Amnesty kritisiert Asylkompromiss: „Das ist ein fauler Kompromiss“
Die von den Grünen mitgetragene Asylrechtsänderung diskriminiert Flüchtlinge, sagt Selmin Çalışkan von Amnesty International.
taz: Frau Çalışkan, der Bundesrat hat eine Änderung des Asylrechts beschlossen. Wie stehen Sie zu dem Kompromiss, den die Grünen aus Baden-Württemberg mittragen?
Selmin Çalışkan: Es ist ein fauler Kompromiss. Erstens kann kein deutsches Gesetz die Situation beispielsweise für Roma in Serbien „sicher" machen. In diesen Ländern sind Minderheiten strukturell benachteiligt, leben am Rande der Gesellschaft. Dazu kommt, dass die Regierungen sie nicht vor rassistischen Angriffen schützen und Politiker teilweise die Vorurteile gegen sie noch schüren. In der Summe können diese mehrfachen Diskriminierungen - auch nach den strengen Maßstäben des Asylrechts - eine Verfolgung darstellen. Dann haben die Betroffenen das Recht, Schutz zu suchen und zu finden. Auch bei uns. Zweitens ist das Gesetz ein weiterer Schritt zur Aushöhlung des Asylrechts. Das Recht auf eine faire Einzelfallprüfung für jeden Schutzsuchenden aus jedem Herkunftsland ist das Kernstück des Asylverfahrens. Dieses Recht ist für uns nicht verhandelbar.
Auch nicht, wenn sich die Lage für Aslysuchende, die bereits in Deutschland sind, verbessert?
Wir dürfen Flüchtlinge aus dem Westbalkan nicht gegen Bürgerkriegsflüchtlinge ausspielen. Kriterium muss immer sein, ob der einzelne Mensch Schutz braucht.
Aber was halten Sie von den Verbesserungen?
ist Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International.
Die bekannt gewordenen Zugeständnisse enthalten nur minimale Verbesserungen für Asylsuchende, nicht mal für alle. Das Sachleistungsprinzip auf die Zeit der Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen einzuschränken ist nur eine kosmetische Verbesserung. Schon jetzt bekommen die meisten Asylsuchenden außerhalb der Einrichtungen Bargeld. Die anderen Benachteiligungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz werden nicht angetastet. Das Asylbewerberleistungsgesetz muss ganz abgeschafft werden. Dieses Gesetz diskriminiert Asylsuchende.
Was sagen sie zur Belastung der Kommunen durch die steigenden Flüchtlingszahlen?
Angesichts der vielen Krisenherde weltweit sollte es für Europa selbstverständlich sein, deutlich mehr Flüchtlinge aufzunehmen als bisher. Ein Anstieg der Zahlen war absehbar. Aber statt die Aufnahme von Asylsuchende als gesellschaftliche Daueraufgabe zu betrachten, wurden in der Vergangenheit Kapazitäten abgebaut. Nur deshalb greifen die Kommunen zu Notlösungen wie die Unterbringung in Containerdörfern. Das darf kein Dauerzustand bleiben.
Musste die Bundesregierung angesichts steigender Flüchtlingszahlen gegensteuern?
Wir müssen auch den Zusammenhang sehen: Weltweit sind derzeit über 51 Millionen Menschen auf der Flucht - das sind so viele wie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr! Der überwiegende Teil der Menschen sucht innerhalb des eigenen Landes Schutz. Etwa 18 Millionen Menschen verlassen ihre Heimat. Die meisten Flüchtlinge kommen aber nicht nach Deutschland oder Europa, sondern bleiben in ihren Nachbarländern. Insgesamt nehmen sogenannte Entwicklungsländer inzwischen 86 Prozent aller Flüchtlinge auf - Tendenz steigend. Mit anderen Worten: Länder wie Pakistan, Iran, Libanon oder Kenia, in denen es viel weniger Ressourcen gibt als bei uns, leisten durch ihre Aufnahmebereitschaft den allergrößten humanitären Beitrag für Flüchtlinge. Auch die Türkei ist hier zu nennen, durch die Aufnahme von 1 Million syrischer Flüchtlinge.
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