Aktion gegen Hartz-IV-Sanktionen: Und wenn der Bescheid kommt? Egal
Nicht aufgepasst, Geld weg: Jobcenter verhängen schnell Sanktionen. Eine Initiative will Betroffenen helfen – und animiert zu Ungehorsam.
Dahinter stecke häufig Willkür der Behörden, meint Michael Bohmeyer, 31. Er ist Gründer des Berliner Sozialprojekts „Mein Grundeinkommen“, das seit einem Jahr über Crowdfunding Geld sammelt und mittlerweile 25 Frauen und Männer mit monatlich 1.000 Euro unterstützt. Hinzu komme „eine große Unkenntnis“ bei den SachbearbeiterInnen, die Hartz IV bewilligen, weiß Inge Hannemann.
Die 47-jährige Hamburgerin hat jahrelang in Jobcentern gearbeitet und wurde 2013 als „Hartz-IV-Rebellin“ bekannt, als sie sich zunächst intern und später öffentlich gegen die Sanktionierungspraxis der Jobcenter stellte. Jährlich gebe es bis zu 1.000 Änderungen bei den Vorschriften und Ausführungsbestimmungen zu Hartz IV, sagt Hannemann: „Die können die Jobcenter-MitarbeiterInnen gar nicht alle nachlesen.“ Fortbildungen für JobvermittlerInnen? Gibt es nur „beschränkt“, sagt Hannemann. Leidtragende sind die Hartz-IV-BezieherInnen, die sich nur selten gegen Sanktionen wehren.
Bohmeyer findet das unerträglich. „Viele der Sanktionen sind willkürlich und rechtswidrig“, sagt er. So darf die Grundsicherung nicht gekürzt werden, wenn ein Termin im Jobcenter ordnungsgemäß abgesagt wurde, etwa wegen Krankheit. „Das wird häufig aber trotzdem gemacht“, sagt Bohmeyer. Dagegen will er jetzt vorgehen , mit einer raffinierten Methode: Bohmeyer setzt auf die Mittel des Internetzeitalters: Crowdfunding und Solidargemeinschaft. Sein Projekt nennt er „Sanktionsfrei“, am Dienstag will er es der Öffentlichkeit vorstellen. Als prominente Unterstützerin hat Bohmeyer Inge Hannemann gewonnen, mittlerweile Symbolfigur im Kampf gegen Hartz IV und seit einem Jahr für die Linkspartei in der Hamburger Bürgerschaft.
Crowdfunding gegen Sanktionen
Bohmeyer und Hannemann wollen einen Fonds gründen, in den jede und jeder einzahlen kann, freiwillig und so viel und so oft, wie jede und jeder kann. Mit dem zusammenkommenden Geld sollen jene Hartz-IV-EmpfängerInnen finanziell unterstützt werden, denen Kürzungen ihrer Bezüge drohen.
Die sollen rund 109 Euro pro Monat bekommen. So viel mache laut Hannemann eine durchschnittliche Sanktionssumme aus. „In der Regel begehren die Betroffenen gegen die Sanktionen nicht auf“, sagt Bohmeyer: „Sie fürchten, dass sie dann noch weniger Geld bekommen.“
Müssen sie diese Angst nicht mehr haben, weil sie aus dem „Sanktionsfrei“-Fonds Geld bekommen, könnten sie sich auf eine Klage gegen das Jobcenter konzentrieren und müssten sich „nicht jeder bescheuerten Maßnahme beugen“, so Bohmeyer.
Beihilfe zum Sozialbetrug?
Juristisch keine ganz einfache Konstruktion. Hartz-IV-EmpfängerInnen sind gesetzlich verpflichtet, dem Jobcenter alle Einkünfte und Geldgeschenke zu melden, die Einnahmen werden mit dem Sozialgeld verrechnet. Ansonsten begehen sie „Sozialbetrug“, sagt Daniel Schwarz, Anwalt für Sozialrecht in Berlin. Angenommen, das Bündnis würde das Geld den EmpfängerInnen in bar geben und ihnen auch noch raten, das „Geschenk“ zu verheimlichen, würde es „Beihilfe zum Sozialbetrug leisten“. Damit würde „Sanktionsfrei“ illegal arbeiten.
Laut Jurist Schwarz gibt es aber eine rechtlich saubere Lösung: Das Bündnis könnte sogenannte zweckgerichtete zinslose Darlehen vergeben, die zurückgezahlt werden müssen. „Das darf auf Hartz IV nicht angerechnet werden, weil es ja wieder zurückgezahlt werden muss“, sagt Schwarz: „Aber das nimmt den Betroffenen den Druck.“
Gegen in ihren Augen ungerechtfertigte Sanktionen legen nur etwa 5 Prozent der Hartz-IV-BezieherInnen Widerspruch ein. „Manchmal geht es um 20 Euro, die das Amt zurückfordert“, sagt Hannemann: „Für das Amt ein Klacks, für die Betroffenen eine Katastrophe.“ Aus ihrer Zeit als Arbeitsvermittlerin erinnere sie sich an Kurse wie „Wie sanktioniere ich richtig“, in denen die JobvermittlerInnen lernten, wie sie Hartz-IV-BezieherInnen am besten unter Druck setzten.
Das Bündnis rechnet laut Hannemann mit bis zu 100.000 Betroffenen, die bei „Sanktionsfrei“ im Laufe der nächsten Jahre um Hilfe bitten könnten. Von den derzeit eingereichten Widersprüchen sind rund 40 Prozent erfolgreich, listet das Berliner Arbeitslosenzentrum in einer Statistik auf. „Wenn sich mehr Menschen als bisher trauen würden, gegen das Jobcenter zu klagen, würde die Sanktionierungspraxis in Gefahr geraten“, sagt Bohmeyer.
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