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Alte TV-SerienMeine vertraute Insel

Menschen gucken die Serie „Rote Rosen“, um an ihre eigene Oma erinnert zu werden. Das Phänomen wird „Comfort Watching“ genannt. Was ist das?

Eine Serie, die Trost spendet: „Rote Rosen“ Foto: Nicole Manthey/NDR/ARD

Ich tippe die Buchstaben R, O und T in die Suchleiste der ARD-Mediathek. Mehr braucht es nicht. Schon wird mir angezeigt, wonach ich suche. Drei Menschen grinsen mich an, im Hintergrund eine rote Rose. Nur noch auf Play drücken. Dann erscheint die Melodie, die mir vertrauter ist als jeder Song auf Spotify: der Titelsong der Nachmittagssoap Rote Rosen.

Ein vertrautes Gefühl der Sicherheit kommt auf. Wis­sen­schaft­le­r*in­nen sprechen hier von Comfort Watching. Eine Kombination aus den Worten „comfort“ – also Trost oder Komfort – und „watching“ – das Schauen von Serien oder Filmen.

Dieses Gefühl ist der Grund, warum ich die Serie seit Jahren gerne schaue. Nicht regelmäßig, aber immer dann, wenn es mir nicht gut geht oder ich einfach mal entspannen möchte. Sie ist vertraut für mich, weil ich sie mehrere Jahre lang zusammen mit meiner Oma geschaut habe. Jeden Dienstag – denn da war Omatag. Meine Oma war nicht nur mein Vorbild und meine engste Vertraute, sondern auch die Person, die jederzeit für mich da war. Wenn es da nicht diese zwei Stunden von vierzehn bis sechzehn Uhr gegeben hätte, die für jegliche Anliegen ihrer Enkeltochter nicht vorgesehen waren.

Serien funktionieren immer

Denn zwischen 14 und 16 Uhr wurde „Rote Rosen“ und „Sturm der Liebe“ geschaut. Zwei Serien, die jeden Montag bis Freitag liefen. Immer – außer wenn Wintersport war. Oma mochte Wintersport. Dass er aber übertragen werden musste, während ihre Serien liefen, mochte sie überhaupt nicht.

Durch die Mediatheken muss ich mich heute weder an eine feste Uhrzeit halten noch nach der Wintersportsaison richten. Ich schaue, wann immer ich möchte. Und wann immer ich mich danach fühle. Denn darum geht es vermutlich am meisten: ich möchte mich gut fühlen. In Erinnerungen schwelgen. Meiner Oma nahe sein. Abschalten.

Ein weit verbreitetes Phänomen

Das Gute dabei: die Serien funktionieren immer. Ganz egal, wie lange ich sie nicht mehr geschaut habe – ich kann jederzeit wieder einsteigen. Mal ändert sich ein Beziehungsstatus, mal verlässt eine Person die Stadt. Doch immer wird in den ersten Minuten das Wichtigste klar. Wer ist gut, wer ist böse, wer hat ein Problem?

Genau diese Serien sind es, die sich Menschen immer wieder aufs Neue anschauen, erklärt der zu populären Medien forschende Amerikanist Daniel Stein von der Universität Siegen. „Sie laufen nach einem klaren Schema ab. Meistens ist es so, dass sich etwa aufkommende Konflikte relativ schnell wieder lösen“, sagt er. Dieses klare Schema gibt auch mir Sicherheit. Denn es ist ein Schema, das ich seit langer Zeit kenne. „Man setzt sich auf die Couch und will etwas schauen, aber sich dabei nicht anstrengen“, beschreibt Stein das Phänomen des Comfort Watching.

Ein Phänomen, das weit verbreitet ist. Besonders bei leicht zugänglichen Serien. Besonders, wenn sie sich vertraut anfühlen und trotzdem ab und an etwas Neues passiert – oder einem etwas Neues auffällt, so Stein.

Neu heißt: Neue Dramen. Neue Konflikte. Neue Gefühle. Neu heißt aber auch, aktuelle Themen aufzugreifen – da geht es plötzlich um Klimaschutz und queere Liebe. Aber eben nur in einem Rahmen von Konflikten, die sich schnell wieder lösen lassen. „Für die Zu­schaue­r*in­nen lohnen sich diese leichten Serien. Denn das Investment ist relativ klein, und der Ertrag relativ groß“, erklärt der Experte.

Weiß und bürgerlich

Keine unerwarteten Handlungen, keine existenziellen Entscheidungen, die getroffen werden müssen. Denn Serien, die sehr komplex erzählt sind, kosten viel Kraft, viel Aufmerksamkeit und intellektuelle Arbeit. Aber auch emotional kann es härter sein, erklärt Stein.

Serien, die Kraft kosten? Genau das möchte ich nicht. Nicht, wenn ich nach einem langen Tag abschalten möchte. Wie mir geht es vielen. Der Amerikanist Stein sieht den Trend des Comfort Watching auch kritisch. Denn unter den Serien, die immer wieder geschaut werden, seien vor allem sehr heteronormative Serien. „Weiß und bürgerlich“, fasst Stein zusammen. Und erinnert etwa an Klassiker wie „Friends“ oder „How I met your mother“.

Diese Serien werden geschaut, damit man sich keine Gedanken über die Welt da draußen machen muss. Man möchte sich berieseln lassen. Aufnehmen, statt etwas zu geben. „Das ist eine geschlossene Verweigerungshaltung. Sich eben nicht mit Diskursen auseinandersetzen zu wollen“, so Stein.

Dieses Verhalten habe etwas Konservatives und Reaktionäres, erklärt er. „Vielleicht ist es zu wertend, aber hier wird bewusst eine Tür zugemacht, um sich von der Welt nicht irritieren zu lassen“, sagt der Experte. Ich bin also mit meiner eigenen Bequemlichkeit konfrontiert. Mit meinem Bedürfnis, mich der Welt zu entziehen.

Soziale Bindung zu Charakteren

Dennoch ist meine Serienwahl am Abend nicht etwas, was ich gleich jedem erzähle. Oft höre ich auch, dass man eine Serie als „guilty pleasure“ bezeichnet. Also die Serienwahl mit dem Gefühl der Schuld verbindet. Meistens, wenn die Serie veraltet ist, keinen großen Input gibt oder einfach keine Serie ist, die man wie „Game of Thrones“ unbedingt gesehen haben muss. Ich mag den Begriff nicht. Denn das Schauen einer vertrauten Serie macht mich nicht schuldig. Mehr sogar: Ich brauche diese Insel, auf die ich ab und an fliehen kann. Wann immer ich mag. Egal ob nach Stars Hollow zu den „Gilmore Girls“ oder zu „Grace and Frankie“ an die kalifornische Küste. Das Reiseziel ist immer nur ein paar Klicks entfernt.

„Psychologisch gesehen sinnvoll“, beschreibt Medienpsychologe Leonard Reinecke von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz den Wunsch, sich ab und an der Realität zu entziehen. Er beschreibt es als Realitätsflucht für den Augenblick. Gleichzeitig entsteht eine soziale Bindung zu Charakteren einer Serie, erklärt Reinecke. Diese Art der Beziehung wird in der Medienpsychologie parasoziale Interaktion genannt. „Natürlich sind es keine echten sozialen Beziehungen. Dennoch haben wir gerade bei Serien, die wir schon länger schauen, das Gefühl, vertraut mit den Charakteren zu sein. Man fühlt zum Beispiel bei Schicksalsschlägen mit“, so der Psychologe.

Beziehungen dieser Art können sich laut Reinecke sogar ähnlich wie die zu echten Menschen anfühlen. Denn auch wenn man weiß, dass diese Beziehungen nicht real sind, geben sie den Zu­schaue­r*in­nen ein gutes Gefühl. Sie sind immer da, wenn man den Fernseher anmacht. Haben keine Erwartungen, können nicht enttäuscht werden.

Ob ich eine Beziehung zu den Prot­ago­nis­t*in­nen von „Rote Rosen“ aufgebaut habe? Ich glaube nicht. Vielmehr schlagen sie eine Brücke zu einer Person, die ich verloren habe. Sie helfen mir, meiner Oma nahe zu sein. Keine Folge vergeht, ohne dass ich sie im Ohr habe. Was sie über die Szenen sagen würde, welche Person ihr zutiefst widerstreben würde.

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10 Kommentare

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  • "Dieses Verhalten habe etwas Konservatives und Reaktionäres, erklärt er. „Vielleicht ist es zu wertend, aber hier wird bewusst eine Tür zugemacht, um sich von der Welt nicht irritieren zu lassen“, sagt der Experte."



    ...genau aus diesem Grund und weil darin immer ein Prototyp Mann/Frau und die neusten Klamotten vorgegben werden, sind mir diese Serien zuwider!

  • Es gibt Bedürfnisse, man muss weder alle diese Bedürfnisse politisieren noch müssen die Bedürfnisse in sich widerspruchsfrei sein, noch muss man sie rechtfertigen. Die Bedürfnisse können auch gerne individuelle Züge haben, aber wer meint sehen zu müssen worüber man mitreden können will, der soll ruhig. Ist "Vom Winde verweht" reaktionär? Ja. Darf man sich aber trotzdem ansehen. Fred Astaire- Filme auch. Harte Pornos auch. Moderne Serien sind übrigens trotz unzähliger Personen und Handlungsstränge meist total unterkomplex, und ersetzen emotionalen Gehalt durch Action, Sex und Affekt. Bei "Game of Thrones" ist die Diskrepanz zum echten Leben noch viel größer als bei "Rote Rosen". Das zugrundeliegende Bedürfnis ist in seiner Unschuld auch gesellschaftlich überhaupt nicht zu beanstanden.

  • Als ich meine Mutter bis zu ihrem Tod pflegte, machte ich Bekanntschaft mit dem Nachmittags- und Vorabendprogramm.

    Seitdem bin ich auf Du und Du mit der "Küchenschlacht", "Bares für Rares" und diversen Zoo-Doku-Formaten (Hagenbeck ist das beste davon).

    So brauche ich gar nicht auf den Friedhof gehen, sondern nur den Fernseher einschalten.

  • Bei mir ist es Sturm der Liebe.



    Klar ist das Wirklichkeitsflucht. Aber bei aller Liebe: ich darf das, die Wirklichkeit ist nun wirklich schlimm genug und davor versperre ich nicht meine Augen.

    Auch in meinem Beruf als Lehrerin erlebe ich viele erschütternde und belastende Dinge (Magersucht, Vernachlässigung, Drogen,…). Ich empfinde die Aussage von Stein als beleidigend, dass ich mich, wenn ich mir nicht noch fiktiv Probleme reinziehe, abschotte, reaktionär und konservativ sei. In meinem Fall trifft das absolut nicht zu.

    • @KeineHeldin:

      Ich finde die "Wirklichkeit/Unwirklichkeit" dieser Serien alles Andere als entspannend. Sie sind doof für Angepasste und das entspannt mich sicher nicht.

    • @KeineHeldin:

      Ich vermute auch, dass Stein hier aus dem Kontext heraus falsch widergegeben wird.



      Nur weil man für eine Stunde die Augen zumacht, heißt das ja nicht, dass man niemals etwas sehen will. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mensch diesen Wunsch nach einer Pause so wenig nachvollziehen kann, dass er daraus automatisch einen Vorwurf macht.



      Gleichzeitig halte ich es für sehr gewagt, von einem Amerikanisten wissenschaftliche Aussagen zur Psychologie der Zuschauer zu erwarten. Was auch immer der Mensch gesagt hat, der im Artikel durchklingende Vorwurf kam definitiv nicht von wissenschaftlicher Seite.

      • @Herma Huhn:

        Sie schließen von sich auf Andere!

  • jetzt weiß ich endlich, warum ich regelmäßig Rote Rosen schaue. Obwohl: als meine Oma noch lebte, gab es die Serie noch nicht. Bei der (der Oma; nicht gegendert:)) schaute ich damals regelmäßig Fury. Der psychologische Ansatz dürfte ähnlich sein. So gesehen habe ich Fury gegen Rote Rosen ausgetauscht.

    • @Manfred MIlde-Büttcher:

      Fury war dagegen ja noch Anspruchsvoll!