AfD und Junge Neonazis: Distanzierung Fehlanzeige
Die Bundesregierung behauptet, es gebe keine strukturellen Verbindungen zwischen AfD und Nachwuchs-Nazis. Das ist in mehrfacher Hinsicht falsch.
D ie Bundesregierung antwortete auf eine parlamentarische Anfrage jüngst, dass sie keine „strukturelle Verbindung“ zwischen der AfD und Gruppen von Nachwuchs-Neonazis wie der kürzlich nach mehreren Brand- und Sprengstoffanschlägen festgenommen „Letzte Verteidigungswelle“ und ähnlichen Gruppen sehe.
Doch auch wenn bisher im Einzelfall keine direkten Verbindungen bekannt sind, können beide Phänomene nicht getrennt betrachtet werden und gehören strukturell eng zusammen: Der Abstand der AfD zu jungen Neonazi-Gruppen ist in der Realität äußerst gering bis nicht vorhanden.
Mehrere Mitglieder der vor einigen Wochen festgenommenen und bewaffneten Sächsischen Separatisten etwa planten ethnische Säuberungen und waren AfD-Mitglieder, einer arbeitete in dem Abgeordnetenbüro des Vorsitzenden des Innenausschusses im sächsischen Landtag, Teile der Gruppe posierten zusammen mit Höcke. Auch sie waren noch sehr jung, wenn auch nicht minderjährig: 21 bis 25 Jahre.
Das zeigt: Die AfD und die neue, brutale und junge Neonaziszene gehören ideologisch eng zusammen, wie sich nicht zuletzt auf Veranstaltungen der rechtsextremen Partei sehen lässt.
Rassistische Mobilisierung
Im Wahlkampfjahr 2024, wo die rechte Gewalt auch wegen der vielen Nachwuch-Neonazis auf ein Rekordhoch seit Erhebung der Zahlen schnellte, war Landtagswahl in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Die AfD veranstaltete als Wahlkampfveranstaltungen zahlreiche „Sommerfeste“, wo man gut beobachten konnte, wie eng junge Nachwuchs-Neonazis und die rassistische Mobilisierung der AfD zusammen gehören.
Bei vielen ihrer „Sommerfeste“ im Landtagswahlkampf 2024 waren auch offen rechtsextrem auftretende Jugendgruppen etwa in NS-verherrlichender Kleidung zugegen, Höcke machte in Cottbus Selfies mit Nachwuchs-Nazis – ein junger Höcke-Fanboy trug beim Foto mit dem Gesicht der völkischen Strömung in der AfD gleich ein Shirt mit der Aufschrift „Blitzkrieg“ und einer schwarzen Sonne.
In seiner Rede hatte Höcke zuvor gesagt: „Ich sage ja zur Straße“, er sei selber Straßenaktivist. Dabei ist Höcke nicht der einzige, der immer wieder den Schulterschluss mit dem politisch-aktivistischen Vorfeld sucht, zu dem offensichtlich auch Neonazi-Gruppen gehören.
Auch der Brandenburger Bundestagsabgeordnete Hannes Gnauck machte letztes Jahr in Templin Fotos mit einer Gruppe Jugendlicher, die zuvor am Rande einer Wahlkampfveranstaltung offenbar politische Gegner angegriffen hatten.
„War geil“
Beim Gruppenfoto mit Gnauck reckten die in schwarz gekleideten Jugendlichen die Faust und das White-Power-Zeichen, einer schrieb auf seiner Instagram-Story dazu: „War geil Zeckenboxen“, wie der Tagesspiegel recherchierte.
Die Polizei kontrollierte nach den Angriffen die Personalien einiger mutmaßlicher Angreifer – darunter ein 14-Jähriger, zwei 16-Jährige, zwei 17-Jährige. Gnauck, ehemals Chef der nun aufgelösten Jungen Alternative, relativierte die Angriffe und die Verantwortung der AfD danach. Er sei bei den Übergriffen ja nicht dabei gewesen, sagte Gnauck, man könne ja nicht jeden kontrollieren, der auf die AfD-Feste komme – echte Distanzierung Fehlanzeige.
Für die Radikalisierung von Jugendlichen trägt die extrem rechte Partei ebenso eine erhebliche Verantwortung: Sie zielt auf Social-Media, aber auch auf ihren Veranstaltungen mit rassistischer Agitation bewusst auf junge Menschen. Online hetzt die Partei auf Tiktok, Instagram und Youtube in Video-Formaten und mit KI gegen Minderheiten, adressiert dabei auch gezielt vor allem junge Zielgruppen.
Offline verteilte sie auf ihren „Sommerfesten“ Helium-Ballons in Form von Abschiebefliegern, stellte Hüpfburgen auf und bot Kinderschminken und Kutschfahrten an – während rassistische Reden von der Bühne schallen, andere Menschen abgewertet und die Zuhörer*innen selbst aufgewertet werden.
Und für aktionsorientierte Jugendliche ließ etwa die Landtagsabgeordnete Lena Kotré in Brandenburg gleich Stichwaffen verteilen, sogenannte Kubotans, mit der Aufschrift „Seid wehrhaft!“.
Der Schulterschluss mit dem rechtsextremen Nachwuchs hat bei Abgeordneten wie Kotré System: Erst vorletzte Woche reiste die AfD-Politikerin zu einer „Remigrationskonferenz“ der Identitären in Mailand und traf dort unter anderem den Identitären-Chef Martin Sellner – obwohl die Organisation offiziell auf der Unvereinbarkeitsliste der Partei steht.
Die Identitäre Bewegung führte zuletzt auch bundesweit gezielt Flyer-Aktionen an Schulen durch, ebenso versuchen sich Aktivist*innen der Gruppe als Social-Media-Influencer, zeigen den „White-Power-Gruß“ und verbreiten auf verschiedenen Plattformen ihre völkische Ideologie.
Der auch von demokratischen Parteien mit zu verantwortende gesamtgesellschaftliche Rechtsruck im Fahrwasser der AfD bildet dabei einen größer gewordenen Resonanzraum für die Radikalisierung vieler junger Neonazis.
So führt der nach rechts gekippte Diskurs nicht nur zu Höchstständen bei der rechten Gewalt und rechtsextremen Straftaten, sondern auch zur Mobilisierung der Neonazi-Szene, die sich durch den Rechtskurs der Bundesregierung(en) zusätzlich ermächtigt fühlen – ein Phänomen, das man bereits aus den Neunzigern und den Baseballschlägerjahren kennt.
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