Amoklauf in München 2016: Breivik-Fan war selbst Rechtsterrorist
Politiker fordern eine Neubewertung des „Amoklaufs“ von München – als rechtes Attentat. Drei Gutachter kamen zu dem gleichen Schluss.
Am Freitag werden drei Gutachten vorgestellt, welche die Stadt München in Auftrag gegeben hat. Wie vorab publik wurde, stufen alle Experten – der bayrische Politologe Florian Hartleb, der Thüringer Soziologe Matthias Quendt und der Berliner Politikprofessor Christoph Kopke – die Tat als politisch motiviert ein. Die Ermittlungsbehörden und das bayrische Innenministerium sehen das anders. Auch die Münchner Staatsanwaltschaft möchte das Attentat nicht als ausschließlich rechtsextrem motiviert sehen.
Der 18-jährige Deutschiraner David S. hatte am 22. Juli 2016 in München neun Menschen erschossen, am Ende sich selbst. Alle Opfer waren Migranten. Für die Polizei und Bayerns Landesregierung handelte David S. aus Rache für ein zu Schulzeiten erlittenes Mobbing. Nur dadurch habe S. einen Hass auf Türken und Albaner entwickelt, den er am Ende auf eine gesamte Personengruppe übertragen habe. Eine „Verinnerlichung“ einer extremistischen Ideologie habe jedoch „bis zum Zeitpunkt seines Todes nicht stattgefunden“, behauptet der bayerische Verfassungsschutz.
Gutachter widersprechen den Behörden
Dem widersprechen die drei Gutachter: Die Tat sei politisch motiviert. Die Experten verweisen auf rechtsextreme Äußerungen des 18-Jährigen. Auch habe sich dieser nicht direkt an seinen Mobbern oder seiner Schule gerächt, sondern unabhängig davon Migranten ermordet. Die Experten widersprechen auch dem Einwand der Ermittler, David S. sei ja nicht in rechtsextreme Organisationen eingebunden gewesen: Dies sei für eine extremistische Radikalisierung gar nicht nötig. Vielmehr erfülle die Tat alle Kriterien der polizeilichen Definition für rechte Straftaten. Der Politologe Hartleb spricht auch von Rechtsterrorismus, im Sinne eines „Einsamer Wolf“-Konzepts.
Schon früh gab es Zweifel an der reinen Mobbingthese der Ermittler. David S. sagte vor seiner Tat von sich, er sei als Deutschiraner stolz, ein „Arier“ zu sein. Zeugen erinnerten sich an seine Flüche über „Kanacken“. In einer Psychotherapie fiel er mit „Sieg Heil“-Rufen auf. In einem selbstverfassten „Manifest“ beschrieb er Migranten als „Virus“ und „ausländische Untermenschen“, die er exekutieren werde. Und er verehrte den norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik, der 2011 77 Menschen erschoss. Seine Tat verübte David S. auf den Tag genau fünf Jahre nach dessen Attentat: sicher kein zufälliges Datum.
„Ich habe von Anfang an nicht verstanden, warum ein rassistisches Motiv so schnell ausgeschlossen wurde“, sagt die Linken-Politikerin Petra Pau. „Es gehörte zu den Empfehlungen des ersten NSU-Untersuchungsausschusses, dass jede solche Straftat auf ein rassistisches Motiv hin untersucht werden muss. Ich freue mich, dass das jetzt nachträglich geschehen ist, und hoffe, dass es Konsequenzen gibt.“Pau war Obfrau der Linken in beiden NSU-Untersuchungsausschüssen des Bundestages. „Ein rechtsextremes Motiv darf künftig nicht wieder so schnell ausgeschlossen werden“, fordert sie.
Eine Neubewertung der Tat wäre „ein wichtiges Signal“, fügt ihre Parteikollegin Martina Renner zu. „Das hieße, die akute Gefahr durch rechten Terror nicht weiter zu negieren.“
Bayern hält an „Mobbing“-These fest
„Selbst nachdem drei unabhängige, wissenschaftliche Gutachter die Tat als rechtsextrem motiviert bewertet haben, blenden die Behörden die schwerwiegenden Indizien weiterhin aus“, kritisiert die Rechtsextremismus-Expertin der Grünen, Monika Lazar. „Offenkundig haben die Sicherheitsbehörden trotz eindeutiger Hinweise auch in Bayern Probleme, rechtsextreme Tathintergründe zu erkennen.“
Für die bayrische Grüne Katharina Schulze fügt „die beharrliche Weigerung des CSU-Innenministeriums, diese grausame, fremdenfeindliche Tat auch als rassistischen Terror einzustufen, den Angehörigen der Opfer eine zweite, tiefe Wunde zu“. Eine korrekte Einordnung der Tat sei wichtig, um richtige Präventionsstrategien zu entwickeln.
Yavuz Narin, Anwalt mehrerer Opferfamilien des Attentats, bezeichnete eine Neubewertung der Tat als „überfällig“. „Das politische Tatmotiv war schon vor einem Jahr klar. Auch die Familien hatten das immer angenommen.“ Viele Polizisten hätten in dem Fall durchaus engagiert ermittelt, so Narin. „Nur in der Bewertung fehlt der letzte Schritt.“
Amadeu-Antonio-Stiftung nimmt Opfer in seine Liste auf
Die Amadeu-Antonio-Stiftung begrüßte die neuen Gutachten zum angeblichen Amoklauf. „Wir fühlen uns dadurch bestätigt und würden auch dem Innenministerium und den bayrischen Behörden empfehlen, den Fall neu zu bewerten“, sagte Maximilian Kirstein von der Stiftung der taz. „Wir haben die Namen der Opfer von München in unsere Liste der Opfer rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung aufgenommen. Damit zählen wir nun 188 Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit der Wiedervereinigung.“
Kirstein kritisierte auch die Kriterien für die Erfassung von politisch motivierter Kriminalität (PMK): „Die Polizei unterscheidet nach politischem oder persönlichem Tatmotiv“. Islamistisch motiverte Anschläge würden meist relativ schnell als solche eingestuft, bei rechtem Terror dauere das manchmal etwas länger. „Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass sich politische und persönliche Motive nicht ausschließen müssen, so wie es bei der Tat in München wohl der Fall war“, sagt Kirstein. Grüne und Linkspartei fordern schon lange, die Erfassungskriterien für politisch motivierte Gewalt entsprechend zu überarbeiten.
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hatte bei der Gedenkfeuer zum ersten Jahrestag des „Amoklaufs“ im Juli angedeutet, dass er ein politisches Motiv für möglich hält. Die Ermittler und das CSU-Innenministerium dagegen wollen bis heute kein rassistisches Motiv erkennen. Die Bundesregierung drückt sich um eine eigene Bewertung herum. Die Einordnung des Falls sei allein Sache der zuständigen Polizeidienststelle, antwortete das Bundesinnenministerium zuletzt auf eine Linken-Anfrage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?
Argentiniens Präsident Javier Milei
Schnell zum Italiener gemacht
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?