Afghanistan und die Länder: Politik der Selbstverständlichkeit
Bremen erklärt, Platz für 150 Ortskräfte aus Afghanistan zu haben: Als Großtat lässt sich das nicht verkaufen, auch wenn das im Wahlkampf gut käme.
Denn: Die Beschränkung auf Ortskräfte – jene also, die mit den Nato-Truppen in Afghanistan zusammengearbeitet haben und die nun Racheaktionen der neuen Machthaber fürchten – greife zu kurz. Wie Nazanin Ghafouri vom Flüchtlingsrat Bremen erklärt, gelte es stattdessen, „allen Angehörigen von Bremer*innen ganz konkret Schutz und eine Perspektive“ anzubieten. Anfragen von „verängstigten und verzweifelten Menschen, deren Familienangehörige sich noch in Afghanistan befinden“, würden den Flüchtlingsrat täglich erreichen.
Auch müssten „Frauen- und Menschenrechtsaktivist*innen, kritische Journalist*innen, verfolgte Minderheiten wie die Hasara, queere Personen und andere unmittelbar bedrohte Menschen in Sicherheit gebracht werden“, so Ghafouri.
Ein Bundesland hat einen solchen Spielraum, wenn es ein Aufnahmeprogramm vorlegt. Während Schleswig-Holstein ankündigt, diesen Weg zu gehen, heißt es beim Bremer Innensenator, das „dürfte zu lange dauern und praktisch schwer umsetzbar sein“. Denn so ein Programm müsste mit Bundesregierung und Innenminister*innenkonferenz abgestimmt werden, so sieht es Paragraf 23, Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes vor.
Der Bund hat das Sagen
Das jetzige Bremer Vorgehen hingegen ist in Absatz 2 desselben Paragrafen geregelt: Demnach kann das Bundesinnenministerium „anordnen, dass bestimmten Ausländergruppen eine Aufnahmezusage“ zu erteilen ist: Job der Länder ist da nur zu signalisieren, welche Kapazitäten man hat. „Die Beschränkung auf Ortskräfte ist nicht unsere Entscheidung“, bestätigt ein Sprecher der Sozialbehörde.
Wenn Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) also angesichts der Nachricht via Twitter mitteilt, bei den 150 Plätzen handele es sich um „eine humanitäre Selbstverständlichkeit“, ist das Wort „humanitär“ schon ein wenig übertrieben: administrative Selbstverständlichkeit träfe es eher. Aber Klappern gehört nun mal zum Wahlkampf, der sich hier unausgesprochen ausspricht.
Dabei zeigt sich, wie sehr das von der rot-grünen Bundesregierung 2001 begonnene Afghanistan-Abenteuer als parteihistorische Hypothek wahrgenommen wird. Während die Grünen es mit Fehlerkultur probieren und laut Kirsten Kappert-Gonther „darauf drängen, dass der Einsatz evaluiert wird“, scheint die Lage bei der SPD widersprüchlich: In dieser Hinsicht sind Bovis Social-Media-Posts besonders aussagekräftig.
Seine „grundsätzlicheren Gedanken“ zum Thema teilt der Präsident des Senats via Facebook mit. Sonst selbst ein Peacenik, arbeitet er sich in dem Text an der Position der Linken ab, die als einzige Kraft im Parlament stets Nein zum Krieg gesagt hat. Bovenschulte nun erklärt den ersatzlosen Truppenabzug für einen Fehler – was taktisch nachvollziehbar ist.
Er rügt dafür jedoch diejenigen, „die die Bundesregierung für die derzeitige Lage scharf kritisieren, aber im Bundestag immer gegen eine Verlängerung der Bundeswehr-Mission gestimmt haben“. Das ist der Versuch, die Schuld am Desaster infolge eines Auslandseinsatzes geradezu kontrafaktisch jenen zuzuweisen, die ihn für falsch gehalten hatten.
Linker Realismus
„Unsere Ablehnung militärischer Afghanistan-Einsätze ist keine Realitätsverweigerung“, bekräftigte Doris Achelwilm (Die Linke) diese Haltung anlässlich der Rückeroberung Kabuls durch die Taliban, „sondern so vernünftig und konkret, dass sie mal besser die Richtung gewiesen hätte“. Zumal das Auswärtige Amt – geführt von Heiko Maas (SPD) – „notwendiges Handeln haarsträubend verzögert und die Gefährdungslage zu lange ignoriert“ habe, sagte sie der taz. „Die Forderungen des Flüchtlingsrats unterstütze ich mit Nachdruck.“
Anders als von Bovenschulte suggeriert und im Gegensatz zur schwarz-roten Regierungskoalition hatten gerade die Kriegsgegner*innen nicht vergessen, dass sich aus dem Einsatz eine besondere Verantwortung für örtliche Helfer*innen der Truppen ergibt: Sie aus Afghanistan auszufliegen, hatten Links- und Grünenfraktion im Juni beantragt. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD hatten diese „humanitäre Selbstverständlichkeit“ vor zwei Monaten jedoch abgeschmettert.
„Das rächt sich jetzt bitterlich“, stellt Kappert-Gonther fest, Bremens Grünen-Bundestagsabgeordnete. Jetzt gehe es „darum, schnellstmöglich Menschenleben zu retten“, sagte sie der taz, „gesicherte Wege für alle Menschen, die vor den Taliban fliehen müssen zu ermöglichen und für eine Aufenthaltssicherung für alle Menschen afghanischer Staatsangehörigkeit, die in Deutschland leben, zu sorgen“.
Sie persönlich hatte, im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin Marieluise Beck, immer gegen den Einsatz gestimmt. „Es war zu befürchten, dass es nicht gelingt, die demokratischen Kräfte zu stärken und dass die Lage sehr gefährlich würde.“ Zumal in Bremen die Afghanistan-Frage für die Grünen stets ein wunder Punkt geblieben war: Mit Marieluise Beck und Ralf Fücks stammten zwei parteiinterne Treiber der militärischen Intervention von hier.
Umgekehrt hatte das Ja zum Einsatz vielen als Sündenfall gegolten und zu zahlreichen Partei-Austritten geführt. „Die Bilanz des Einsatzes ist verheerend“, stellt Kappert-Gonther nun klar.
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