Aktivistin über „Letzte Generation“: „Man kriegt uns hier nicht weg“

Wieder blockieren Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen in Berlin Autobahnen. Ein Ende der Aktionen sei diesmal nicht abzusehen, sagt Carla Hinrichs.

Polizisten führen eine Aktivistin ab

„Die Regierung hat es in der Hand, dass wir von der Straße gehen“: Carla Hinrichs, hier nach einer Aktion in Frankfurt Foto: Fritz Engel

taz: Frau Hinrichs, seit Montag gibt es wieder Blockade- und Störaktionen der „Letzten Generation“. Wie fällt Ihre Bilanz der ersten Tage aus?

Carla Hinrichs: Unser Ziel ist es, dass die Regierung die Klimakrise in den Griff bekommt, und dieses Ziel ist unfassbar groß. Dafür aber sind wir mit mehr Menschen denn je auf der Straße: Über den Sommer mit extremer Trockenheit und Waldbränden wie in der Sächsischen Schweiz sind viele hinzugekommen. Wir schaffen es weiterhin jeden Tag, Autobahnen zu blockieren. Ich denke, der Stadt wird klar, dass man uns hier nicht so einfach wegkriegt.

Wie viele Leute sind dabei?

Bei unseren Blockaden im Januar sind wir mit 30 Ak­ti­vis­t:in­nen gestartet, jetzt sind es 500 Leute. Das sind alles Menschen, die nicht nur ein Mal auf eine Demo gehen, sondern die sich dem zerstörerischen Kurs entgegensetzen. Sie sind aus dem ganzen Land nach Berlin gekommen, bereit, Widerstand zu leisten und auch die Konsequenzen dafür zu tragen.

Wie lange sollen die Aktionen dauern?

Die Regierung hat es in der Hand, dass wir von der Straße gehen. Sie hat die Wahl, unseren einfachen Forderungen nachzukommen oder unseren Protest zu unterbinden.

Bislang war immer nach ein paar Wochen wieder Schluss.

Die letzten Male unterbrachen wir nach einigen Wochen die Aktionen in Berlin und sind in unsere Städte zurückgekehrt, um mit mehr Menschen wiederzukommen. Jetzt sind wir darauf vorbereitet, zu bleiben und die Aktionen Tag für Tag fortzuführen.

Sie fordern aktuell ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und das 9-Euro-Ticket.

Ja, das ist das, was die Leute jetzt gerade beschäftigt. Wenn die Preise für Energie so unfassbar in die Höhe gehen, müssen sich viele fragen, ob sie noch das Geld haben, um ihre Oma zu besuchen. Lasst uns das 9-Euro-Sommermärchen fortführen. Und das Rasen auf den Autobahnen kann sich die Gesellschaft nicht mehr leisten angesichts der Kosten, die für viele untragbar werden, aber vor allem angesichts der Katastrophe, die aus der Verbrennung der fossilen Kraftstoffe resultiert.

Was bringt es, bei jeder neuen Aktionswelle neue Forderungen zu stellen?

Die Forderungen passen sich der gegenwärtigen Situation an. Im Juni und Juli wollten wir, dass die Regierung auf Ölbohrungen in der Nordsee verzichtet. Dem ist sie mit einer entsprechenden Erklärung nachgekommen. Die vorherige Forderung nach einem Essen-retten-Gesetz haben wir im Januar zu Beginn der Legislatur aufgestellt. Das wäre einfach in den ersten 100 Tagen umzusetzen gewesen. Diese Frist ist dann abgelaufen, aber der Diskurs darüber ist in Gang gekommen und uns wurde zugesichert, dass man da dran sei. Angesichts des Krieges war uns nun klar, dass es um den fossilen Wahnsinn gehen muss.

25, ist seit der ersten Aktion der Letzten Generation – einem Hungerstreik im Bundestagswahlkampf – dabei. Für den Aktivismus hat sie ihr Jurastudium unterbrochen.

Wieso haben Sie im Bundestag bewusst den Feueralarm ausgelöst?

Wir befinden uns in einem unfassbaren Notfall, und es ist Zeit, öffentlich Alarm zu schlagen. Der Feueralarm macht das ganz deutlich.

Das Abgeordnetenhaus hat schon reagiert und die Besucherregeln verschärft. Bleibt es also bei dieser einmaligen Aktion?

Wir werden weiterhin jede friedliche Methode nutzen, um der Öffentlichkeit klarzumachen, dass wir uns im Klimanotfall befinden. Wenn die Regierung nicht einmal die einfachsten Sicherheitsmaßnahmen umsetzt, müssen und werden wir weiter Alarm schlagen.

Welche Stimmung nehmen Sie aktuell bei den Straßenblockaden wahr?

Man merkt, dass sich immer mehr Menschen positionieren, im Guten wie im Schlechten. Anfang des Jahres sind die meisten noch in ihren Autos sitzen geblieben, nun steigen immer mehr aus. Von manchen Au­to­fah­re­r:in­nen werden wir beleidigt, bespuckt und von der Straße gezerrt; es gibt aber auch solche, die sagen, ich finde es richtig, was ihr macht. Auch passiert es, dass Pas­san­t:in­nen mit unterschiedlichen Meinungen miteinander ins Gespräch kommen.

Aktionen: Nach den Aktionen am Montag und Dienstag mit Blockaden an Autobahnzufahrten haben die Aktivist:innen am Mittwoch eine Pause eingelegt. Noch am Dienstagabend gab es allerdings einen weiteren ausgelösten Feueralarm, dieses Mal im Paul-Löbe-Haus des Bundestags, das anschließend evakuiert werden musste.

Twitter: Der Kurznachrichtendienst hatte den offiziellen Account der Letzten Generation am Dienstag gesperrt. Nach zahlreichen Protesten gab Twitter den Account am Mittwoch wieder frei. (taz)

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen alle Blo­ckie­re­r:in­nen. Wie ist der Stand der rechtlichen Aufarbeitung der bisherigen Aktionen?

In der vergangenen Woche liefen die ersten vier Strafverfahren. In der nächsten Zeit stehen etliche weitere an. Die Termine sind festgesetzt für das ganze nächste halbe Jahr.

Zu den Prozessen kommt es, weil sich Ihre Mit­strei­te­r:In­nen weigern, die Strafbefehle zu zahlen. Ist das die kollektive Strategie?

Alle können selbst entscheiden, wie sie damit umgehen. Wir verfolgen den legitimen Zweck, die Katastrophe abzuwenden, also wollen wir auch in den Gerichten darüber verhandeln. Die Gerichte, die in der Demokratie das Korrektiv für staatliches Handeln sind, müssen sich mit der Klimakatastrophe beschäftigen.

In den sozialen Netzwerken haben Sie zuletzt vermehrt um Spenden geworben. Geht Ihnen angesichts der vielen bevorstehenden Strafen das Geld aus?

Das Spendensammeln diente primär dazu, um all die angereisten Ak­ti­vis­t:in­nen in Berlin unterzubringen. Auch haben wir schon mal um Geld gebeten, um die Gebühren für das Ablösen der festgeklebten Hände zu zahlen. Aber die Bußgelder und Strafen für alle Ak­ti­vis­t:in­nen sind für uns als Organisation nicht stemmbar. Es gab bislang über 200 Blockaden, an denen sich meist sieben bis zwölf Personen beteiligen.

Am Ende müssen die Ak­ti­vis­t:in­nen alles selbst zahlen?

Es gibt Menschen, die individuell für ihre Strafen Spenden sammeln, aber auch da gibt es Grenzen. Manche saßen schon 50 Mal auf der Straße. Pro Aktion können 1.000 oder 1.500 Euro fällig werden. Alle, die bei uns mitmachen, wissen, was auf sie zukommen kann. Wer das Geld nicht zahlen kann, der muss die Strafe im Gefängnis absitzen.

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