marktanpassung sind die Sozialstaatsmechanismen vorhanden. Substitutionsunwillige Industrien zu subventionieren bedeutet, schlechtem Geld (Subventionen) später gutes (Sozialleistungen) hinterherwerfen zu müssen.



    2. Eine weitere Methode der Marktanpassung kann die Verlagerung der Produktion sein. In aller Regel bedeutet es ein Marktversagen, wenn bereits die Primär-Rohstoffe dort weiterverarbeitet werden, wo Arbeit und Energie knapp und teuer sind. Wenn absehbar ist, dass dieser Zustand sich nicht verbessern, oder gar eher noch verschlechtern wird, kann es keine Brücke geben.



    Die entscheidende Frage ist also, ob wir bis 2030 an den südwestdeutschen Produktionsstandorten saubere Energie im Überfluss haben werden, und zwar unabhängig von Jahres- und Tageszeit. Ich bin optimistisch, dass wir vor 2050 mit klugen Energieeffizienzkonzepten ausreichend Energie für eine darauf eingestellte Wirtschaft haben werden, aber Überfluss in sieben Jahren? Nein.



    Schluss (den auch die Sachverständigen ziehen müssten): Der Brückenstrompreis ist Unsinn, er ist verbranntes Steuergeld!

  • Wieso denn Brückenstrompreis?



    Nichts gegen günstigen Industriestrom - aber kostendeckend sollte er schon sein.



    Hiess es letztes Jahr nicht grosskotzig, wir hätten zwar ein Wärmeproblem, aber kein Stromproblem?



    Flutschen jetzt, wo der teure Atomstrom nicht mehr die Leitungen verstopft, die Elektronen nur so durch die Leitungen, und die Preise purzeln ins bodenlose?

  • Wo sind wir mit unseren Werten nur hingekommen, wenn schon nicht mal mehr auf "Weise" verlass ist?



    Und Sachverstand braucht es für solche Analysen auch keinen, wenn wichtige Dinge einfach weggelassen werden. Für was bekommen die eigentlich ihr Honorar? Um die Regierungspolitik zu schützen?

  • O.k. einen hab ich noch:

    C.Linnemann auf Welt-TV zum Thema:

    "es wird nichts schlecht geredet... die Regierung ist schlecht"

    ...made my day..

  • Nomen est Omen..??

    Lt Wikipedia bezeichnet der Begriff "Weisheit": "vorrangig ein tiefgehendes Verständnis von Zusammenhängen in Natur, Leben und Gesellschaft sowie die Fähigkeit, bei Problemen und Herausforderungen die jeweils schlüssigste und sinnvollste Handlungsweise zu identifizieren".

    Wer allerdings in klassischer Manier der Wirtschaftswissenschaften eher kurzfristige Gewinne in den Vordergrund stellt und dabei die langfristigen Verluste durch die Klimakatsstrophe hintanstellt, kann wohl kaum als "Weise" gelten..

    Insofern ist der Begriff der "Wirtschaftsweisen" ein besonders törichter und irgendwie sehr deutscher Euphemismus.

    ..das nur mal am Rande..

    • @Wunderwelt:

      Wenn Deutschland das einzige weise Land sein sollte, stehen wir bald verdammt dumm da.



      Wir können bei uns nicht alle Probleme der Welt lösen. Wir können nur unseren Beitrag leisten.