Aktivistin über den Tod von Oury Jalloh: „Hier soll alles vertuscht werden“
Laut TV-Bericht ist der Asylbewerber ermordet worden. Mit öffentlichem Druck soll nun die Einstellung des Verfahrens gestoppt werden, sagt die Aktivistin Nadine Saeed.
taz: Frau Saeed, Sachverständige sind zu dem Schluss gekommen, dass der 2005 im Polizeigewahrsam Dessau ums Leben gekommene Oury Jalloh sich nicht selbst angezündet haben kann, sondern ermordet worden sein muss. Was für Erkenntnisse sind das?
Nadine Saeed: Im August 2016 hat die Staatsanwaltschaft einen Brandversuch durchführen lassen. Aus dem Bericht von zwei bestellten Sachverständigen – Kurt Zollinger und Thorsten Prein – ging hervor, dass Brandbeschleuniger benutzt worden sein muss, dass die später gefundenen Feuerzeugreste nicht zum Brandhergang passen und dass auch die bisher behauptete Todesursache, der „inhalative Hitzeschock“ ausscheidet..
Warum?
Weil ohne Brandbeschleuniger nicht die dafür nötigen Temperaturen von 180 Grad erreicht worden wären.
Die Annahme, Oury Jalloh habe sich selbst angezündet, war also widerlegt?
Ja. Die Staatsanwaltschaft in Dessau hat deshalb im Januar 2017 in Würzburg ein Treffen mit den beiden Sachverständigen und weiteren Gutachtern anberaumt, die teils schon früher mit dem Fall befasst waren. Das Ergebnis war auch hier, dass die Fakten dafür sprechen, dass Oury Jalloh von dritter Hand getötet wurde.
Was geschah dann?
Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen Mordes auf. Diese Entscheidung hat der leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann in einem Vermerk vom 14. April 2017 begründet. Was Bittmann da geschrieben hat, ist das, was wir die ganze Zeit gesagt haben. Seine Argumentation für die Mordermittlung ist in über 10 Punkten mit unserer identisch.
ist Aktivistin der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh.
In Bittmanns Schreiben sind auch konkrete Polizeibeamte als Verdächtige benannt. Welche sind das?
Das wissen wir nicht. Die Familie als Nebenklägerin hat erst letzte Woche, also nach vielen Monaten, Akteneinsicht zu dem Brandversuch bekommen. Die Namen der verdächtigten Polizisten darin sind geschwärzt.
Wie ging es nach Beginn der Mordermittlungen im April weiter?
Oberstaatsanwalt Bittmann bat den Generalbundesanwalt, die Ermittlungen zu übernehmen, weil es sich um ein besonderes bedeutendes Verbrechen handelt, das den inneren Rechtsfrieden in Deutschland gefährdet. Der lehnte das ab – das Motiv sei noch zu unklar. Das ist umso dreister, als dass wir, als Initiative, ihm schon vor Jahren alle unsere Beweise vorgelegt haben. Er hat den Fall an die Generalanwaltschaft Naumburg übermittelt. Und die wiederum hat die Ermittlungen Ende Mai Dessau entzogen und nach Halle gegeben. Erst im August wurde das öffentlich bekannt gemacht und mit angeblicher Überlastung der Behörde begründet.
Das war nicht der reale Grund?
Nein. Im Nachhinein ergibt sich ein anderes Bild. Bei der Sitzung des Rechtsausschusses im Landtag von Sachen-Anhalt letzten Montag hat die Justiz erklärt, dass ja nun gegen Dessauer Beamte ermittelt werden sollte und das könne nicht die Dessauer Staatsanwaltschaft tun.
Was hat die Staatsanwaltschaft in Halle dann getan hat?
Nichts. Sie hat nur geschrieben, dass es keine weiteren Anhaltspunkte gebe und dann im Oktober das Verfahren eingestellt. Das ist der eigentliche Skandal: Sie haben das in dem Wissen getan, dass die Staatsanwaltschaft Dessau, die jahrelang in dem Fall ermittelt hat, das völlig anders gesehen hat.
Nachdem das Verfahren eingestellt werden sollte, ist der Fall nun durch einen TV-Bericht wieder in der Öffentlichkeit. Was wird nun geschehen?
Über die Öffentlichkeit wird jetzt Druck aufgebaut. Vielen wird klar, dass hier ganz offensichtlich alles vertuscht werden sollte. Auch ohne Gerichtsverfahren wissen jetzt alle, dass es Mord war und sind endlich irritiert und empört.
Seit elf Jahren gibt die Initiative in der Sache keine Ruhe. Ohne Ihre Arbeit wäre der Fall wohl schon 2005 zu den Akten gelegt worden. Was wollen Sie jetzt tun?
Zum einen wurde am Donnerstag eine Petition gestartet, damit die Ermittlungen nicht eingestellt werden. Die haben bis Freitagmittag über 50.000 Menschen online unterschrieben. Zudem stellen wir gerade eine unabhängige Untersuchungskommission zusammen. Sie besteht aus Anwälten, Journalisten und anderen Experten aus dem europäischen Ausland. Das ist auch das, was eine Kommission der UN nach einem Besuch in Deutschland im Februar empfohlen hatte. Wir glauben, dass die deutsche Justiz höchstens einen Teil der Wahrheit offenlegen wird. Wir wollen aber alles wissen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!