Abtreibungsverbot in Polen: Unter Hochspannung

Wegen eines strengen Abtreibungsverbots gehen wieder viele Po­l*in­nen auf die Straße. Einige sprechen von Niedertracht der PiS-Regierung.

Eine junge Frau mit roter Mütze trägt eine Gesichtsmaske. mit einem roten Blitz, das Protestzeichen gegen Abtreibung

Der rote Blitz, das Kampfzeichen gegen das Abtreibungsverbot: Protest in Warschau am 28.01.2021 Foto: Aleksandra Szmigiel/reuters

WARSCHAU taz | Warum tut uns die Regierung das an? Warum ausgerechnet jetzt? Warum in Coronazeiten, die kaum noch auszuhalten sind?“, ruft Marta Lempart, die resolute Chefin der Frauen-Streik-Bewegung „strajk kobiet“ den Demonstrantinnen zu. Am Mittwochabend hatte Polens Regierung das Urteil des Verfassungsgerichts vom Oktober 2020 im Gesetzesblatt publiziert.

Damit müssen Polinnen demnächst auch Schwangerschaften austragen, die mit einer Totgeburt enden. Oder schwerkranke Kinder zur Welt bringen, die dann noch Tage, Wochen oder Monate qualvolle Schmerzen erleiden müssen, bis sie endlich sterben. Julia Przyłębska, die umstrittene Chefin des Verfassungsgerichts und enge Vertraute von Jarosław Kaczyński, dem Parteichef der national-populistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), entsprach mit diesem Urteil dem PiS-Wunsch nach einer Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen.

„Sie tun dies, weil sie nichts anderes können. Sie können nur klauen und lügen“, schallt Lemparts Stimme auch Straßen weiter aus Lautsprechern. Nur rund eine Stunde, nachdem Przyłębska die Begründung des Urteils vom Oktober 2020 publik gemacht hatte, waren bereits Zehntausende Frauen in ganz Polen auf der Straße.

„Unsere Politiker wissen nicht, was Gesundheitsfürsorge ist, was Schulbildung ist oder wie man die Pandemie in den Griff bekommt!“, ruft die gestandene Geschäftsfrau aus Breslau (Wroclaw) in die Nacht. „Die Unternehmer gehen ihnen am Arsch vorbei. Die vielen Menschen, die in diesen Tagen ihre Arbeit verlieren, genauso. Sie können nichts, rein gar nichts! Gerade diese Nichtskönner aber sind zu allem fähig! Diese Banditen!“

Die De­mons­tran­t:in­nen vor dem Verfassungsgericht in Warschau klatschen laut. Viele halten ihre Handys hoch, filmen den furiosen Auftritt Lemparts und schicken ihn ins Internet. Die Social-Media-Portale kennen nur noch ein Thema: die Entmündigung der schwangeren Frauen in Polen.

Kost und Logis in Berlin

„Wir sollten einen Shuttledienst ins befreundete Ausland aufbauen“, schreibt eine Userin auf Twitter. „Dort gibt es Ärzte, die uns bei Risikoschwangerschaften helfen!“ Andere schicken Preislisten aus Großbritannien, Tschechien, Frankreich und Deutschland. „Lasst die Regierung ihr Ding machen, wir machen unseres“, schreibt eine andere. „Ich gehöre zu den gut verdienende Pol:innen. Um ärmeren Frauen zu helfen, spende ich zwei Abtreibungen im Jahr.“ Eine andere bietet Kost und Logis in Berlin an: „Mir ist jede Frau in Not willkommen!“

Am Donnerstag bringen die zumeist jungen Frauen rote Farbe mit zum Verfassungsgericht in Warschau. Die „Spaziergänger:innen“, wie sie sich nennen, um nicht als „Demonstrant:innen“ in Coronazeiten verhaftet zu werden, schütten ganze Kübel roter Farbe auf den Gehsteig. Blutrot ist die Farbe des Lebens. Blutrot ist auch das Blitz-Symbol der „strajk kobiet“-Bewegung, das an das internationale Symbol „Achtung! Hochspannung!“ erinnert. In den nächsten Tagen müssen die Richter auf ihrem Weg von und zur Arbeit durch diese „Blutlache“ gehen.

Obwohl alle War­schaue­r:in­nen die vorgeschriebenen Mund-Nasen-Masken tragen und sich auch Mühe geben, Abstand zu den anderen einzuhalten, greift die Polizei kurz nach 21 Uhr ein. Sie will die „illegale Demonstration“ auflösen und fordert alle Teil­neh­mer:innen auf, sich zu legitimieren.

Die Methode erinnert viele an die Zeit des Kommunismus. Da bildete die Polizei auch gerne einen Kessel, drängte die Menschen immer enger zusammen, griff dann einzelne heraus, um ihre Daten aufzunehmen oder in Kommissariate am Warschauer Stadtrand zu verfrachten. Es ist schwer, mitten in der Nacht von der Peripherie wieder ins Stadtzentrum zu kommen. Jetzt – unter der PiS-Regierung – ist dieses Problem wieder aktuell.

„Wenn sich Leute mit Covid angesteckt haben, sind Polizei und Regierung schuld. Ohne Polizeikessel wären alle gesund geblieben“, schreibt ein User, der sich mit den Frauen solidarisch erklärt. Vor dem Verfassungsgericht und dem Rauch eines Bengalofeuers steht eine junge Frau und sagt: „Die Entscheidung der Verfassungsrichter ist pure Niedertracht!“ Das Minivideo wird tausendfach geklickt und verbreitet. Es trifft den Nerv der Zeit.

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