Aktionen in Hannover: Blockaden verzögern AfD-Parteitag
Ab sieben Uhr sind Hunderte DemonstrantInnen auf der Straße. Die Polizei setzt Wasserwerfer ein, ein Demonstrant erleidet einen Beinbruch.
Zwischen 250 und 300 Menschen des sogenannten „grünen Fingers“ räumt die Polizei bei Temperaturen um den Nullpunkt per Wasserwerfer von der Straße. Der Grüne Sven-Christian Kindler, Mitglied des Bundestags und zusammen mit mehreren Grünen und Linken als parlamentarischer Beobachter vor Ort, sagt, aus seiner Sicht sei das „völlig unverständlich“ und bei solchen Temperaturen auch gesundheitsgefährdend. „Die Leute saßen total friedlich auf dem Boden. Die Polizei hätte sie einfach wegtragen können.“
Einem von drei Demonstranten, die sich am Morgen mit vier Fingern in einer Metallpyramide an der Kleefelderstraße angekettet haben, wird bei der Räumung der Pyramide ein Bein gebrochen. „Die Polizei hat uns massiv zusammengeschlagen, die haben wie die Irren drauflos geprügelt“, sagt einer der drei Männer kurz nach der Aktion. Er habe jahrelange Erfahrung mit friedlichen Aktionen des zivilen Ungehorsams. „Aber das war eine extrem aggressive Einheit, so habe ich das noch nie erlebt.“
Der Sprecher der Polizei, Sören Zimbal, möchte ein hartes Vorgehen der Polizei nicht bestätigen. Ein Mann liege mit gebrochenem Bein im Krankenhaus, die anderen beiden seien in Gewahrsam genommen worden. Die Verletzung sei „im Rahmen dieser Aktion“ passiert. Zu den Gründen und dem Vorgehen der Polizei könne er bislang nicht mehr sagen. Sowohl die Demonstranten, die in Gewahrsam genommen wurden, als auch die beteiligten KollegInnen würden noch befragt.
Der Anwalt eines der Demonstranten, Paulo Dias, fordert am Mittag eine rechtliche Überprüfung der Vorfälle. Er berichtet, es handele sich beim Beinbruch um einen offenen Bruch beider Unterschenkelknochen. Der Mann werde seit Stunden operiert.
Aktionen seit sieben Uhr morgens
Noch in der Dunkelheit um sieben Uhr früh waren DemonstrantInnen von verschiedenen Treffpunkten aus aufgebrochen – doch auch die Polizei war vorbereitet, stand mit Mannschaftswagen und einem Großaufgebot bereit und begleitete die verschiedenen „Finger“ der Demonstration. Aus mobilen Lautsprechern dröhnte Punkrock, die DemonstrantInnen skandierten „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“.
Gegen acht Uhr stehen mehrere Blockaden in zum Teil nur etwa hundert Metern Entfernung zum Congress Center. Gegen die Kälte haben die DemonstrantInnen Aludecken dabei. Ein Mann spielt Hacky Sack, um wieder warm zu werden, eine Frau trägt ihren kleinen Hund in einer Stofftasche vor der Brust. AktivistInnen bringen Tee, Kaffee und Kekse an den Blockadepunkten vorbei.
Viele DemonstrantInnen sind mit rund einem Dutzend Bussen aus anderen Städten und über Nacht angereist, unter anderem aus Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg oder Göttingen. Bei einer Gruppe von rund 80 Personen aus Göttingen, die mit dem Zug kam, hätten die Kontrollen der Polizei allerdings so lange gedauert, dass sie an den Blockaden kaum noch teilnehmen konnten, berichteten Mitglieder der Gruppe „BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz“ aus Göttingen. Beim Verlassen des Bahnhofs in Hannover habe die Polizei einen „Wanderkessel“ um die Gruppe gebildet und alle Personen „etwa eineinhalb Stunden gefilzt, jede einzeln“. Erst gegen halb neun habe die Gruppe aufbrechen können.
Gegen neun Uhr ist die Lage vorübergehend unübersichtlich: In kleineren und größeren Gruppen spielen DemonstrantInnen und PolizistInnen Katz und Maus. Laut Polizei werden einige BeamtInnen dabei leicht verletzt, ein Sanitäter berichtet von mehreren Verletzten auf Seiten der DemonstrantInnen.
Als der Parteitag gegen elf Uhr mit rund einer Stunde Verspätung beginnt, lösen sich die Blockaden auf und gehen fast nahtlos in die angekündigte Großdemo über, zu der unter anderem das Bündnis „Unsere Alternative heißt Solidarität“ aus Gewerkschaften, Grünen und Linken sowie die Kampagne „Aufstehen gegen Rassismus“ aufgerufen hatten. Rund 6.500 Menschen seien auf der Straße, schätzt die Polizei, die die Demonstration mit einem Großaufgebot begleitet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen