Junge Menschen und Alkohol: Nüchtern ins neue Jahr

Junge Menschen heute trinken nicht mehr so viel wie vorherige Generationen. Ältere finden das super, aber fragen sich: Hat die Jugend trotzdem Spaß?

Die Funken eines Feuerwerks vor der Silhouette eines Mondes

Feuerwerk statt Alkoholrausch: Kaufbeuren, kurz nach Mitternacht bei zunehmendem Mond Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Erinnern Sie sich noch an ihren ersten Vollrausch? Ich schon. Ich war 17 oder 18, eine Silvesterparty mit allem Drum und Dran. Wir haben es so richtig krachen lassen. Wie Jugendliche das damals so machten. Als Ausdruck von vermeintlichem Erwachsensein und Coolness, aus einem zweifelhaften Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit heraus. Ungeachtet dessen gehörte in den Achtzigern Massen von Alkohol zu jeder Feierlichkeit wie heute vegane Weißwurst zum Oktoberfest.

Ich habe keinerlei Erinnerung an diese Nacht – liegt wohl in der Natur der Sache. Aber peinlich war mir der Absturz recht lange. Just an dieses Gefühl wurde ich zum Jahreswechsel erinnert. Durch junge Menschen. Ausgerechnet. Jedoch nicht, weil die beiden Söhne meiner Silvestergastgeber im Morgengrauen ins Haus ihrer Eltern torkelten, noch in der Eingangstür lang hinschlugen und sich am Neujahrsnachmittag die Seele aus dem Leib kotzten. Nein, im Gegenteil.

Kurz vor Mitternacht überraschten die beiden jungen Männer, die bei Freunden im Nachbardorf feierten, ihre Eltern und deren Partygäste, also uns, die wir gerade die Palette mit Sektgläsern füllten. Die Jugendlichen fuhren mit dem Auto ihrer Gastgebereltern vor, sackten im heimischen Bad ihre Zahnbürsten ein – sie hatten spontan beschlossen, bei den Freunden zu übernachten. Wir gingen davon aus, dass die jungen Menschen ebenso Rambazamba machten wie wir. Schließlich war es das erste Silvester nach drei Jahren Pandemie, bei dem wieder alles erlaubt war. Und schließlich litten Jugendliche unter den Corona-Einschränkungen um ein Vielfaches stärker als wir Ältere.

„Wie? Ihr seid mit dem Auto gekommen?“, fragte die Mutter ihre Zahnbürsten holenden Söhne, so irritiert wie entsetzt. Weil man a) von einem Dorf zum anderen NATÜRLICH mit dem Fahrrad fährt und b) weil Silvester war, der Tag, an dem SOWIESO die Sau rausgelassen wird, erst recht nach diesen Coronajahren. „Wieso nicht“, entgegnete einer der beiden Jugendlichen mit unschuldiger wie ahnungsloser Miene. „Na, Alkohol und so?“ „Hä?“

Um es kurz zu machen: Die jungen Menschen verbrachten den Jahresausklang bei Tee, Wasser, Club Mate. Kein Wein, kein Sekt, kein Bier, erst recht kein Schnaps. Am Neujahrsmorgen kehrten sie ins elterliche Haus zurück, wo wir Erwachsene noch schliefen. Als wir (nur ganz leicht) verkatert (doch, doch, im Alter tanzt man mittlerweile mehr, als man trinkt) und mit einer losen Folge Milchkaffees versuchten, wach zu werden, saßen die jungen Menschen frisch geduscht und gut gelaunt zwischen uns. Wir smalltalkten so vor uns hin, über die Unterschiede beim Böllern in Stadt und Land, über den sich zu diesem Zeitpunkt bereits anbahnenden politischen Krawallkonflikt in Berlin, das vergangene und das kommende Jahr.

Mein Gott, wie spießig!

Bis jemand die Frage stellte, die uns Erwachsene am stärksten interessierte: „Und ihr habt wirklich nichts getrunken?“ Die Jugendlichen zuckten mit den Achseln: „Nö.“

Man sah den Erwachsenen an, was sie dachten: Mein Gott, wie spießig diese junge Menschen heute doch sind. Haben sich immer unter Kontrolle, immer komplett im Griff. Kennen die auch Spaß? Also nicht solchen Spaß, wie jene jungen Männer, die in Berlin in der Silvesternacht Polizisten und Feuerwehrleute mit Feuerwerkskörpern und Steinen angegriffen haben. Aber mal so richtig ausgelassen sein, über die Stränge schlagen, sich gehen lassen. Können die das überhaupt?

Den Erwachsenen sah man auch an, wie neidisch sie auf die jungen Menschen waren. Wie selbstbestimmt und selbstverständlich die feiern (können), mit Freude und Lust, ohne sich die Kante zu geben. So manches Wochenende, erinnerten wir Alten uns insgeheim, wäre für uns vorteilhafter verlaufen, hätten wir nicht so lange ausnüchtern müssen.

Seit Jahren geht der Alkoholkonsum von Jugendlichen zurück. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sieht da einen klaren Trend: 1979 haben noch 66 Prozent der jungen Menschen regelmäßig einen gehoben, mindestens einmal in der Woche. Bis 2018 hat sich dieser Anteil schon halbiert. Hätte es Corona nicht gegeben, wäre die Zahl sicher weiter gesunken. Aber Homeschooling, Homeoffice, Zurückgeworfensein auf sich selbst während der Pandemie haben laut einer Umfrage der Kaufmännischen Krankenkasse vor allem junge Erwachsene zum Glas und zur Zigarette greifen lassen.

Unter den Jüngeren trifft das jeden Achten, während von den Älteren nur jede und jeder Zehnte anfällig dafür ist. Der Schnaps ist, wenn man so will, von der Party auf die Coronacouch gewandert. Der Satz, den zu Beginn der Pandemie nahezu alle Spa­zier­gän­ge­r:in­nen in ihre Handys sprachen, ging so: „Ich esse zu viel und trinke jeden Abend.“

Alkoholverzicht macht gute Laune

Möglicherweise löst sich das in diesem Jahr wieder auf. Man hofft es jedenfalls. Und man weiß es ja auch, es ist ein uraltes Mantra: Alkoholverzicht wirkt sich positiv auf die Laune aus, sorgt für besseren Schlaf, man fühlt sich gesünder und dynamischer. Gilt für jedes Alter, aber niemand bestätigt das gerade besser als die abstinenten Jugendlichen der Gastgebereltern.

Über „gute Vorsätze“ für 2023 haben wir am Neujahrsmorgen nicht gesprochen, das erledigt sich mit der altersgemäßen Erfahrenheit des Scheiterns von selbst. Hätte aber jemand mit dem Blick auf die ausgeschlafenen jungen Männer angeregt, weniger zu trinken, hätte ich mit dem Wissen einer meiner Freundinnen gekontert. Wie sagt sie so schön: „Man braucht keinen Alkohol, um lustig zu sein. Aber mit macht mehr Spaß.“

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Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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