AfD und offen Rechtsextreme: Ein rein taktisches Verhältnis
Ob in Berlin, in BaWü, in Mecklenburg-Vorpommern oder im Saarland: Die AfD hält die Tür für Rassisten und Antisemiten offen – bis es Krach gibt.
Da hat die Berliner AfD gerade noch einmal die Kurve gekriegt. Kay Nerstheimer, der vor nicht allzu langer Zeit noch Mitglied einer rechtsextremen Organisation war und Entsprechendes im Netz postete, wird nicht Teil der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Er soll nach Angaben der Partei darauf selbst verzichtet haben. Die AfD prüft nun parteirechtliche Konsequenzen. Fragt sich nur: Warum lässt die Partei immer wieder Kandidaten vom ganz rechten Rand antreten und reagiert erst, wenn es einen öffentlichen Aufschrei gibt? Alles Kalkül?
Im Fall Nerstheimer ist die Lage klar – einerseits. Der Mann gehörte nicht nur der islamfeindlichen Kleinstpartei „Die Freiheit“ an – damit hat die AfD ohnehin kein Problem. Er war 2012 noch „Division Leader“ der Berliner Sektion der German Defence Legue, die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird. Auch schrieb er allerlei Widerwärtiges über Muslime und Flüchtlinge im Netz und wollte eine Miliz aufbauen. Das alles konnte man vor der Wahl wissen – wenn man denn wollte.
Doch Nerstheimer war eben kein direkter Kandidat des Landesverbands, auf der Landesliste stand er nicht. Er wurde als Direktkandidat im Ostbezirk Lichtenberg ins Abgeordnetenhaus gewählt. Auf diese Kandidaturen hat die Landes- oder gar Bundesspitze nur begrenzten Einfluss. Es kann also sein, dass diese über Nerstheimers Hintergrund nicht wirklich im Bilde war. Fraglich ist nur: Hätten sie eingegriffen, wenn sie es gewusst hätten?
Der Fall Wolfgang Gedeon in Baden-Württemberg lässt daran Zweifel aufkommen. Gedeons antisemitische Publikationen haben in den vergangenen Monaten für viel Wirbel gesorgt und zur Spaltung der AfD-Fraktion im Landtag geführt. Nun waren diese Pamphlete, die Gedeon jahrelang veröffentlichte, seit Langem bekannt. Viel spricht dafür, dass auch die AfD-Landesspitze von ihnen wusste, auch wenn sie es später bestritt. Aktiv aber wurde sie erst, nachdem die Presse Gedeons Antisemitismus scharf kritisierte.
Wählbar bis an den rechten Rand
Nun sind in der Baden-Württemberger AfD beide Flügel stark: die Neoliberalen und die völkischen Nationalisten, Gedeon ist bei Letzteren gut vernetzt. Viel spricht deshalb dafür, dass der Landesspitze um Jörg Meuthen, der auch AfD-Bundeschef ist, das Durchgreifen zu heikel war. Dass Kandidaten wie Gedeon die Partei bis weit ins ganz rechte Lager wählbar machen, war dabei sicher auch ein Aspekt.
Ganz ähnlich ist es in Mecklenburg-Vorpommern. Hier gibt es einen Abgeordneten, der wegen Volksverhetzung verurteilt wurde und mit den Identitären liebäugelt, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Er war mal Landeschef der Partei. Ein anderer, ein Rechtsprofessor, traf sich vor einigen Jahren mit dem früheren NPD-Chef, um über eine Parteineugründung zu debattieren, promovierte einen Neonazi und lud einen Reichsbürger zum Vortrag in seine Jura-Vorlesung ein. Öffentliche Erregung gibt es kaum, das Land ist an NPD-Abgeordnete gewohnt. Die Reaktion der Landesspitze: null.
Wieder anders sieht es im Saarland aus. Der Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Frühjahr verkauft in seinem Antiquitätengeschäft Geldscheine aus dem Konzentrationslager Theresienstadt und Hakenkreuzorden, das haben Stern und Panorama gerade enthüllt. Schon länger bekannt ist, dass die Landesspitze enge Kontakte zur NPD unterhält. Seitdem dies öffentlich wurde, betreibt die Bundesspitze die Auflösung des Landesverbands, die Entscheidung liegt nun beim Schiedsgericht der Partei.
Was das nun alles heißt? Die AfD hat, auch wenn man einzelne Parteimitglieder in der Spitze sicher ausnehmen muss, ein rein taktisches Verhältnis zur Abgrenzung nach rechts außen. Sind klar rechtsextreme Organisationen – wie die NPD – oder Antisemitismus im Spiel, ist eine Grenze erreicht, die die AfD nicht überschreiten will. Schließlich weiß sie, dass dies in Deutschland noch immer ein No-Go ist.
Darüber hinaus aber ist vieles möglich: Wer heute, wie Frauke Petry, darüber diskutiert, wie der Begriff „völkisch“ positiv zu besetzen sei, wird dies vielleicht schon morgen mit dem Begriff „Rasse“ tun.
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