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AfD in ThüringenDie rassistische Revolution

Aus Angst vor einer Landnahme der AfD erzählen sich Demokraten Märchen über die rechtsextreme Partei und ihre Wäh­le­rschaft. Das ist gefährlich.

Björn Höcke (l) und Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender (r), gratulieren Robert Sesselmann Foto: Martin Schutt/dpa

Die AfD stellt wahrscheinlich bald ihren ersten Landrat in Deutschland. Jedenfalls dann, wenn Robert Sesselmann den Demokratiecheck der Thüringer Landesverwaltung übersteht. 14.993 Menschen haben ihn am vergangenen Sonntag gewählt, für den CDU-Kandidaten stimmten in der Stichwahl 13.420 Wähler:innen.

In Reaktion auf die nach der Wahl oft geäußerte Angst vor einer fortschreitenden rechtsextremen Landnahme in Ostdeutschland versuchten sich Menschen aus dem politisch liberalen demokratischen Spektrum im Relativieren dieser Angst. Diese Relativierungen werden nach so gut wie jedem Wahlsieg der AfD in klassischen und sozialen Medien verbreitet. Sie kommen als Äußerung der Vernunft und des Pragmatismus daher, vernebeln aber einen kühlen Blick auf das, was in Thüringen und in anderen Gegenden Ostdeutschlands tatsächlich geschieht.

Da wäre als erste Relativierung die Behauptung, Ostdeutsche wählten die AfD, weil niemand ihnen zuhört. Dieses „Zuhören“ ist eine so unscharfe Projektion, dass je­de:r sich alles Mögliche darunter vorstellen kann. Und sie verdeckt, dass die AfD in Ostdeutschland eine sehr klare Vorstellung von diesem Zuhören hat. Sie nimmt die in Ostdeutschland weit verbreiteten Ressentiments gegen den „Westen“ auf und versucht sie in ihrem Sinn zu einer Waffe zu machen.

Dass der „Westen“ die hauptsächliche Quelle von Ungerechtigkeit gegen Ostdeutsche sei, ist eine in Ostdeutschland weit verbreitete Überzeugung. Alle, denen das nicht klar ist, hat der Verkaufserfolg von Dirk Oschmanns Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“ wahrscheinlich überrascht. Die AfD nimmt diese Überzeugungen auf und mengt ihnen rassistische und chauvinistische Elemente bei. Bei ihr wird der „Westen“ zu einem migrantisierten, verweiblichten und dekadenten politischen Raum, in dem das eigentliche Volk, also deutsche Weiße, kein Gehör mehr findet. Bei der Propaganda von der „Umvolkung“ fungiert der „Westen“ als Dystopie, in der dieser „Bevölkerungsaustausch“ bereits gelungen ist. Die AfD propagiert die Idee einer weißen Avantgarde in Ostdeutschland, die (noch) nicht so verweiblicht, verweichlicht und migrantisiert sei. Mit Slogans wie „Vollende die Wende“ beschwört sie die Idee eines zweiten rassistischen 1989, einer Revolution, die das bestehende politische System überwinden soll.

Weiße ostdeutsche Männer

Dass diese Revolutionsidee stark auf weiße ostdeutsche Männer zielt, schwingt oft in Witzen und Halbsätzen mit, zeigt sich unter anderem beim Personal, wird aber auch in schlichter Deutlichkeit geäußert. Die Parteitagsrede von Thüringens Parteichef Björn Höcke, in der dieser 2015 die Wiederentdeckung der Männlichkeit beschwor, wurde sogar ein bisschen berühmt. Vergangene Woche machte ein Video von Maximilian Krah die Runde, einem in Sachsen aufgewachsene Europaabgeordneten der AfD. Er rät jungen Männern ohne Freundin, nicht „links“, „lieb“ und „schwach“ zu sein. Denn: „Echte Männer sind rechts.“

Man kann das als Clownerie abtun, aber auch nur dann, wenn man vergisst, dass faschistische Bewegungen das Clownshafte immer in sich tragen. Die Idee der AfD von Ostdeutschland ist klar die eines Raums, in dem weiße Ostdeutsche, vor allem Männer, endlich das kriegen, was ihnen angeblich zusteht. Die AfD ist, wie jede faschistische Inkarnation, Anbieter eines Profitgeschäfts für Weiße, vor allem Männer.

Eine weitere dieser nach Wahlen geäußerten vermeintlich vernünftigen Projektionen ist: Nicht alle Wäh­le­r:in­nen der AfD sind echte Rechtsextreme. Woher kommt die Vorstellung, alle müssten „richtige“ Nazis sein für eine rechtsextreme Hegemonie? Selbst bei Aufstieg und Herrschaft des Nationalsozialismus war der Kern der „echten Nazis“ vergleichsweise klein.

Die Mitgliederzahl der NSDAP ist nur ein Indiz, denn in „der Partei“ waren schon zahlreiche Mit­läu­fe­r:in­nen wie mein Urgroßvater, der ein Haus bauen und einen speziellen Kredit abgreifen wollte. Sie hatte 1945 um die 8,5 Millionen Mitglieder – bei knapp 79 Millionen Ein­woh­ne­r:in­nen, gezählt 1938. Die größte Gruppe sind in rechtsextrem bestimmten politischen Räumen immer die Mitläufer, die eine mehr oder minder präzise Vorstellung davon haben, was der Kern will, dessen Agieren insgesamt aber für richtig halten und/oder denken, dass auch sie davon profitieren.

Ostdeutsches Langzeitbewußtsein

Die dritte große Vernunfts­projektion ist die Erwartung, AfD-Wähler:innen würden recht bald enttäuscht werden, weil ein Landrat, ein Parlamentarier, ein Diesunddasfunktionär sich an bestimmte Vorgaben halten, endlich Verantwortung übernehmen müsse et cetera.

Das kann stimmen, besonders bei den Mitläufer:innen, die schnellen Profit von ihrer Wahlentscheidung erwarten. Aber es gibt gerade in Ostdeutschland, begründet durch die Erfahrungen bei der Überwindung der DDR, ein Bewusstsein dafür, dass es Jahre dauern kann, ein politisches System zu stürzen. Viele AfD-Wähler:innen haben eine – zumindest gefühlte – langfristige Perspektive. Dass es eben dauern kann, bis sich „wirklich etwas ändert“.

Ein Landrat in Thüringen hat tatsächlich nur begrenzte Möglichkeiten, AfD-Positionen zu vertreten. Aber ein erster Schritt in Richtung Machtübernahme ist er eben auch. Und er kann alles, was er nicht tun kann, auf „die da oben“ und „das System“ schieben.

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