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Album „Brute“ von Fatima Al QadiriDer Gesang der Sirenen

Überwachen und Strafen – „Brute“, die neue Platte der kuwaitischen Künstlerin Fatima Al Qadiri, ist ein Ereignis. Es geht um Polizeigewalt.

Seit Kurzem lebt Fatima Al Qadiri in Berlin und hat bereits Gefallen am ausschweifenden Nachtleben der Hauptstadt gefunden. Foto: Camilla Blake

Sie haben meine Autoritäh’ anzuerkennen!“, brüllt die Comicfigur Cartman in der „Southpark“-Folge „Chickenlover“, patrouilliert auf ihrem Kinderdreirad und traktiert erwachsene Temposünder mit einem Schlagstock. Cartmans Ausspruch „Respect my Authoritah!“ wurde im angloamerikanischen Raum zum geflügelten Wort. Nicht nur, weil es aus einer archetypischen Folge der populären US-Zeichentrickserie stammt.

Der kuwaitischen Künstlerin Fatima Al Qadiri wurde durch Cartmans exaltierte Sprache etwas ganz Fundamentales bewusst: „Sein herablassender Ton zieht die Autorität der Exekutive durch den Kakao, so geht schwarzer Humor.“

In der Realität laufe es genau umgekehrt. Die Bevölkerung werde durch polizeiliche Befugnisse infantilisiert, sagt Al Qadiri. „Gesetzeshüter erwarten eine Art von Respekt, wie ihn Senioren von Kindern einfordern. Ich habe damit schlechte Erfahrungen gemacht. Als ich einmal von der Polizei anlasslos kontrolliert wurde und protestierte, haben mich die Beamten eingeschüchtert. Es war eine brenzlige Situation, sie hätte auch eskalieren können.“

Beim Interview in ihrer neuen Wahlheimat Berlin bleibt Fatima Al Qadiri gelassen und antwortet druckreif. „Brute“ heißt ihr mit Spannung erwartetes neues Album, das am Freitag beim Londoner Elektronik-Label Hyperdub erscheint. Über Musik, Verpackung und Thema wird dieses Jahr noch geredet werden.

Denn Fatima Al Qadiri beweist damit eindrucksvoll, wie sie ihre postkolonial, feministisch und solidarisch geprägte Weltsicht in drastische und zeitgemäße Sounds übersetzt. Auf dem Cover ist eine von ihrem Künstlerfreund Babak Radboy geschaffene Kinderpuppe abgebildet, halb Monchichi mit Mondaugen und Kullerbacken, halb Bereitschaftspolizist mit Schutzhelm und gepolsterter Sicherheitsweste.

Keyboardriffs wie Geisterstimmen

Die Themen Disziplinierung, Bestrafung und Gefängnis und der mediale Umgang damit ziehen sich durch alle elf Tracks. Nicht die Lektüre von Foucaults „Überwachen und Strafen“, sondern die Ereignisse in Ferguson, die endemische Polizeigewalt gegen Afroamerikaner haben die 1981 Geborene zu dieser künstlerischen Entscheidung bewogen. „Dienen und Beschützen, der Slogan der US-Polizei gilt nicht für alle Schichten. Schwarze und Menschen am Rande der Gesellschaft fühlen sich nur schlecht beschützt“, sagt Al Qadiri, die von 1999 bis 2015 in den USA gelebt und in New York ihr Kunststudium absolviert hat.

Al Qadiri übersetzt ihre postkolonial geprägte Weltsicht in zeitgemäße Sounds

„Endzone“, „Breach“, „Blows“ sind etwa Tracks auf „Brute“ betitelt. Die Musik klingt so düster und klaustrophobisch, wie die Songtitel erahnen lassen. Diese Düsternis setzt aber eine Menge Energie frei. Der Druck fällt beim Hören sofort ab. Ähnlich wie die Klangpalette im britischen HipHop-Genre Grime, nutzt auch Al Qadiri Soundeffekte aus Horrorfilmen und Videospielen, lässt Keyboardriffs loszischen, die wie Geisterstimmen klingen.

Aber sie verzichtet vollkommen auf die im Grime zentralen Raps und andere Formen von Gesang. Stattdessen schrillen Alarmanlagen, explodieren Gaskartuschen und heulen Polizeisirenen auf. Zum Auftakt wird der Talkshowmoderator Lawrence O’Donnell eingespielt, der über den „information war“ sinniert, während ein kalifornischer Polizei-Sergeant im Finale über den Ehrenkodex seiner Behörde spricht. Das Arsenal kontrollstaatlicher Maßnahmen wird durch brummende und fiepende Geräusche akustisch umgesetzt.

TEXTBOX Album Brute Al Qatiri

Fatima Al Qadiri: „Brute“ (Hyperdub/Cargo)

Wut tut gut

Die Klangsignatur hat Al Qadiri synthetisch produziert, ihre Leblosigkeit ist beabsichtigt. „Anzeichen von Lebensfreude sind aus dem Sound getilgt, die Atmosphäre changiert zwischen Hoffnungslosigkeit und Wut.“ Im flockigen Rhythmus zum Mitwippen gedacht ist „Brute“ keineswegs. „Hoffnungslosigkeit hat keinen Rhythmus. Ich wollte ein düsteres Album machen. Ich begreife Musik zyklisch. Mein Debütalbum ‚Asiatisch‘ war affirmativ strahlend, ‚Brute‘ ist das dunkel brodelnde akustische Gegenstück.“

Wer jetzt Radical Chic wittert, sei daran erinnert, dass Fatima Al Qadiri aus einem Land am Persischen Golf stammt; auch wenn sie von westlichen Popimages geprägt ist, spielt ihre Herkunft eine Rolle. „Curfew“, Ausgangssperre heißt der beste Track auf „Brute“.

„Bei dem Wort sehe ich einen Staat, der seine Bürger nur im Ausnahmezustand im Zaum halten kann. Deshalb klingt die Musik desorientiert. Wenn Polizisten Menschen auf der Straße verhaften, erzeugt das automatisch Angst, ein Gefühl, unbefugt zu sein. Als arabische Frau interessieren mich die Wechselwirkungen von Kontrolle, Bewegungsfreiheit und beschränktem Zutritt ohnehin. In Kuwait, wie in allen Golfstaaten, ist der öffentliche Raum männliches Territorium, als Frau betritt man ihn unbefugt. Das Szenario einer Ausgangssperre ist dort weitaus bedrohlicher als im Westen.“

„‚Brute‘ ist das dunkel brodelnde akustische Gegenstück zu meinem Debütalbum ‚Asiatisch‘, das affirmativ strahlend war.“ Foto: Camilla Blake

Volle Gestaltungsfreiheit

Seit Kurzem lebt Fatima Al Qadiri in Berlin und hat bereits Gefallen am ausschweifenden Nachtleben der Hauptstadt gefunden. Techno ist für sie noch musikalisches Neuland, das zu erforschen sie sich nun vorgenommen hat. Zugehörig fühlt sie sich am ehesten dem losen Kreis von international operierenden Künstlerinnen, wie der in London lebenden Russin Inga Copeland, der in Los Angeles lebenden Estin Maria Minerva und ihrer kanadischen Labelkollegin Jessy Lanza.

Allesamt selbstbestimmte Musikerinnen mit maximaler Gestaltungsfreiheit. „Ich würde mich nicht als Popkünstlerin bezeichnen, ich hätte nichts dagegen, eine zu sein, glaube aber nicht, dass man mich im Mainstream vermarkten kann. Weltstars schaffen das vor allem durch ihre Stimmen. Ich bin nun mal Produzentin, eine Musikerin, keine Sängerin, nur als Sängerin schafft man es bis ganz nach oben.“

Gleichberechtigung sieht Fatima Al Qadiri auf einem anderen Feld weiter fortgeschritten: Bildende Kunst, so erklärt sie, funktioniere egalitärer und demokratischer als die Welt des Pop. Al Qadiri zählt zum Kollektiv GCC, das aus neun aus den Golfstaaten stammenden KünstlerInnen besteht, die über die Welt verstreut leben: Ihre Videoinstallationen und Fotografien wurden in namhaften Museen und Galerien von Paris bis Peking ausgestellt.

taz.am Wochenende

Montags baden Frauen, zum FKK-Schwimmen kommen Schwule und abends duschen Flüchtlinge. Im Stadtbad Berlin-Neukölln hat jede Gruppe ihre eigene Zeit. Wie sollen wir zusammen leben, wenn wir nicht zusammen planschen können? Dieser Frage gehen wir nach in der taz.am wochenende vom 27./28. Februar 2016. Außerdem: Die Feministin Laurie Penny im Gespräch über die Macht von Science-Fiction und die Schwierigkeit, ein Vorbild zu sein. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Alle Beteiligten gehen hauptberuflich anderen Tätigkeiten nach, arbeiten als Lehrer, Architektin oder Musikerin, so wie Fatima Al Qadiri. „Der Gender-Gap ist im Pop viel krasser, es ist eine männlich orientierte Geschäftswelt. Gleichberechtigung ist erst gegeben, wenn es eine DJ gibt, die so viel verdient wie ihre männlichen Kollegen. Ich finde den Gedanken an einen weiblichen Calvin Harris aufregend. Vielleicht schafft es ja die US-DJ Wonder Woman.“

Die Songs von „Brute“ werden auf dem Dancefloor eher für Verstörung sorgen. Gut so! Wer sich auf Al Qadiris Vorstellungswelt einlässt und ihr neues Album als eine Art Hörspiel zu einem drängenden Thema der Zeit akzeptiert, wird von den suggestiven Tonspuren und sich langsam aufschaukelnden Soundfiles, Geisterstimmen und Synthesizerfahnen weit nach vorne fortgetragen. Mit erfrischendem Effekt.

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1 Kommentar

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  • ja super cool.