Ampel verschärft Disziplinarrecht: Hetzer sollen schneller aus dem Amt
Die Regierung will ein härteres Disziplinarrecht, um Verfassungsfeinde aus dem Staatsdienst zu entfernen. Experten äußern Bedenken.
Die Chatgruppe war im Zuge der Ermittlungen zur NSU-2.0-Drohserie aufgeflogen. Und sie war einer der Auslöser, weshalb die Ampel und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) das Disziplinarrecht verschärfen wollen. Ein anderer waren die Reichsbürger-Razzien vor einem Jahr, von denen auch eine Richterin und Polizeibeamte betroffen waren. Im Februar legte Faeser einen entsprechenden Gesetzentwurf vor, am Freitag soll er nun final den Bundestag passieren.
Bislang dauern Disziplinarklagen im Schnitt vier Jahre – bei zumeist laufenden Bezügen. Das soll nun beschleunigt werden. Mit der Reform sollen Behörden durch einen Verwaltungsakt Sanktionen oder Entlassungen erst mal selbst vornehmen können – die erst im Anschluss gerichtlich überprüft werden. Die Unschuldsvermutung gelte bis dahin weiter, versichert der Gesetzentwurf.
Auch soll, wer wegen einer Volksverhetzung zu 6 Monaten Freiheitsstrafe oder mehr verurteilt wurde, künftig automatisch seine Beamtenrechte verlieren. Bisher galt dies ab einem Jahr. Die rückwirkende Ahndung von Dienstvergehen wird von maximal sieben auf acht Jahre erhöht.
Faesers Gesetzentwurf wurde nachgeschärft
Die Abgeordneten der Ampelparteien schärften Faesers Gesetzentwurf auch in anderen Punkten nach: Auch eine passive Mitgliedschaft in einer verbotenen Partei oder Vereinigung wird nun in der Regel als schweres Dienstvergehen gewertet, was zum Rauswurf führen soll. Bisher war dies nicht zwingend.
Auch Fälle wie die des 2018 in den Ruhestand versetzten Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen sollen strenger geahndet werden. Politische Beamte im Ruhestand, die theoretisch in den Dienst zurückkehren dürfen, müssen sich jetzt aktiv zur Verfassungstreue bekennen. Auch müssen sie, wenn sie in sicherheitsrelevanten Bereichen tätig waren, nun fünf Jahre lang nach Ausscheiden jede Erwerbstätigkeit anzeigen. Wenn es um Jobs bei „fremden Mächten“, also anderen Ländern geht, müssen diese aktiv genehmigt werden.
„Rechtsradikale Chats bei der Polizei, putschwillige Richterinnen und demokratiefeindlich agierende ehemalige Verfassungsschützer sind mit ihrem Wissen und Zugang zu Waffen ein Sicherheitsrisiko“, sagte der Grünen-Innenpolitiker Marcel Emmerich der taz. Das Vertrauen in den Staat werde dadurch „massiv erschüttert“. Mit dem Gesetz schärfe man Regelungen nach, „die unseren Staat wehrhafter machen“. Es sei „absurd“, dass ein Beamter, der etwa Mitglied der verbotenen Hammerskins sei, bisher nicht sicher dienstrechtlich belangt wurde.
Auch Faeser hatte erklärt, „wer den Staat ablehnt, kann ihm nicht dienen“. Die Union kritisiert dagegen, dass die Ampel mit den Sanktionen via Verwaltungsakt einen „verfassungs- und dienstrechtlichen Konsens in Bund und Ländern brechen“ würde. Auch fehlten präventive Maßnahmen sowie Möglichkeiten zur Rehabilitation bei falschen Beschuldigungen.
Hetzer sollen auch aus der Bundeswehr fliegen
Ebenfalls am Freitag soll der Bundestag eine schnellere Entfernung von Extremist*innen aus der Bundeswehr beschließen. Auch dies könnte dann via Verwaltungsakt geschehen, wenn die Betroffenen bereits mehr als vier Jahre im Dienst sind und in „schwerwiegender Weise“ verfassungsfeindlich auffällig wurden.
Bei einer Befragung am Montag im Bundestag warnten Experten davor, dass der Rechtsschutz von Betroffenen untergraben und die Unschuldsvermutung „ausgehebelt“ werden könnte. Die Ampel betont im Gesetzentwurf dagegen, es sei „nicht hinzunehmen“, dass verfassungsfeindliche Soldat*innen wegen langwieriger Disziplinarverfahren jahrelang im Amt blieben und Bezüge erhielten. Dies beeinträchtigen das „innere Gefüge der Streitkräfte nachhaltig“.
Im Fall der Frankfurter Polizeibeamten werden die Gesetze nichts nützen: Sie gelten nicht rückwirkend. Von den fünf Beamten, die in der Chatgruppe aktiv waren, bekommen vier, trotz untersagter Dienstgeschäfte, weiter ihr volles Gehalt. In einem Fall wurden die Bezüge um 40 Prozent gekürzt.
Einen Prozess gegen die Beamten hatte das Landgericht im Frühjahr abgelehnt: Da diese nur in einer geschlossenen Chatgruppe schrieben, seien ihre Nachrichten keine Volksverhetzung, die eine größere Öffentlichkeit brauche. Die Staatsanwaltschaft hatte dagegen Beschwerde eingelegt – über die bis heute nicht entschieden ist.
Gegen zwei der Beamten, Johannes S. und Miriam D., ermittelt die Frankfurter Staatsanwaltschaft indes weiterhin auch wegen der NSU-2.0-Drohserie, wie ein Sprecher der taz bestätigte. Bei beiden wird geprüft, ob sie auch am ersten Drohschreiben an die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız beteiligt gewesen sein könnten. Hierfür war bereits ein 54-Jähriger aus Berlin verurteilt worden. Weil es zuvor aber auffällige Datenabfragen zu Başay-Yıldız auf dem Frankfurter Polizeirevier gab, hält sich der Verdacht, dass auch dortige Polizisten an dem Schreiben beteiligt gewesen sein könnten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann