piwik no script img

Af­gha­n*in­nen nach Deutschland geflogenKlägliches Ende der Evakuierungs-Pläne

Rechte Medien skandalisieren, dass afghanische Men­schen­recht­le­r*in­nen eingeflogen werden. Dabei steht das Aufnahmeprogramm ohnehin vor dem Ende.

Plötzlich ein Aufregerthema: Evakuierungsflug mit Af­gha­n*in­nen an Bord am Flughafen Berlin Brandenburg Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Berlin taz | Die Bild-Zeitung macht ein Riesen Tam Tam, Politiker von Union und AfD geben sich erbost, auch die Polizeigewerkschaft DPolG mischt sich ein. Grund für all die Aufregung sind mehrere Flüge, mit denen die Bundesregierung in den letzten zwei Wochen knapp 290 Af­gha­n*in­nen nach Deutschland gebracht hat. Dabei sind die Flüge nicht viel mehr als das klägliche Ende der deutschen Bemühungen, schutzbedürftige Af­gha­n*in­nen vor den Taliban in Sicherheit zu bringen.

Wer da kommt, das lässt sich gut zeigen am Beispiel eines Fliegers, der am Mittwoch in Deutschland landete: Von den 132 Menschen an Bord hatten 74 eine Aufnahmezusage über das Bundesaufnahmeprogramm für Men­schen­recht­le­r*in­nen und andere besonders bedrohte Gruppen. Dazu kamen 52 Personen, deren Aufnahmezusage noch über die Verfahren gelaufen war, die 2022 von eben diesem Bundesaufnahmeprogramm abgelöst wurden. Außerdem waren noch eine ehemalige Ortskraft der Bundeswehr mit fünf Familienangehörigen an Bord.

Obwohl noch Flieger landen, hat die Bundesregierung eigentlich alle Aufnahmebemühungen bereits beendet. Es werden bloß noch alte Fälle abgearbeitet, um das Kapitel ganz abzuschließen: Von insgesamt 50.000 Af­gha­n*in­nen, die eine Aufnahmezusage haben, sind bisher nur etwa 36.000 nach Deutschland gekommen. Neue Zusagen vergibt die Bundesregierung schon seit einigen Monaten nicht mehr.

Während ein Großteil der Ortskräfte wohl in Sicherheit gebracht wurde, ist das Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Gruppen komplett gescheitert. Versprochen waren jeden Monat 1.000 Aufnahmezusagen. Tatsächlich wurden es in den rund 27 Monaten Laufzeit aber gerade einmal 3.000 insgesamt.

Kaum Hoffnung auf neue Bundesregierung

Das liegt nicht daran, dass es nicht genug Menschenrechtler*innen, Frauen, Jour­na­lis­t*in­nen oder Homosexuelle gibt, die unter den Taliban um ihr Leben fürchten müssen. Stattdessen hat das federführende Bundesinnenministerium unter Nancy Faeser (SPD) die Umsetzung des Programms systematisch verschleppt und verzögert.

Wegen Sicherheitsbedenken, für die nie echte Belege auftauchten, waren die Evakuierungsbemühungen über mehrere Monate sogar ganz ausgesetzt. Dabei waren die Sicherheitsprüfungen durchgehend sehr streng. Immer wieder wurden zudem Menschen mit Aufnahmezusage aus Sicherheitsgründen doch noch an der Einreise nach Deutschland gehindert. Auch beim Flug, der am Mittwoch landete, wurden rund 20 Personen kurzfristig mit dieser Begründung am Einsteigen gehindert.

Dazu kommen all jene, die wohl schutzbedürftig wären, aber nun kaum noch auf Hilfe hoffen können. Den 3.000 Aufnahmezusagen stehen 17.000 Menschen gegenüber, die die deutschen Behörden bereits für eine Evakuierung kontaktiert hatten, deren Fälle dann aber nie abgeschlossen wurden. Weil es in Afghanistan keine deutsche Botschaft mehr gibt, haben diese Menschen sich teils massiv verschuldet und große Entbehrungen auf sich genommen, um nach Pakistan zu gelangen. Nun lässt Deutschland sie im Stich.

Dass sich jetzt so viele Unionspolitiker*innen, Medien und rechte Interessensgruppen über die Flüge echauffieren, dürfte wohl mit der sich anbahnenden Regierungsbildung zu tun haben. Schließlich landeten in den letzten Jahren dutzende solcher Flüge, ohne dass dies größeres Aufsehen erregte. In den Sondierungsgesprächen zwischen SPD und Union dürfte es in den nächsten Tagen auch darum gehen, wie scharf die künftige Migrationspolitik ausfällt.

Dass eine neue Bundesregierung – mutmaßlich unter einem CDU-Kanzler Friedrich Merz – neue Evakuierung von gefährdeten Af­gha­n*in­nen beschließt, ist aber praktisch ausgeschlossen. Die Union hat in den vergangenen Monaten immer wieder gefordert, jegliche Aufnahmeprogramme sofort einzustellen.

Lesen gegen das Patriarchat

Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

23 Kommentare

 / 
  • Ein unglaublicher Skandal, dass die Bundesrepublik ihren Unterstützern in Afghanistan die Solidarität entzieht und dass die Medien das nur so lau kommentieren.



    Hier kommen und kämen keine Islamisten, sondern Regimegegner von, so habe ich das wahrgenommen, in der Regel hoher intellektueller Kapazität.



    Dass die Dummen hier im Lande das nicht verstehen wollen, o.k., aber die Kommunikation der Zivilgesellschaft hierüber müsste viel intensiver sein.

  • Aber wenn sich Trump damit brüsten kann, die stehengelassenen Autos zurückzuholen? Gut, er selbst geht nicht hin und nimmt den Mullahs die Zündschlüssel weg ...

  • Das werden sich ganz sicher zukünftige Ortskräfte dreimal überlegen ob sie wirklich mit so einem unzuverlässigen Land zusammenarbeiten wollen, welches sein Wort bricht und in der Not Hilfe verweigert.



    Unehrenhaft ist noch eine Untertreibung für so ein Verhalten.

    • @So,so:

      Gab es da nicht schon beim Abzug die Frage, wer von den Ortskräften formell für wen bei den Deutschen arbeite und da welchen Vertrag erhalten habe? Irgendwie ist mir sowas in Erinnerung, kann mich natürlich irren: www.fr.de/politik/...hutz-90931138.html

      Die Taliban werden solchen Details sicher die größte Aufmerksamkeit schenken.

  • Ja, vielen Dank an die rechten Hetzer von AfD und CDU, aber auch unserem Abschiebe-Olaf, dass sie den Weg bereitet haben für diese Stimmung im Land. Geprägt von normalisiertem rassistischem Ausländerhass. Und die Presse inkl. der öffentlich rechtlichen hat kräftig mitgeholfen, das Narrativ des messerschwingenden islamistischen Asylanten zu verbreiten.

    • @Jalella:

      Ich frage mich schon lange was aus der Willkommenskultur von vor 10 Jahren geworden ist

    • @Jalella:

      Ne. Die Leute sind keine Rassisten. Die finden nur keine freie Wohnung mehr, ihre Krankenkassenbeiträge steigen, weil mehr nehmen als geben, bei der Tafel ist kein Platz mehr frei und so weiter und so fort..



      Das ist ein klassischer Verteilungskampf, der gern als Rassismus geframed wird, damit man nicht über die echten Probleme reden muss.



      Gebt allen mehr ins Portemonnaie und gut ist und keiner muckt mehr gegen das moralisch richtige Aufnahmeprogramm

      • @Petzi Worpelt:

        Es gibt ca. 2 Mio leerstehende Wohnungen in Deutschland, die sicher nicht alle bis zur Unbewohnbarkeit verfallen sind. Weder von Geywitz, noch von Ländern, Landkreisen oder den meisten Kommunen ist bekannt geworden, daß man durchaus legitime Mittel dagegen ergriffen hätte.

        Im Übrigen würde, wenn Merz und Dobrindt die Tafeln nicht übersehen hätten, die "Kleine" Anfrage nicht nur 551, sondern eine fünfstellige Zahl an Fragen beinhaltet haben. Da hat es der Union wohl schlicht an Manpower gefehlt.

    • @Jalella:

      Und die Anschläge der letzten Monate haben nichts damit zu tun?

      • @RolloTomassi:

        Nein. Nur die Tatsache, daß da ein Zusammenhang konstruiert wurde. In Magdeburg war es ein Saudi mit querulatorischen Neigungen infolge Problemen mit diversen deutschen inländischen Behörden und Körperschaften. Womöglich hätte der daraufhin auch Reichsbürger bzw. "Selbstverwalter" werden können, was nicht unbedingt weniger dramatisch ausgegangen wäre, aber zu der Szene hatte der wohl keinen Zugang.

  • wann wird robin alexander für die taz schreiben/kommentieren?

    • @dizzy:

      Er hat schon für die TAZ geschrieben, aber ich denke, seine Entscheidung, sich der rechten Springerpresse anzudingen zeigt, dass er der TAZ besser fern bleibt. Ich sähe nicht gerne jetzt auch noch einen Rechtsruck in dieser Zeitung.

  • Dass die Umstände nicht gerade einfach sind, Menschen aus einem Land zu evakuieren, dass von einem Terrorregime beherrscht wird, dürfte einleuchten.



    Die Aufnahme der 37000 Menschen ist daher ein Erfolg. Dafür wurde viel Aufwand betrieben und Menschen haben viel Arbeit daran gesetzt, dass das geschafft wurde.



    Ganz nebenbei erwähnt der Autor auch, dass "damit wohl ein Großteil der Ortskräfte" gerettet wurden.



    Die dreitausend gefährdeten Menschen, die ebenfalls Schutz in Deutschland erhalten, werden das wohl ebenfalls nicht als "komplettes Scheitern" betrachten.



    Offenbar könnte noch mehr Menschen geholfen werden. Diejenigen, die helfen allerdings dafür "zur Verantwortung ziehen zu wollen", dass nicht noch mehr getan wurde, ist ein Fehler in der Bewertung.



    Das ist in etwa so, als würde Jemand, der Asylsuchende bei der Integration unterstützt, dafür verantwortlich gemacht, dass "einer von denen eine Messerattacke verübt hat".



    Es ist wenig verwunderlich, dass sich immer weniger SachbearbeiterInnen im öffentlichen Dienst finden lassen. Denn sie werden für ihre Arbeit ja mit dem Vorurteil "belohnt" , grundsätzlich kaltherzig zu agieren.



    Traurig.

    • @Philippo1000:

      Zitat: "Ganz nebenbei erwähnt der Autor auch, dass "damit wohl ein Großteil der Ortskräfte" gerettet wurden."

      Das Wörtchen "wohl" weist darauf hin, daß dazu nicht hinreichend recherchiert werden konnte und dem Autor die Überzeugung fehlt, um das als Tatsache zu behaupten. Womit der Ausdruck "Großteil" noch weiter ins Ungefähre abdriftet. Der berichtete Anteil an den zuletzt Eingeflogenen war keine Erwähnung wert.

  • Gibt es da etwa einen Zusammenhang mit den kürzlichen Attentaten, bei uns auf den Straßen und Weihnachtsmarkt, Durchgeführt von hiesigen Mitmenschen aus Afghanistan ?



    Inwieweit tragen verantwortliche Politiker von 2021 ihre Verantwortung ?



    Ach ja, die CDU ist ja gerade Anderweitig beschäftigt....

    • @Alex_der_Wunderer:

      Nach der rechten Kampfpresse, sowie Union und AfD sollten also MenschenrechtlerInnen, FeministInnen, etc. pp. für Dinge bezahlen, für die sie nicht die geringste Verantwortung tragen. Ggf. mit ihrem Leben. Absolut nachzuvollziehen aus Sicht von AfD (wir erinnern uns an die Antwort der Enkelin von Adolfs Finanzminister, bevor ihr die Hand ausrutschte) und Springer.



      Bei Parteien, die das "C" im Namen führen, allerdings ...



      Aber gut, inzwischen ist das "christlich" ja ohnehin mehr als Gag zu verstehen, gell?

  • Also noch werden die Flüge von der alten Regierung organisiert - sprich rot und grün - und wenn selbst die kurzfristig am Terminal in Islamabad von 157 nur 132 Passagiere mitfliegen lassen, dann ist es wohl doch nicht so klar wer da so alles kommt bzw kommen will...

    • @Farang:

      Yeah! THat's the spirit! Alles !!! was aus Afghanistan kommt ist höchst gefährlich, auch Kartoffeln oder Brühwürfel. Wir machen gerne Gebrauch davon wenn wir mal mit Truppen dort sind und dann werfen wir alles auf den Kompost. So wie alles was wir dort gebraucht haben. Eine sehr werteorientierte und chrisliche Einstellung. Gell?

      • @Perkele:

        Der Abzug sämtlicher westlicher Mächte aus Afghanistan war schändlich - Deutschland hat wie alle anderen auch sehr viele Menschen dort zurückgelassen, die in den Zeiten der westlichen Intervention / Besatzung / Friedensmission - nennen sie es wie sie wollen, es hätte was von allem - ihr Leben riskiert haben und dann mit vollendetem Abzug quasi den Taliban zum Fraß vorgeworfen wurden.



        Das war weder christlich noch werteorientiert, es war wie gesagt schändlich.



        Allerdings kann dieses Versagen nun nicht als Rechtfertigung dafür dienen, dass man jetzt bei den Einreisen nicht so genau hinschaut.



        Ein Unrecht kann niemals durch ein anderes Unrecht wett gemacht werden.

  • Deutschland hat sich feige aus der Verantwortung gestohlen.

    • @Minelle:

      Deutschland hat insgesamt in vier Jahren 36000 afghaniche Flüchtlinge per Flugzeug geholt.

    • @Minelle:

      Deutschland hatte keine andere Möglichkeit. Das ist der Preis wenn man seit jeher nicht über eigene schlagkräftige Streitkräfte verfügt🤷‍♂️



      Amerika hat gesagt sie ziehen ab und buchstäblich mit dem Abflug des letzten Fliegers der Amis marschierten die Taliban auch am Flughafen ein.



      Deutschland und Europa spielen sich gerne als globale Player auf, haben aber tatsächlich nur minimales Werkzeug wenns um was anderes als Worte geht...



      Eine eigenständige schlagkräftige europäische Armee ist dringend nötig - allein schon damit man unabhängig von den Amerikanern handeln kann.



      Europa hatte nie die Möglichkeiten einen Abzug aus Afghanistan nach eigenem Terminplan zu machen, bspw um noch geordnet Ortskräfte zu evakuieren etc - uns fehlt es an allem: Kampftruppen, Flugzeuge, Aufklärung.



      Da ist mit ein paar hundert Milliarden gar nichts getan - sowieso ist Geld allein gerade beim Militär kein Heilmittel, da brauchts auch eine Militärtradition und positiven Zuspruch seitens der Bevölkerung zu, sprich ein positives Mindest zum Militär...