Amazon-Beschäftige in den USA: Amazon vs. Gewerkschaft
ArbeiterInnen im US-Bundesstaat Alabama wollen sich gewerkschaftlich organisieren. Amazon torpediert das, Corona macht es nicht einfacher.
„Stimmt mit Nein!“ steht auf Zetteln, die an Decke und Wänden der Toiletten der Lagerhallen kleben. „Spart 500 Dollar im Jahr“, ist auf bunten Faltblättern zu lesen. „Wir haben alles, was wir brauchen“, heißt es in Videos auf der Plattform Twitch. „Gefährdet eure ausgezeichneten Arbeitsbedingungen nicht“, mahnen Vorgesetzte, wenn sie zu den PackerInnen kommen.
Es ist eine Kampagne, die sich gegen einen möglichen Gewerkschaftsbeitritt richtet. Bis Ende März entscheiden die 5.800 LagerarbeiterInnen von Amazon in Bessemer am südlichen Stadtrand von Birmingham, Alabama, darüber, ob sie sich der Retail, Wholesale and Department Store Union (RWDSU) anschließen wollen.
2.000 Beschäftigte haben den Antrag auf die Abstimmung eingereicht. Der für Arbeitsrecht zuständige National Labor Relations Board hat zugestimmt. Aber Amazon, der zweitgrößte private Arbeitgeber der USA, versucht einen Trick nach dem anderen, um die Sache scheitern zu lassen.
Unter anderem hat der Konzern beim National Labor Relations Board versucht, die Briefwahl zu verhindern. Er wollte die Stimmboxen in seinen Lagerhallen aufstellen. Zur Desinformation gehört auch, dass er gegenüber seinen Beschäftigten behauptet hat, die Wahl sei schon am 1. März zu Ende.
Amazon lügt
Zudem hat Amazon die Angaben über Mitgliedsbeiträge frei erfunden. In dem „Right to Work“-Staat Alabama darf eine Gewerkschaft keine Pflichtmitgliedsbeiträge erheben. Die freiwilligen Gewerkschaftsbeiträge für Amazon-Beschäftigte würden sich auf maximal 120 Dollar im Jahr belaufen. Es stimmt auch nicht, dass Gewerkschaftsmitgliedschaft zu Lohnverlusten führt. Nach Angaben des US Bureau of Labor Statistics liegen die Löhne von Beschäftigten, die gewerkschaftlich organisiert sind, rund 20 Prozent über den anderen.
Amazon lässt sich von mehreren Anwaltskanzleien beraten, die darauf spezialisiert sind, Gewerkschaften fernzuhalten. Mit ähnlichen Taktiken haben die Kanzleien in den letzten Jahren Gewerkschaftsaktivitäten in anderen Großbetrieben in den Südstaaten verhindert – darunter Nissan in Mississippi, Boeing in South Carolina und Volkswagen in Tennessee.
Die Gewerkschaft RWDSU, die im Fall einer Zustimmung der Belegschaft künftig die Tarifverhandlungen mit Amazon führen würde, muss ihre Kampagne außerhalb der Lagerhallen und der Arbeitszeit führen. Die Pandemie kompliziert das Vorhaben zusätzlich. Statt Versammlungen zu organisieren, verschickt die Gewerkschaft SMS und telefoniert.
Zusätzlich standen seit dem Spätherbst ab 4.30 Uhr morgens gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte einer benachbarten Hühnchenfabrik an der Werksausfahrt von Amazon. Während der Rot-Phasen der Ampel informierten sie Amazon-Beschäftigte über Sinn und Zweck von Gewerkschaften. Seit Jahresanfang ist die Rot-Phase verkürzt. Das hat Amazon laut RWDSU im Jefferson County erwirkt.
Von Black Lives Matter unterstützt
Bessemer, wo es einst zahlreiche Arbeitsplätze in Kohle und Stahl gab, ist heute ein strukturschwaches Gebiet. Die Gewerkschaft hofft trotzdem auf einen Erfolg. In dem Betrieb, in dem mehr als 75 Prozent der Beschäftigten AfroamerikanerInnen sind, wird sie von Bürgerrechtsgruppen wie Black Lives Matter unterstützt.
Nach jahrelangen gewerkschaftlichen Niederlagen quer durch die Südstaaten hätte ein Erfolg bei Amazon Signalwirkung. Schon jetzt kommen bei der RWDSU täglich Anfragen aus anderen Amazon-Niederlassungen, deren Beschäftigte ebenfalls versuchen wollen, sich zu organisieren. Littler, eine der großen Union-Bashing-Kanzleien in den USA, mahnt ihre unternehmerische Kundschaft: „Nach vier Jahren nie dagewesener sozialer Unruhe“ habe sich der „Aktivismus auf die Arbeitsplätze verlagert, wo er sich „manifestiert wie nie zuvor“.
Unterstützung für die gewerkschaftliche Organisierung in Alabama kommt von Football-Spielern der NFL und Hollywood-Größen. Auch 50 Abgeordnete des US-Repräsentantenhauses protestierten gegen die Einschüchterungstaktiken von Amazon. Der unermüdliche Senator Bernie Sanders hat Amazon-Gründer Jeff Bezos am Wochenende gefragt: „Was ist Ihr Problem mit Gewerkschaften?“
Anders als in den letzten Jahrzehnten, als das Gewerkschaftsbashing von republikanischer wie demokratischer Seite kam, ergriff nun der US-Präsident Partei. Ohne Amazon direkt zu nennen, veröffentlichte Joe Biden Ende Februar ein Video, in dem er Gewerkschaften einen „wesentlichen Bestandteil“ der Demokratie nennt. Er erklärte: „Jeder Arbeiter hat das Recht, sich frei für eine Gewerkschaft zu entscheiden. Wir sollten Gewerkschaften nicht nur erlauben, sondern ermuntern.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja