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Ameisen bei der ArbeitChillt doch mal

Neue Studien zeigen, dass die Mehrheit der Ameisen nicht arbeitet. Ihre Produktivität leidet darunter nicht. Was Menschen davon lernen können.

Können erstaunlich ineffektiv sein: Ameisen Foto: Science Photo Library/Imago

Die ganze Welt wimmelt von Insekten – auch wenn ihnen Menschen das Überleben zunehmend schwer machen. Dass sie es evolutionär überhaupt so weit geschafft haben, gilt auch als Erfolg von Fleiß und Arbeitsteilung. Neuere Studien entdecken allerdings ein stark unterschätztes Talent der Insekten: Nichtstun. Der wissenschaftliche Blick auf einen Ameisenhaufen zeigt erstaunlich viel Inaktivität.

Ameisen untersucht man im Labor in einem Glaskasten. Vor dem Einzug bemalten die Forschenden die Ameisen mit einer einzigartigen Kombination an bunten Punkten, um sie auseinanderhalten zu können. Dann filmten sie über Monate, mal tagsüber und mal nachts, ihre Aktivität, um herauszufinden, ob die regungslosen Ameisen vielleicht einfach nur Pause machen oder sich von nächtlicher Schichtarbeit ausruhten.

Mit statistischen Verfahren konnten die Forschenden mehrere Tätigkeitsfelder ausmachen, auf die sich die einzelnen Ameisen spezialisiert hatten. Rund 10 Prozent sammelten außerhalb des Nestes Baumaterialien und Essen. 16 Prozent kümmerten sich um den Nachwuchs und einander. Etwas mehr als 30 Prozent wanderten auf der Suche nach irgendeiner Tätigkeit wild durch die ­Gegend – und ganze 40 Prozent saßen einfach so herum.

Um mehr über die Dynamik zu erfahren, entfernten die Forschenden in den verschiedenen Gruppen besonders emsige oder besonders inaktive Ameisen. Die erstaunliche Entdeckung: Die Gruppe, die ihre Zugpferde einbüßte, verlor dadurch nichts an Produktivität. Die Arbeitslast wurde von den vorher untätigen Ameisen aufgefangen. Ein paar von ihnen wurden zu den aktivsten von allen.

Faule Ameisen sind systemrelevant

Die Inaktiven bildeten also eine Reserve. Allerdings eine, die sich nicht leicht auffüllen lässt: Dort, wo die Rumsitzenden fehlten, machten die emsigen Ameisen einfach weiter. Das zeigt, dass „Entspannen“ keine Tätigkeit ist, die bei Bedarf einfach ergriffen wird. Vielmehr besitzen manche Ameisen ein besonderes Talent dafür. Der Schwellenwert an Dringlichkeit, ab dem sie sich in Bewegung setzen, liegt möglicherweise höher.

Bei Effizienz denken Menschen oft an „Verschlankung“. Unis streichen feste Stellen, Kliniken müssen schließen. Das Ergebnis ist ein System, das von allen ständig Höchstleistung verlangt – aber kollabiert, sobald ein äußerer Schock eintritt oder die Zugpferde ausbrennen. Dagegen zeigen uns die Ameisen, dass selbst im ultimativen Wettbewerb, dem survival of the fittest, gewinnt, wer bei der Produktivität Luft nach oben lässt.

Die Modellrechnung bestätigt: Faule Ameisen sind für das langfristige Überleben der Gesellschaft ein wichtiger Resi­lienz­faktor. Und noch etwas: Selbst von den emsigen Ameisen ist ein Großteil nur die Hälfte der Zeit aktiv. Von der Work-Life-Balance der Ameisen könnten sich Menschen eine Scheibe abschneiden.

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8 Kommentare

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  • Ameisen haben aber auch ein recht homogenes Bildungsniveau. Und somit keine respektable Resilienzreserve bei gleichzeitigem Fachkräftemangel.

  • Bei Ameisen mag dies notwendig sein, den dieses System sorgt dafür, dass ein Massensterben von Ameisen nicht automatisch zum Untergang des gesamten Ameisenvolkes führt. Bei uns Menschen sind die Vorzeichen etwas anders und wir können auf eine solche Resilienzreserve sehr gut verzichten.

    • @DiMa:

      Ach, ist das so ?



      :-o

  • Man darf nicht vergessen, dass Ameisen eines Volkes i.d.R. eng miteinander verwandt sind. Sie betrachten einander also demnach nicht als lästige Wettbewerber sondern (vermutlich) mit Empathie. Die Königin wird also auch nicht nach dem Motto "Divide et impera" agieren.

  • Gibt es einen sweetspot zwischen Effizienz und Reslilienz.

  • Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob das hier nicht besser in der Rubrik Wahrheit aufgehoben wäre. Es ist wirklich schwierig einen Text ernst zu nehmen, der unironisch Funtionsweise von Kolonien staatenbildender Insekten mit dem menschlicher Gesellschaften vergleicht und die Inaktivität einzelner Ameisen als "Chillen" oder "Entspannen" bezeichnet.



    Vielleicht mal zwei Dinge angemerkt: Es gibt kein keinerlei indiviuelle Persönlichkeit in einem Insektenstaat. Und verstirbt die Königin, stirbt zwangsläufig die gesamte Kolonie.

    • @Deep South:

      Ist doch mit Merkel auch so, irgendwas ist da mit ihrem Abgang wenigstens kollektiv psychologisch gehörig aus der Spur geraten. Dabei hat sie "nur" 16 Jahre regiert, bestimmte Ameisenköniginnen packen angeblich an die 30... und das mit den Individuen oder einem Gespür dafür ist mit einem ganz dicken Fragezeichen zu versehen. Man weiss inzwischen dass sogar gewisse semi-soziale Spinnen ihr Netz nur mit bestimmten Artgenossen (nicht) zu teilen bereit sind. Und Insekten sind kognitiv wie sozial viel kompliziertere Wesen.

      So ein Glaskasten heisst übrigens Formikarium, das kann man auch zu Hause haben, wenn man sich gern mit Gleichgesinnten umgibt. Würde aber sagen das gilt im Prinzip abseits des Menschen für alle Tiere, auch bei Einzelgängern sind wann immer möglich ausgedehnte Ruhe-, Schlaf- oder Pflegephasen sicher keine Ausnahme, im Kollektiv ist es nur noch einfacher. Nur arbeiten wohl die wenigsten Menschen (noch) auch aus gemeinschaftlichen Pflichtgefühlen oder existenziell empfundener Notwendigkeit, sondern aus Angst vor der alternativen Leere. Die Tiere so nicht kennen aber die anderweitig produktiv oder wenigstens nicht destruktiv zu füllen nur wenigen Menschen gegeben ist. Das ist die hohe Kunst des Chillens, die Ameisen werden uns damit wohl auch überleben.

      • @Tanz in den Mai:

        Okay, dann halt ausführlich.

        Die Kolonioe stirbt nicht durch Orientierungslosigkeit, Führungsverlust oder an kollektiver Psychose. Sie stirbt, weil die die Königein das einizge Lebewesen ist, dass befruchtete Eier produziert.



        Ein Ameisenstaat ist ein Supraorganismus. Die Gesamtheit der Individuen funktioniert und kommuniziert über eine kollektive Intelligenz. Einzelne Lebewesen sind nicht überlebensfähig.



        Es gibt im Übrigens keinerlei wissenschaftliche Beleg dafür, dass in der Ameisenkolonie "die Arbeitslast von den vorher untätigen Ameisen aufgefangen wird".



        Man geht eher davon aus, dass die "inaktiven" Mitglieder kommunikative Aufgaben übernehmen.

        Aus der oben verlinkten Studie:

        "Frühere Untersuchungen hätten ergeben, dass sich die Nichtstuer nur bedingt zum Arbeiten animieren lassen, selbst wenn die Zahl der besonders Fleißigen deutlich reduziert wird. Auch andere Studien zeigen, dass bei steigender Arbeitsbelastung die ohnehin Aktiven noch aktiver werden, die mutmaßliche stille Reserve aber nicht eingreift."

        "Die wenigen Studien, die behaupten, die „Reservearbeiter“-Hypothese zu stützen [ 35 , 65 ], definieren Inaktivität als das Fehlen der Beobachtung einer Reihe vorher festgelegter Verhaltensweisen. Infolgedessen haben als „inaktiv“ definierte Arbeitnehmer möglicherweise tatsächlich eine Vielzahl von Aufgaben ausgeführt (z. B. Streifengang, Pflege und Bauarbeiten), die nicht Teil der vorgegebenen Aufgabenliste waren, und waren daher möglicherweise überhaupt nicht wirklich inaktiv ".

        Die Systematik einer Ameisenkolonie (Supraorganismus) hat wissenschaftlich nichts, aber auch gar nichts mit dem einer menschlichen Gesellschaft (Gruppentier) und dem was wir unter "Chillen" oder Faulheit verstehen zu tun. Die Vergleiche sind haarsträubend.