: Ach, du heile Ackerwelt
Der NDR berichtet neuerdings oft einseitig positiv über Landwirtschaft. Ein Podcast wird von der Inhaberin einer Agrar-PR-Agentur gehostet. Eine prominente Sendung gibt sogar AfD-Propaganda unwidersprochen wieder. Manche Landwirte führen diesen Trend auf den Druck der Bauernproteste zurück
Von Jost Maurin
Bauernhof, das ist Idyll. Zumindest in einigen Sendungen des NDR. Der öffentlich-rechtliche Sender ist in jüngster Vergangenheit immer wieder durch einseitige Berichte über die Landwirtschaft aufgefallen – und zwar zugunsten des Bauernverbandes und nach rechts tendierender Landwirte. Vorläufiger Höhepunkt ist die zweite Folge des gemeinsam mit dem BR produzierten Formats „Klar“. Sie kann als Werbung für die AfD interpretiert werden.
Die 45-minütige Reportage stammt von einem Team um die Focus-online-Kolumnistin Julia Ruhs, die bekannt wurde auch durch ihre Kritik an „queeren Gaga-Workshops“ oder „woken“ Stellen im Koalitionsvertrag. Die „Klar“-Folge „Der Frust der Bauern“ hätte ähnlich unausgewogen und unkritisch gegenüber der AfD auch bei rechtspopulistischen Sendern wie Nius oder Auf1 laufen können.
Gleich in der ersten Minute bekennt der schleswig-holsteinische Milchbauer Thomas Schneekloth, er habe bei der Bundestagswahl im Februar für die rechtsradikale Partei gestimmt. Danach folgen etliche Minuten Klagen: dass die CDU nach links gerutscht sei, dass die Bauern so viel für die Umwelt leisten müssten, um EU-Agrarsubventionen zu bekommen, dass viele Höfe gefährdet seien.
Immerhin fragt die Reporterin Schneekloth am Ende, ob er glaube, was ein Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz festgestellt hat: dass die AfD rechtsextremistisch sei. „Nee, glaube ich nicht. Ich glaub’tatsächlich, dass die Regierung damit die Opposition bloß kleinhalten will.“ Schneekloths Antwort bleibt unwidersprochen. Die Reporterin hakt nicht nach, konfrontiert den abgedrifteten Landwirt auch nicht mit unangenehmen Wahrheiten wie damit, dass AfD-Politiker bereits mehrfach Andersdenkende gewaltsam angegriffen haben.
Auch Landwirte kritisieren dieses journalistische Niveau im Umgang mit Schneekloths Äußerungen. „Die ARD-Sendung unterzieht seine Entscheidung keiner kritischen Betrachtung. Es entsteht der fatale Eindruck, die AfD sei eine legitime Antwort auf agrarpolitische Missstände“, schreibt die Milchbäuerin Kirsten Wosnitza in ihrem Blog. Dabei handele es sich um eine „Partei, die menschenverachtend, populistisch, fremdenfeindlich und wirtschaftlich rücksichtslos argumentiert – und den Bauern das Blaue vom Himmel verspricht“. Die ARD verschaffe mit dieser Sendung solchen Positionen auch Anschlussfähigkeit. „Das war keine differenzierte Analyse, sondern eine gefährliche Vereinfachung.“ Journalistische Verantwortung sehe anders aus.
Stimmen wie die von Wosnitza, die sich ablehnend gegenüber der AfD äußern, kommen in der Sendung nicht zu Wort. Ebenso fehlen die von Umweltschützern oder Wissenschaftlern, die abseits von rechts, links Missstände in der Landwirtschaft einordnen. Die einzige Gegenstimme ist eine Sprecherin der Tierrechtsgruppe Animal Rebellion. Diese Organisation ist aber extrem klein und radikal – die Aktivistin lehnt im „Klar“-Interview jegliche Nutztierhaltung ab. Sie kann auf keinen Fall repräsentativ Kritik an Missständen in der Landwirtschaft vorbringen.
Die Sendung erwähnt auch nicht, weshalb es überhaupt Umweltgesetze und Regeln gibt, an die sich Bauern halten müssen: Laut Umweltbundesamt verursachte die Landwirtschaft 2023 inklusive der Emissionen aus Böden und Maschinen 14 Prozent der Treibhausgase in Deutschland. Viele Tiere werden unter Bedingungen gehalten, die ethisch bedenklich sind. Mit Pestiziden und zu viel Dünger trägt die Branche dazu bei, dass immer mehr Tier- und Pflanzenarten aussterben.
Für Ottmar Ilchmann, den niedersächsischen Landesvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, die kleine und mittlere Höfe vertritt, war die „Klar“-Episode „unterirdisch“. Der Landwirt sieht sie als Teil eines Trends. „Früher hat der NDR auch sehr kritisch berichtet“, erinnert er sich. Nun sei er „insgesamt sehr unkritisch“ geworden. „Es ist krass, wie sehr der NDR jetzt auf Bauernverbandslinie eingeschwenkt ist.“
Diese Tendenz ließ sich schon 2024 daran erkennen, wie der NDR auf einen Shitstorm gegen die Agrarsoziologin Janna Luisa Pieper reagierte. Die Wissenschaftlerin hatte in einem knapp 3-minütigen Interview der Regionalfernsehsendung „Hallo Niedersachsen“ über die Bauernproteste gesagt, der damalige Sprecher des Bauernvereins LSV Deutschland, der Influencer Anthony Lee, sei „durch rechtsextreme bis hin zu rechtspopulistischen Aussagen aufgefallen“. Daraufhin wurde die Doktorandin tagelang bombardiert mit Anrufen und teils beleidigenden, vulgären E-Mails. Und Lee verklagte die Forscherin.
Statt über die Hetze gegen Pieper zu berichten, fuhr ein NDR-Team zu Lee und gab ihm in einem über 6-minütigen Beitrag die Gelegenheit, sich zu präsentieren: Lee auf dem Trecker, Lee auf einem idyllischen Bauernhof, Lee beim Aufnehmen eines neuen Youtube-Videos. Zwar erwähnte der Beitrag auch, dass der Influencer wahrheitswidrig behauptet hatte, Politiker würden Bauern ihr Land zugunsten von Flüchtlingen wegnehmen wollen. Und dass Lee mit der Zugehörigkeit seines Großvaters zur Waffen-SS erklärte, warum er Klartext rede. Dennoch behauptete der Reporter, es gebe bisher keine Belege für rechtsextreme Äußerungen von Lee. Dass der Landwirt später sämtliche Klagen gegen Pieper verlor, verschwieg „Hallo Niedersachsen“ seinen Zuschauern.
Noch mehr auf heile Welt setzte die „Nordreportage“. Der Verzicht auf kritische Worte wirkt wie das Prinzip der Vorabendfernsehsendung. Auch wenn es um Landwirtschaft geht. Da wird etwa viel Verständnis für eine sympathische Apfelbäuerin aus Niedersachsen geweckt, die auch Erntehelfer aus Polen beschäftigt. Dass Saisonarbeit in der Landwirtschaft Gewerkschaftern zufolge oft Ausbeutung ist, dass immer wieder Erntehelfer um Lohn geprellt werden – das spart die Sendung aus. Genauso wie die Folgen der im Obstanbau häufigen Pestizideinsätze für Umwelt und Gesundheit.
Auch im Hörfunk ist es nicht besser, zum Beispiel bei „63 Hektar“, dem 2023 gestarteten Landwirtschaftspodcast von NDR Niedersachsen. Gastgeberin – wohlgemerkt nicht nur Gästin – ist die Landwirtin und Inhaberin einer PR-Agentur für Agrarfirmen: Maja Mogwitz. Man könnte sie also auch als Lobbyistin bezeichnen. Ihren unbedarft wirkenden Co-Host, einen Journalisten, unterbricht Mogwitz beispielsweise in der im August 2024 erschienen Folge über Nitrat aus Düngemitteln im Wasser ständig. Er schafft es auch inhaltlich kaum, ihr Paroli zu bieten. Unerwähnt bleibt, dass manche Bauern sehr wohl ein Interesse daran haben, mehr zu düngen, als für die Pflanzen nötig wäre – nämlich, um die viele Gülle aus den Ställen auf den Feldern zu entsorgen. Sehr prominent betonen die Hosts dafür, es gehe nur um Nitrat im Grundwasser, nicht im Trinkwasser: „Unser Wasser ist sicher.“ Die Hörer erfahren aber nicht, dass das meiste Trinkwasser in Deutschland aus Grundwasser gewonnen wird.
Bauer Ilchmann vermutet, dass der NDR dem Druck der Agrarlobby nachgegeben habe. Im Februar 2024 demonstrierten Landwirte mit Traktoren vor den Funkhäusern der Anstalt in Hamburg und Hannover. Sie forderten, dass mehr und positiver über die Bauernproteste berichtet werde. Über das Interview mit der Agrarsoziologin Pieper zu genau dieser Protestwelle beschwerte sich auf Facebook Heike Müller, die damals nicht nur Vizepräsidentin des Bauernverbands von Mecklenburg-Vorpommern, sondern ebenfalls Mitglied im NDR-Rundfunkrat war; letzteres ist sie bis heute. Ilchmanns Fazit: „Es kommt mir ein bisschen vor, als seien da auch Leute eingeschüchtert worden.“
„Wir verwehren uns gegen den Vorwurf der Einseitigkeit“, schreibt eine NDR-Sprecherin der taz auf Anfrage. Die Anstalt berichte häufig über Landwirtschaft, und jede Sendung könne „immer nur einen Ausschnitt“ abbilden. Der Sender schickt zudem eine Liste von Beiträgen, die zeigen sollen, dass er auch kritisch über das Thema berichtet, allen voran einer des Investigativmagazins „Panorama“ über den umstrittenen Präsidenten des Bayerischen Bauernverbandes, Günther Felßner. Dieser und andere Beiträge enthalten auch Gegenrecherchen, die kritisierte Seite kann sich ausreichend rechtfertigen.
Doch die Positivbeispiele können nicht legitimieren, dass andere, teilweise sehr prominente NDR-Sendungen diese journalistische Grundregel eklatant verletzen. Dass „Klar“ unwidersprochen Pro-AfD-Stimmen sendete, dass eine Agrarlobbyistin Co-Host eines Podcasts ist, dass wichtige negative Fakten in mehreren Sendungen fehlten – all das dementiert der NDR nicht.
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