Grabstätten und Gartenbau: Platz auf dem Friedhof

Weil sich Menschen zunehmend in Urnen bestatten lassen, entstehen auf den Berliner Friedhöfen Freiflächen. Die können so anderweitig genutzt werden.

Der grüne Punkt auf dem Grabstein auf dem St. Jacobi Friedhof in Neukölln gibt den Hinweis, dass der Stein ausrangiert wird

Grünes Plätzchen in der Stadt: St.-Jacobi-Friedhof in Berlin-Neukölln Foto: Paul Zinken/dpa

BERLIN taz | Eine Gruppe Stu­den­t*in­nen schaut sich neugierig um. Sie lachen, reden miteinander. Zwischendurch läuft eine ältere Frau mit einer Gießkanne den schmalen Weg an den Gräbern entlang. Sie beachtet die kleine Gruppe junger Menschen nicht weiter. Wir sind auf dem St.-Jacobi-Friedhof mitten in Berlin-Neukölln. Unter den Armen der Stu­den­t*in­nen klemmen Aufgabenpapiere. Sie kommen von der Technischen Universität und sollen den Friedhof erkunden. In Grüppchen laufen sie weiter hinein in das 7,5 Hektar große Friedhofsgelände, dorthin, wo Kartoffeln, Kürbisse und Kapuzinerkresse wachsen.

„Es gibt auch hinten noch vereinzelt aktive Gräber, sonst eher hier vorne. Wir haben aber schon seit 2019 keine Neubestattungen mehr“, sagt Luciana Saalbach, eine der Ge­schäfts­füh­re­r*in­nen des Prinzessinnengarten-Kollektivs. Sie führt über das Gelände, auf dem das Kollektiv seit zwei Jahren fest etabliert ist. Europaweit ist dies das erste Experiment: Ein noch aktiver Friedhof wird langsam zum Gemeinschaftsprojekt umgestaltet.

In Neukölln treffen sehr viele verschiedene Menschen aufeinander. Der Friedhof war dabei nicht immer der Rückzugsort, den sich manche gewünscht hätten. Einige Trauernde fühlten sich gestört durch laute Besucher*innen, manchmal fand man Spritzen in verlassenen Ecken, bis der Evangelische Friedhofsverband das Kollektiv ansprach.

Zuvor war der Prinzessinnengarten zehn Jahre lang am Moritzplatz in Kreuzberg angesiedelt, suchte aber nach einem langfristigeren Standort. Auf dem St.-Jacobi-Friedhof ist das Kollektiv nicht nur gärtnerisch aktiv, das urbane Landschaften in einen großen Gemeinschaftsgarten mit Bildungsauftrag verwandelt. Die Prin­zes­sin­nen­gärt­ne­r*in­nen sind auch An­sprech­part­ne­r*in­nen für die Nachbarschaft, die zum Trauern kommt, für den Friedhof, wenn „eine Ecke mal wieder sauber gemacht werden soll“.

Die Entscheidung für die Urne

Doch warum gibt es in der in den letzten Jahren eigentlich immer weiter gewachsenen Millionenstadt Berlin überhaupt so viel Platz auf Friedhöfen?

Von den über 200 Friedhöfen in Berlin sind 117 evangelisch, 84 sind landeseigen. Bei allen liegt insgesamt gut ein Drittel der Fläche brach

Weniger Menschen leisten sich heute eine Erdbestattung. Die meisten entscheiden sich für Urnenbegräbnisse und immer häufiger auch für Urnengemeinschaftsgräber. Schon vor zehn Jahren waren fast 80 Prozent aller Bestattungen Urnenbeisetzungen.

Das bedeutet für die Friedhöfe zum einen größere unbenutzte Flächen, denn Urnengräber sind deutlich kleiner. Andererseits sinken aber auch die Einnahmen. Geld verdient ein Friedhof mit der Pacht von Gräbern. Je größer ein Grab, umso teurer ist es. Konfessionelle Friedhöfe werden zudem nicht über Steuern mitfinanziert, sondern müssen sich allein unterhalten. Von den über 200 Friedhöfen in Berlin sind 117 evangelisch, 84 sind landeseigen. Bei allen liegt insgesamt gut ein Drittel der Fläche brach. Weil die Instandhaltung der leer stehenden Grünflächen teuer ist, braucht es eine alternative Nutzung.

Je weiter man läuft, umso stiller wird es auf dem St.-Jacobi-Friedhof. Die umstehenden Häuser und Bäume verschlucken den Autolärm auf der nahen Hermannstraße. Ein Hund mit wuscheligem Fell und großen Augen liegt platt vor einigen Hochbeeten und beobachtet kichernde Kinder, die hin und her wuseln. Erwachsene begutachten eine Reihe Grünkohl, an dem sich die Schnecken gütlich getan haben. Weiter hinten liegt der Bereich für Heilkräuter, betrieben von Flamingo e. V., einem Netzwerk für geflüchtete Frauen und Kinder. Alles hier wirkt idyllisch, eine kleine Oase im Großstadtdschungel.

„Es ist manchmal ein Spagat, zwischen den Bedürfnissen der Nachbarschaft zu vermitteln“, sagt Luciana Saalbach. Der Umweltstadtrat des Bezirks hatte immer wieder Bedenken und forderte Änderungen. Inzwischen hat man sich eingespielt und verständigt sich.

Eine ergebnisoffene Diskussion

An der Nachnutzung von Friedhöfen sind viele Akteure beteiligt. Der Friedhofsverband arbeitet mit der Stadtentwicklungsgesellschaft Stattbau zusammen, die planend und projektleitend dem Verband zur Seite steht. Auch auf dem St.-Jacobi-Friedhof waren sie dabei, doch während in Neukölln schon viel erreicht ist, schiebt der Friedhofsverband im Wedding mithilfe von Stattbau erst einmal eine „ergebnisoffene“ Diskussion für den bereits stillgelegten St.-Johannes-Evangelist-Friedhof an – ein Projekt, das noch im Findungsprozess ist und 2030 abgeschlossen sein soll.

Beim Betreten des St.-Johannes-Evangelist-Friedhofs fällt als Erstes die fast vollständige Abwesenheit von Grabsteinen auf. Nur am Rande befinden sich noch ein paar Gräber. Doch auch nachdem Grabstätten schon abgeräumt sind, gibt es zum Teil noch länger laufende Pietätsfristen. Die letzte läuft hier 2045 aus. Bauen darf man deshalb noch nicht. Die hoch gewachsenen Nadelbäume stehen auf beinahe leeren Wiesen, in der Mitte eine Kapelle, die so verlassen wirkt wie der Rest des Orts.

Bei der Frage, was mit diesem Ort geschehen soll, gehen die Wünsche der An­woh­ne­r*in­nen auseinander. Manche möchten den Park möglichst unverändert belassen, andere wünschen sich Wohnungen wie zum Beispiel Nina Frieß, Bewohnerin der nahe gelegenen Siedlung Schillerpark. „Einen Spielplatz fände ich auch toll, gerne in den Park integriert“, sagt sie. Seit Jahren laufe bereits ein Planungsverfahren mit dem Bezirk, erzählt Sabine Sternberg von Stattbau am Telefon. Man braucht für die Planungsprozesse viele Gutachten. Dennoch will man hier am St.-Johannes-Evangelist-Friedhof schon früh die Ideen der An­woh­ne­r*in­nen einholen.

Ende September organisierte Stattbau deshalb eine Aktion auf dem Gelände. Auf einem Lastenrad lag eine große Platte, darauf sah man den Grundriss des Friedhofs und die möglichen Veränderungen. 20 bis 25 Interessierte kamen an diesem teilweise verregneten Dienstag. Mit einer Postkartenaktion versuchte Stattbau außerdem die älteren Be­woh­ne­r*in­nen der Umgebung zu erreichen.

Ein Platz für Blumen

Auch eine wirtschaftliche Co-Nutzung ist auf stillgelegten Friedhöfen durchaus möglich. „Wir haben eineinhalb Jahre nach einem geeigneten Grundstück für unsere Blumenfarm gesucht“, berichtet Imke Glaser von der Mayda Blumenfarm. Irgendwann kam ihrem Mann Reuben die Idee, auf Friedhöfen zu suchen. Ein längerer Prozess begann, um die passenden An­sprech­part­ne­r*in­nen und das Grundstück zu finden.

An einem sonnigen Tag führt Imke Glaser über das Blumenfeld auf dem Zionsfriedhof in Berlin-Pankow, das sie nun seit 2020 bestellen. Vor Kurzem gingen die letzten Dahlien in den Verkauf, jetzt bereitet das Paar die nächste Saison vor. Sie stecken Tulpenzwiebeln, richten das neu gebaute Glashaus ein. Am Schuppen stehen die Eimer, in denen sonst die geernteten Blumen auf Käufer oder den Transport zu den Abonnenten warten.

Das 1.200 Quadratmeter große Blumenfeld liegt gleich am Eingang des alten Friedhofsgeländes, etwas versteckt hinter der Kapelle.

Dahinter ist ein kleiner Teil des Friedhofs noch aktiv. Geht man aber weiter, führt der Weg hinein in einen gut bewachsenen Wald. Seit 2013 gibt es in diesem Bereich keine Bestattungen mehr, dafür aber auch hier viele Diskussionen und Ideen, was mit dem großen Gelände am Rande Berlins geschehen soll.

Die Frage nach Grünflächen und Teilhabe in einer Stadt, die wächst und sich zukünftigen Klimaveränderungen anpassen muss, bleibt bestehen. Wer nimmt teil an der Diskussion? Wie werden die vielen verschiedenen Interessen eingebunden, die an jedem Standort aufeinandertreffen?

In Neukölln probieren die An­woh­ne­r*in­nen und Be­su­che­r*in­nen jeden Tag aufs Neue das Miteinander im Grünen. Und auch in Wedding und auf der Blumenfarm in Pankow erforscht man, was alles gehen kann und was eben nicht auf Berliner Friedhöfen.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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