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Ambitioniertes Klimaprogramm der EUBrüssel denkt groß, Berlin zaudert

Bernhard Pötter
Kommentar von Bernhard Pötter

Die EU-Kommission legt endlich einen Fahrplan gegen den Klimawandel vor. Die Bundesregierung denkt sich hingegen nur bunte Ziele aus.

Mal wieder Stau in der deutschen Hauptstadt Foto: Michael Kappeler/dpa

D er Kontrast könnte kaum größer sein: Am Mittwoch legt die EU-Kommission in Brüssel einen detaillierten Fahrplan vor, wie bis 2030 die klimaschädlichen Emissionen drastisch zu mindern sind. Und einen Tag vorher gestand der deutsche Wirtschaftminister Altmaier, dass er jahrelang die Zahlen zum Stromverbrauch und Bedarf an Ökostrom kleingerechnet hat. Wenn es ernst wird mit Klima und Umbau der Industriegesellschaft, dann gilt: Brüssel denkt groß. Berlin duckt sich weg.

Das bedeutet nicht, dass das Brüsseler „Fit for 55“-Paket der heilige Gral der Klimaneutralität ist. Auch die drastischen Vorschläge zu Emissions­handel, CO2-Preis und dem Verbrennungsmotor reichen nicht aus, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Das Paket ist voller ungedeckter Schecks und fragwürdiger Annahmen: Wer soll das bezahlen? Woher kommen Ökostrom und grüner Wasserstoff? Welche EU-Länder stellen sich quer? Wie sollen „Gelbwesten“-Proteste vermieden werden?

Es gibt im EU-Plan mehr Fragen als Antworten. Aber immerhin werden die Fragen laut gestellt. Die EU-Kommission knallt jetzt ein Paket auf den Tisch, über dessen Details sich in den nächsten Jahren ganz Europa in die Haare geraten wird. Doch dieser Streit ist nötig und überfällig. Viel zu lange sind die harten Entscheidungen aufgeschoben worden. Und ganz groß im Aussitzen waren die Berliner Regierungskoalitionen unter Angela Merkel. Das Thema wurde kleingekocht und vor allem von der Union blockiert.

Schließlich ließen sich alle begeistert vom Bundesverfassungsgericht vorwerfen, sie handelten zu wenig und zu langsam. Und dann? Dann wurden die Ziele verschärft. Doch die nötigen Maßnahmen wurden wieder nicht beschlossen. Die sind ein verbindlicher Ausbau des Ökostroms, ein höherer, sozial abgefederter CO2-Preis, eine Steuerreform und neue Verkehrsplanung. In den Wahlprogrammen von Union, SPD und FDP steht dazu oft nur billige Prosa.

Mit all diesen Problemen wird die nächste Bundesregierung zu kämpfen haben. Die wird auch den Druck aus Brüssel spüren – denn viele der EU-Maßnahmen haben direkte Auswirkungen auf Deutschland. Dann wird sich zeigen, ob Berlin mitzieht oder wie in der Vergangenheit auf der Bremse steht, wenn eigene Interessen (sprich: Autos) betroffen sind.

Eine kluge Regierung könnte diesen Rückenwind aus Brüssel nutzen. Aber wie klimaklug eine Regierung Laschet wäre, wird immer zweifelhafter. Die EU-Kommission hat jedenfalls nun beschlossen, Europa für das 55-Prozent-Ziel ins Fitnessstudio zu schicken. Deutschland sitzt derzeit noch auf dem Sofa und schaut zu.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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16 Kommentare

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  • @PS007

    Nur: Klimapolitik ist derzeit die beste Friedenspolitik, die zu haben ist.

    Was meinen Sie denn, wie "interessant" die Verteilungskämpfe demnächst werden, wen die Äcker und die Meere immer weniger hergeben?

    Wer das nicht sieht ist 'ne Schlafmütze.

  • Die EU sollte hier außen vor bleiben - sonst folgt der nächste Xexit.



    Die EU ist ein Friedens- und kein Klimaprojekt. Das sollte nie vergessen werden. Ohne EU gibt es wieder Kriege in Europa. Dagegen ist ein Hochwasser nur eine kleine Wasserpistole.

  • "Deutschland sitzt derzeit noch auf dem Sofa und schaut zu" - Deutschland sitzt eher im Schulbus und hat die Hausaufgaben (für die es echt viel Zeit hatte) nicht gemacht.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Christoph Buck:

      Die Klima-Kanzlerin war seit 2008 auf einem guten Weg:



      www.bundesregierun...gela-merkel-794614

  • Mich würde wirklich sehr interessieren, was unsere Jugend eigentlich über all solche Nachrichten denkt? Es wird immer wärmer, wir beuten weiterhin die Erde aus, kaufen billigen Müll auf Kosten anderer, lieber noch eine dritte Alexa in der Wohnung, als sich selbst zu hinterfragen - Führen wir bald Kriege um Essen und Wasser? Ist es das, was wir wollen?

    • @Kirsten1990:

      Starten Sie doch eine Umfrage auf Malle. Da finden Sie derzeit reichlich Angehörige "unserer" Jugend. Die Konsumkritik vieler Jugendlicher endet oftmals dann, wenn es um die eigenen Einsparungen geht.

  • Ich verstehe nicht, wer immer noch meint, wir hätten Zeit.

  • "... wie klimaklug eine Regierung Laschet wäre, wird immer zweifelhafter"

    Ich schlage diesen Satz für den Preis "Understatement der Legislaturperiode" vor.

  • " Die EU-Kommission knallt jetzt ein Paket auf den Tisch, über dessen Details sich in den nächsten Jahren ganz Europa in die Haare geraten wird."



    Darauf ist Verlass, und es beruhigt.



    In dieser Zeit ist es möglich, über konkrete Maßnahmen zur Minderung der unvermeidlichen Folgen des Klimawandels nachzudenken und kurzfristig zu handeln.

  • Europa hat beim Klimaschutz einen strategischen Vorteil: Der Laden kann etwas beschließen, ohne dass die Europäer ihrem Unmut bei Wahlen unmittelbar Luft machen können. Letztendlich tonangebend ist natürlich der Ministerrat, also die Regierungschefs der EU-Mitglieder, was aber keine Sau weiß. Brüssel kann es sich locker leisten, "groß" zu denken, die Regierungen der einzelnen Mitgliedstaaten hingegen nicht. Anders als der Artikel suggeriert ist das keine Frage von Mut oder Zaudern, sondern schlicht eine strukturelle Kiste. Zurückhaltend gegenüber einschneidenden Maßnahmen dürften auch viele andere Regierungen in Europa sein. Gelbe Westen gibt es nicht nur in Frankreich...

    • @zmx52:

      Erstens ist es natürlich schon wohl bekannt, dass der Ministerrat entscheidet. Man kann im Ministerrat aber nicht nur unbemerkt blockieren, sondern auch Politik auf den Weg bringen, die man auf nationaler Ebene kaum durchsetzen könnte. Man kann über Bande spielen, sich hinter Brüssel verstecken, auch wenn es um Umweltschutz geht. In der Vergangenheit hat Brüssel so auch gar nicht so wenig bewegt. Woher kommen denn die ganzen ehrgeizigen Grenzwerte, über die man sich dann hierzulande so schön aufregen kann? Ein strukturelles Problem mag zwar existieren, es dürfte aber eher positive Auswirkungen haben. Denn natürlich sind die nationalen Politiken noch viel mehr von Egoismus, Feigheit, Abhängigkeiten geprägt als die auf europäischer Ebene. Und das ist ursächlich neben der undemokratischen Beeinflussung durch Lobbygruppen auch dem demokratischen Druck aus dem Nichtveränderungswillen der Bürger zuzuordnen. Brüssel ist eben ein Instrument die Politiker von ihren Bürgern zu befreien, zum Schlechten aber auch zum Guten.

  • Super. Kann ich gebrauchte Benziner also bis zu meiner Rente in 203+ fahren.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Zuversicht:

      Sicherlich. Aber der Kraftstoff wird sehr teuer sein...



      de.wikipedia.org/w...s_der_Donnerkuppel

  • Papier ist geduldig. Und auf diesen geduldigen Papieren der EU und der Bundesregierung steht das übliche: Wachstum sichern, nachhaltig! Energie und Ressourcen sparen gehört sich nicht für unseren Wirtschaftsstandort Deutschland und den europäischen Wirtschaftsraum, der genau zum Zwecke des Wachstums gegründet wurde. Zumal die Konkurrenzsituation in den USA und China im globalen Verdrängungskrieg um Marktanteile, Ressourcen, Absatzmärkte das auch überhaupt nicht zulässt. Deshalb muss es auch eine europäische "Seidenstraße" auf dem afrikanischen Kontinent geben.



    Entscheidend ist weder das Klima noch die soziale Ungleichheit, sondern ausschließlich ein steigendes BIP, dass mit zusätzlichen Investitionen und Mrd Subventionen gefördert wird.



    Nicht einmal ein Tempolimit 100 auf Autobahnen ist machbar, um mit dem dadurch eingesparten CO2 die CO2-Emissionen zu "kompensieren", die bei der Herstellung des Zements für die Fundamente von ein paar Windanlagen entstehen (bis 2030).



    Nun werden wohl noch ein paar Batteriezellen-, Chip-, E-und Hybridefabriken entstehen, neue H2-Demo-Anlagen für den Export aufgebaut, ein schicker Weltraumbahn obendrauf, und für den Strukturwandel in den Braunkohleregion werden reichlich CO2 Senken verschwinden, wie auch für die o.g. Produktionsstätten.



    Der Bau von Autobahn und Tiefbahnhöfen ist nicht verhandelbar, die Regionalflughäfen sind sakrosankt, Kohle wird bis 2038 verheizt, die Autos werden schwerer, breiter, länger und stärker... alles wie gehabt! Nur mit schickeren Adjektiven vermarktet.



    Von wegen Energie- und Verkehrswende. Das "grüne" Marketing funktioniert hervorragend. Weil wir lieber glauben was uns gefällt, als uns mit der Wirklichkeit abzufinden, dass auf einem begrenzten Planeten kein unbegrenztes Wachstum möglich ist. Auch dann nicht, wenn das Adjektiv "unbegrenztes" durch nachhaltiges, grünes oder klimaneutrales ersetzt wird.



    PS: Von Rohstoffknappheiten und -abhängigkeiten (China) noch gar nicht geredet!

  • Na ja, gegen deutschen Einfluss dürfte der Eu Plan nicht zustande gekommen sein. Es ist eher so, als ob es dann eine Ausrede gibt, die eu war’s.



    Wobei das fehlen von Details wohl ganz entscheidend ist. Der Eu Plan ist nur Papier.

    • @fly:

      Wieder mal.....