Agrarpolitik in der EU: Umwelt? Nicht mehr so wichtig!
Bei der Europawahl entscheidet sich, ob die EU noch weniger Naturschutz von den Landwirten verlangen wird. Viele Bauern würden das begrüßen.
„Nicht gut“, sagt der Milchbauer etwas ungehalten. „Es gibt immer mehr Regeln und immer weniger Geld.“ Wo die Milchpreise doch sowieso zu niedrig seien. „Würden Sie mehr arbeiten für weniger Geld?“ Dabei macht der Belgier eine Geste, als ob ihm jemand ein Messer an den Hals hielte.
Für Godfriaux und viele seiner Kollegen etwa in Deutschland sind die Zahlungen der Europäischen Union unverzichtbar. Er hat nur 50 Milchkühe, die eben nicht so viel Milch und damit Geld generieren wie größere Herden. Da fallen die ungefähr 27.000 Euro, die er 2022 dem belgischen Agrarministerium zufolge von der EU bekam, durchaus ins Gewicht.
Die Subventionen für die Landwirtschaft sind mit 55 Milliarden Euro jährlich der zweitgrößte Posten im Haushalt der Staatengemeinschaft. Ohne das Geld kann sein Hof nicht überleben. Aber Godfriaux fordert, dass der Staat dafür zum Beispiel weniger Umweltschutzbedingungen stellt.
EU weicht Regelungen auf
Genau diesen Weg hat die EU bereits eingeschlagen. Auch nachdem Godfriaux’ Sohn und andere Landwirte zum Beispiel in Brüssel teils recht aggressiv demonstriert haben. Die Europäische Union nahm etwa die bereits beschlossene Regelung zurück, wonach ein Bauer mindestens 4 Prozent seiner Ackerfläche für die Natur reservieren sollte – wenn er denn Direktzahlungen, die wichtigsten Agrarsubventionen, erhalten will.
Und auf Höfen mit höchstens 10 Hektar Agrarfläche sollen die Behörden gar nicht mehr kontrollieren, ob die Umweltvorschriften eingehalten werden – das sind laut EU-Kommission 65 Prozent aller Betriebe. Doch Godfriaux sagt dazu: „Das wird nicht viel verändern. Wir haben immer noch zu wenig Freiheit.“ Er dürfe nach wie vor nicht genug düngen und Pestizide spritzen. Mit Kontrollen muss er weiter rechnen, weil er rund 80 Hektar bewirtschaftet.
Wenn bei der EU-Wahl am Sonntag Parteien wie die CDU, FDP oder AfD stärker werden, könnte das künftige EU-Parlament zusammen mit dem Rat der Mitgliedstaaten weitere Umweltbedingungen für die Agrarsubventionen streichen. Parteien wie Grüne, Linke und SPD lehnen das eher ab.
Die Landwirtschaft schadet dem Klima
In der Agrarpolitik geht es um die Branche, die die Bevölkerung ernährt. Aber die Landwirtschaft ist auch maßgeblich dafür verantwortlich, dass immer mehr Pflanzen- und Tierarten aussterben. In Deutschland beispielsweise hat sie ungefähr die Hälfte der Landfläche unter Beschlag.
Die Branche verursacht inklusive der Emissionen aus Böden und Maschinen laut Umweltbundesamt 13 Prozent der Treibhausgase hierzulande. Viele Tiere werden unter Bedingungen gehalten, die die meisten Menschen Umfragen zufolge kritisieren.
Das gilt auch für die „Anbindehaltung“ wie auf dem Hof von Godfriaux. Seine Milchkühe sind angekettet: Sie können ihre nur rund 1,30 Meter breiten Plätze im Stall nicht verlassen, weil an ihren Halsbändern Ketten hängen, die an einem Metallgerüst vor und neben den Tieren befestigt sind.
Auch in Deutschland lebten 2020 laut dem bundeseigenen Thünen-Agrarforschungsinstitut 10 Prozent aller Rinder in der Anbindehaltung, die den Bewegungsdrang der Tiere erheblich einschränkt, Schmerzen und Schäden verursachen kann. Immerhin sagt Godfriaux, dass er seine Kühe normalerweise von Ende April bis Ende September auf die Weide lasse – nur dieses Jahr zumindest bis Ende Mai nicht, weil die Böden wegen starken Regens zu weich seien. Für einen Laufstall fehle ihm das Geld.
Fokus auf die Landwirtschaft
Doch Umweltprobleme sind bei wichtigen Beamten der EU-Kommission in den Hintergrund gerückt. Die Behörde, die für Parlament und Rat die Gesetzesvorlagen entwirft, hat ihren Hauptsitz in dem kreuzförmigen Berlaymont-Gebäude in Brüssel. EU-Flaggen wehen davor, in der Umgebung haben Abteilungen der Kommission ihre Büros. Ein hochrangiger Mitarbeiter sagt: „Die Bauernproteste beschäftigen uns fast jeden Tag.“
Viele Landwirte bangten um ihr Geschäftsmodell. Ein anderer EU-Verantwortlicher redet zuerst lange darüber, dass die Europäische Union fast alle Lebensmittel überwiegend selbst produzieren kann, dass seit 2010 mehr als 3 Millionen der vorher 12 Millionen Bauern aufgegeben hätten, dass die Landwirte doch die Kulturlandschaft pflegen würden.
Das wichtigste Ziel für zuständige Kommissionsbeamte scheint derzeit zu sein, Bauern einen „angemessenen Lebensstandard“ zu garantieren, Klimaschutz beispielsweise erwähnen sie in ihren Vorträgen vor den Journalisten erst später.
Der für Landwirtschaft zuständige Sprecher der Kommission weist auch Kritik an der Rücknahme von Umweltauflagen für die Subventionen zurück. „Die Kernelemente der grünen Architektur der Direktzahlungen sind immer noch da“, sagt Olof Gill.
Ökoregelungen nicht bindend
32 Prozent des gesamten Agrarbudgets würde für freiwillige Maßnahmen zur Förderung der Umwelt-, Klima- und Tierschutzziele bereitgestellt. Landwirte bekommen dieses Geld zum Beispiel im Rahmen von „Ökoregelungen“, wenn sie Blühstreifen auf Ackerland anlegen, mehr Pflanzenarten anbauen oder auf Pestizide verzichten.
„Die Ökoregelungen sind freiwillig. Die Landwirte müssen die nicht wahrnehmen, und das werden sie gerade auf den besseren Standorten auch nicht“, widerspricht Friedhelm Taube, Agrarprofessor an der Universität Kiel.
Schon jetzt würden die Landwirte das Budget für die Ökoregelungen nicht ausschöpfen, weil es sich für sie ökonomisch nicht lohne, so Taube. Auch deshalb haben gerade mehr als 10 Vereinigungen von Wissenschaftlern in einem offenen Brief verlangt, die jüngsten Streichungen von Vorschriften zurückzunehmen.
Die Verantwortlichen in Brüssel überlegen jedoch, noch mehr Forderungen nach weniger Umweltschutz aus der Bauernschaft entgegenzukommen. Die Beamten stellen zum Beispiel infrage, ob die „Konditionalitäten“ genannten grundlegenden Umweltvorschriften für die Direktzahlungen künftig von den einzelnen Höfen erfüllt werden müssen, wie aus Kreisen der Kommission verlautet.
Klagen über Bürokratie
Vielleicht reiche es ja, dem jeweiligen Mitgliedstaat zum Beispiel Ziele zur Artenvielfalt vorzugeben. Wenn sich dieser Vorschlag durchsetzt, könnte der einzelne Landwirt also etwa Mais-Monokulturen anbauen, ohne EU-Geld zu verlieren. Ob und wie die Mitgliedstaaten dennoch für Artenvielfalt sorgen sollen, ist ungewiss.
Doch maßgebliche Teile der Kommission wollen Bauern wie Godfriaux zufriedenstellen, der darüber klagt, dass es so kompliziert sei, die Agrarhilfen zu beantragen. Er hält den Journalisten einen gut gefüllten DIN-A4-Umschlag vor die Nase: So einen Antrag für die Subventionen muss er jedes Jahr einreichen. Auf einem Blatt ist ein Satellitenbild seiner Felder zu sehen.
„Da muss ich bis 31. Mai eintragen, was ich gesät habe, aber wegen des Wetters kann ich noch gar nicht alles aussäen“, kritisiert der Bauer. Er weiß offenbar nicht, dass genau in solchen Situationen die Mitgliedsländer seit den neusten Beschlüssen der EU Ausnahmen ermöglichen dürfen.
Jede zusätzliche Anforderung kann für Godfriaux Kosten verursachen. Das ist hart für jemanden, dem es ökonomisch nicht sehr gut zu gehen scheint. Wer Milchbauer sein will, müsse bereit sein, von 5 Uhr morgens bis abends um 7 Uhr zu arbeiten, erzählt der Landwirt. Und das jeden Tag, Urlaub ist kaum möglich. Für Angestellte haben so kleine Betriebe in der Regel kein Geld.
Nachfrage nach teurer Milch bleibt aus
Eigentlich würde der Bauer gern auf die Subventionen verzichten. Aber da der Markt keinen fairen Preis für seine Produkte zahle, komme er nicht ohne sie aus, sagt Godfriaux. Er ist auch Mitglied in einer Genossenschaft, die bessere Preise für einen Teil seiner Milch aushandelt. Der Marktanteil der im Supermarkt teureren Milch ist allerdings immer noch gering.
Auf was für Widerstände höhere Kosten für die Ernährung stoßen, hat der Unmut wegen der Inflation nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 gezeigt. Fraglich ist auch, ob die Milchpreise überhaupt steigen müssen. Denn viele Höfe kommen mit ihnen klar.
„Insgesamt sind die Milchpreise beispielsweise derzeit auskömmlich für gut aufgestellte Betriebe“, sagt Alfons Balmann, Leiter des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien in Halle. Das Problem: Höfe wie der von Stéphane Godfriaux mit nur 50 Kühen sind das eher nicht.
Transparenzhinweis: Die Recherchereise wurde von der EU-Kommission organisiert und finanziert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich