: Das Bruttoinlandsproblem
Bedeutet mehr Wirtschaftsleistung ein besseres Leben? Nein. Warum es an der Zeit für Alternativen zum BIP ist
Von Svenja Bergt
Jedes Jahr in den Urlaub fliegen? Sich eine tolle neue Couch leisten, einen neuen Laptop? Ja, für viele Menschen ist das Wohlstand. Es ist ein Wohlstandsverständnis, das angesichts von Inflation und ins Stocken geratenen Lieferketten immer mehr unter Druck gerät. Und durch eine Erkenntnis, die sich nur langsam durchsetzt: Unser Leben, das Leben aller Menschen auf diesem Planeten, wird nicht mehr lange so weitergehen können, wenn ein Teil der Welt weiter an diesem Verständnis von konsumzentriertem Wohlstand festhält.
Dabei ist es so praktisch: Wertschöpfung, Investitionen, Einkommen – das lässt sich gut messen. Simplizität wiederum lässt sich einfach kommunizieren und darstellen. Perfekt für eine Kurve, die immer ein Stückchen weiter klettert und signalisiert: Alles ist gut. Kein Wunder also, dass der am weitesten verbreitete Index für die Wohlstandsmessung das Bruttoinlandsprodukt ist. Simpel, klar, vergleichbar. Jenseits davon beginnt die Komplexität. Das zeigen die Grafiken auf dieser Seite. Die Faustregel: Je mehr Faktoren und je weniger greifbar diese auf statistisch erhebbare Größen heruntergebrochen werden können, desto mehr Erklärung braucht ein Wohlstandsindikator.
Der Gedanke daran, dass die Wohlstandskurve nach unten gehen könnte, weckt Ängste. Ängste vor Verzicht. Ängste vor einem Abstieg. Wenn viele Menschen Angst haben, bald auf der Verliererseite zu stehen, kann das für eine Gesellschaft zum Problem werden. Ebenso aber, wenn die Politik es nicht schafft, zukunftsweisende Lösungen aufzuzeigen, sondern selbst noch an einem überholten Wohlstandsverständnis festhält.
Es kann also nicht nur darum gehen, auf Wohlstand zu verzichten. Stattdessen könnten zwei Fragen weiterhelfen: Welche Bedürfnisse befriedigen wir eigentlich mit dem neuen Smartphone, der Immobilie, dem Auto? Und wie können diese anders, nämlich klima-, ressourcen- und gesellschaftsverträglicher befriedigt werden? Kommunikation, soziale Absicherung, Genuss, Mobilität, Unterhaltung, Teilhabe – all das geht auch mit einem deutlich geringeren ökologischen Fußabdruck. Die bereits entwickelten Wohlstandsindizes, die auf die Umwelt schauen, die Aspekte wie Gesundheitsversorgung einbeziehen oder Bildung, Work-Life-Balance oder Luftverschmutzung, sind wahrscheinlich noch nicht die endgültige Lösung. Aber sie sind ein erster Schritt auf einem Weg, der noch viel zu langsam beschritten wird.
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