Ärztin über Paragraf 219a: „Noch nicht am Ende der Debatte“
Am Freitag soll das Informationsverbot für Abtreibung fallen. Die Ärztin Kristina Hänel kämpft schon jahrelang gegen den Paragrafen.
taz: Frau Hänel, Ihre Verurteilung hat den Paragrafen 219a überhaupt erst ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Sie wurden zur Ikone im Kampf gegen dieses Gesetz. Am Freitag stimmt der Bundestag über seine Abschaffung ab. Können Sie sich jetzt zur Ruhe setzen?
Kristina Hänel: Nee, zur Ruhe setze ich mich nicht. Aber ich werde aus der ersten Reihe zurücktreten. Ich habe ja meine Praxis und die Reittherapie und noch jede Menge zu tun beim Thema Schwangerschaftsabbruch. Ich bilde inzwischen viel aus in meiner Praxis, Studierende und Ärzt*innen, die lernen wollen, wie es geht. Das sehe ich künftig als meine Aufgabe.
ist 65 Jahre alt und Allgemeinmedizinerin. 2017 wurde sie nach Paragraf 219a verurteilt, weil auf ihrer Webseite steht, dass und wie sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Seither kämpft sie gegen den Paragrafen. Das Urteil gegen sie wurde zum Beginn einer bundesweiten Debatte über die geltende Rechtslage.
Sie und andere Ärzt*innen sind wegen ihrer Verurteilung nach dem Paragrafen bis vors Bundesverfassungsgericht gezogen. Nun werden die Urteile aufgehoben – ziehen Sie die Beschwerden also zurück?
Dazu möchte ich mich derzeit noch nicht äußern.
Vor der Abschaffung kam die Reform: 2019 wurde Paragraf 219a geändert, Ärzt*innen dürfen nun öffentlich mitteilen, dass sie Abbrüche durchführen, aber nicht, mit welcher Methode. Außerdem führt die Bundesärztekammer seither eine öffentliche Liste der verfügbaren Ärzt*innen. Warum war das nicht genug?
Die meisten Ärzt*innen haben sich gar nicht auf diese Liste setzen lassen. Kein Wunder, diese ist von Abtreibungsgegnern als Pranger benutzt worden. Wegen dieser Leute kursiert im Netz auch immer noch viel zu viel Desinformation, um Frauen in die Irre zu führen oder zu verunsichern. Deswegen braucht es so dringend sachliche und korrekte Informationen direkt von den Fachleuten.
Sie sind eine von nur rund 1.100 Ärzt*innen in Deutschland, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Wird das Ende von Paragraf 219a die Versorgungslage verbessern?
Wir haben dadurch ja nicht automatisch mehr Ärzt*innen. Aber die Entschärfung der Rechtssituation und vor allem die Debatte, die wir in den vergangenen Jahren geführt haben, war enorm wichtig. Es soll endlich medizinische Leitlinien zum Schwangerschaftsabbruch geben, es wird eine umfassende Studie zu den Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer geben. All das zeigt: Trotz der Angriffe der Abtreibungsgegner und trotz vieler radikaler Äußerungen in der Debatte hat das Klima sich verändert. Zum Besseren.
Woran machen Sie das fest?
Allein schon daran, dass es wieder Nachwuchs gibt. Das sehe ich wie gesagt in meiner Praxis, wo Menschen zum hospitieren kommen. Aber auch Gruppen wie die Medical Students for Choice haben Zulauf in ihren Papaya-Workshops …
… in denen sie Schwangerschaftsabbrüche an diesen Früchten üben, weil die in Form und Beschaffenheit einem Uterus ähneln.
Genau. Angehende und praktizierende Ärzt*innen machen sich Gedanken darüber, wie die Versorgung aufrechterhalten werden kann. Genau wie die Politik. Jahrelang hat das alles niemanden interessiert. Aber in den letzten Jahren sind die Missstände endlich in den Fokus gerückt.
Der Koalitionsvertrag sieht noch weitere Aspekte im Bereich Schwangerschaftsabbruch vor.
Richtig. Es ist sehr wichtig, dass endlich etwas gegen die Gehsteigbelästigung getan wird. Dass also der Staat diejenigen, die Abbrüche und Beratungen durchführen, vor radikalen Abtreibungsgegnern schützt. Für eine bessere Versorgung braucht es aber mehr. Wie bringt man zum Beispiel Krankenhäuser dazu, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten, wenn im größeren Umkreis sonst kein Arzt dazu bereit ist?
Warum überhaupt sind viele Ärzt*innen nicht bereit?
Es ist für einen Arzt ein Problem, zu sagen: Ja, diese Versorgung zu leisten, gehört zu meinem Beruf, wenn es dabei um eine Straftat geht. Es gehört aber nun mal selbstverständlich dazu. Jedenfalls empfinde ich das so. Wenn ich sage: Ich bin Ärztin, dann darf ich doch Betroffenen ungewollter Schwangerschaft meine Hand nicht verweigern und sie irgendwelchen Engelmachern oder der Illegalität überlassen. Genau das ist ja aber die Konsequenz, wenn sich zu viele verweigern. Und das bedeutet letztlich: Lebensgefahr.
Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland nach Paragraf 218 Strafgesetzbuch verboten. Gleichzeitig sind sie straffrei, wenn sie in den ersten 12 Wochen nach Beratung und dreitägiger Wartefrist stattfinden. Man könnte also sagen: Wer einen Abbruch braucht, bekommt ihn auch, oder?
Die Auswirkungen von Paragraf 218 sind täglich spürbar. Frauen verlieren durch die Pflichtberatung und die Wartefrist viel wertvolle Zeit. Viele von denen, die in ihrer Entscheidung sicher sind, empfinden das als demütigend. Ich bin da immer auf Seiten der WHO, die sagt, Deutschland möge diese Hürden abschaffen, – wie viele andere Länder auch, weil es die Gesundheit der Frauen einschränkt.
Wie genau sich das lösen lässt, würde ich Politik und Justiz überlassen. Aber es gibt Handlungsbedarf, das Thema ist weltweit aktuell und wir sind auch in Deutschland noch nicht am Ende der Debatte.
Die jetzige Rechtslage ist eine Kompromisslösung aus den 1990er Jahren. Die Ampel will zwar, dass eine Kommission prüft, wie man Abbrüche auch anders als nur im Strafrecht regeln kann. Bundesjustizminister Marco Buschmann hat aber schon erklärt, der FDP müsse „niemand den Respekt vor diesem historischen Kompromiss lehren“. Was denken Sie?
Die FDP war seinerzeit die treibende Kraft hinter der Fristenlösung, die dann zweimal vom Bundesverfassungsgericht verworfen wurde. Ich kann mir schon vorstellen, dass sie Angst haben, sich noch mal die Finger zu verbrennen. Andererseits verstehe ich nicht ganz, wie man als Partei seine eigene Geschichte so verleugnen kann. Eine liberale Rechtslage muss doch gerade für eine freiheitliche Partei ein Anliegen sein.
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