Abtreibungsverbot in Malta: Verletzung der Menschenrechte
Für Länder mit Abtreibungsverbot wie Malta sollte es Reisewarnungen geben. Denn wer schwanger werden kann, riskiert dort im Zweifel sein Leben.
Will man in Ländern Urlaub machen, deren Regierungen Menschenrechte verletzen? In China, das Uigur*innen in Zwangslager sperrt? In der Türkei, wo kritische Journalist*innen im Knast verschwinden? In Ägypten, wo die Menschen unter den Repressionen des Militärstaats leiden? Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Doch wenn es um bestimmte Menschenrechte geht, ist diese Frage nicht nur eine ethische. Für Reisende, die schwanger werden können, kann es um ihr Leben gehen.
Empfohlener externer Inhalt
Eigentlich wollten die US-Amerikanerin Andrea Prudente und ihr Partner bloß Urlaub machen. Im Juni auf Malta die Sonne genießen, das Meer, und sich auf die Zukunft zu dritt freuen. Prudente war in der 16. Woche schwanger. Doch es kam anders. Sie verlor die Schwangerschaft – und verklagt nun Malta wegen seines strikten Abtreibungsverbots. Der Vorwurf: Menschenrechtsverletzung.
Prudente musste mit Schwangerschaftskomplikationen ins Krankenhaus. Sie hatte Fruchtwasser verloren und die Plazenta hatte sich abgelöst. Der Fötus sei nicht lebensfähig, erklärten die Ärzt*innen. Doch sie weigerten sich, ihn aus ihrem Körper zu entfernen: Nach wie vor waren Vitalfunktionen darstellbar.
Die strengsten Abtreibungsgesetze weltweit
Das EU-Land Malta hat eins der strengsten Abtreibungsgesetze weltweit. Schwangerschaftsabbrüche sind unter allen Umständen illegal, auch in Fällen von Vergewaltigung oder bei Gefahr für die Gesundheit der Schwangeren. Man müsse warten, bis der Fötus tot sei, erklärten die Ärzt*innen Prudente. Das kann lebensbedrohlich sein, zum Beispiel, wenn sich eine Sepsis entwickelt.
Prudente erreichte, dass man sie nach zwei zermürbenden Wochen im Krankenhaus nach Spanien ausflog. Dort erhielt sie die notwendige medizinische Behandlung. Eine Möglichkeit, die ihr als Touristin offenstand – die viele Malteserinnen aber nicht haben. Wer ungewollt schwanger ist, muss für einen Abbruch ins Ausland reisen oder sich heimlich Abtreibungspillen über das Internet besorgen. Wer aber eine Fehlgeburt erlebt, der droht im schlimmsten Fall das, was auch Prudente im Krankenhaus erlebte. Aktivist*innen berichteten ihr, es gebe jedes Jahr Fälle wie den ihren. Doch kaum jemand spreche darüber, zu groß sei das Stigma.
„Ich bin fest davon überzeugt, dass ich Opfer eines Gesetzes wurde, das Frauen schadet, und dass ich als Außenstehende in der einmaligen Situation bin, den Mund aufzumachen und Licht auf eine Sache zu werfen, die sich falsch anfühlt“, sagte Prudente dem Magazin Vice. Die maltesische Regierung habe gegen ihre Verpflichtung verstoßen, für Sicherheit und Würde zu sorgen. Das Abtreibungsverbot verstoße gegen ihr Recht auf Freiheit, den Schutz des Rechts auf Leben, das Recht auf Achtung des Familienlebens und den Schutz vor unmenschlicher Behandlung. Es handle sich zudem um Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.
Das Recht auf Gesundheit ist ein Menschenrecht. Dazu zählen auch reproduktive Rechte – also auch: das Recht jeder Person, selbst zu entscheiden, ob und wenn ja, wann, mit wem und wie oft sie Kinder bekommt, und dabei die bestmögliche medizinische Versorgung zu erfahren. Auch wenn viele Länder es bis heute nicht wahrhaben wollen: Dieses Recht ist nicht realisierbar, ohne auch den Zugang zu legalen und medizinisch sauberen Schwangerschaftsabbrüchen sicherzustellen.
Nicht immer gehen Fälle wie der Prudentes am Ende gut aus – und zwar längst nicht nur dort, wo es ein Totalverbot gibt. Erst im letzten Jahr starb in Polen eine junge Frau an einer Sepsis, weil die Ärzt*innen sich weigerten, einen nicht lebensfähigen Fötus aus ihrem Körper zu entfernen. Dabei sind dort Abbrüche, die das Leben der Schwangeren retten, erlaubt. Und auch in den USA häufen sich Berichte von Ärzt*innen, dass Frauen mit einer Fehlgeburt die notwendige Behandlung verwehrt wird, seit der Supreme Court das Recht auf Zugang zu Abtreibungen gekippt hat und zahlreiche Bundesstaaten ihre Gesetze verschärft haben.
Diese Fälle zeigen in aller Deutlichkeit, warum ein Abtreibungsverbot kein Leben rettet, wie die Anti-Choice-Bewegung oft behauptet – sondern Leben kostet. Zum einen zwingen sie ungewollt Schwangere in die Illegalität – und zu unsauberen und gefährlichen Methoden. Zum anderen kann ein Abtreibungsverbot eben auch jene betreffen, die eigentlich gewollt schwanger sind.
Ärzt*innen stellen fest, dass ein Fötus keinerlei Überlebenschancen hat. Dennoch verweigern sie den Eingriff, solange Vitalfunktionen darstellbar sind. Es könnte ihnen von der Justiz ja als Abtreibung angelastet werden. Und so muss eine Situation, die lebensbedrohlich werden kann, erst tatsächlich lebensbedrohlich werden, bevor sie handeln. Manchmal ist das zu spät. Und immer werden auf diese Weise Menschenleben im Namen des sogenannten Lebensschutzes wissentlich aufs Spiel gesetzt.
„Falls du eine Frau kennst, falls du eine Frau liebst, falls du vorhast, jemals eine Frau zu kennen oder zu lieben, oder falls du eine Frau bist: Fahr nicht nach Malta.“ Das hat Prudentes Partner im Guardian gesagt, nachdem die beiden die Insel verlassen hatten.
Jay Weeldreyer, Partner von Andrea Prudente
Und er hat recht: Eigentlich müsste es für Länder mit Abtreibungsverbot Reisewarnungen geben. Menschen, die schwanger werden können, sollten sich genau überlegen, ob sie Reisen nach Malta, Brasilien, Polen, in Teile der USA oder viele andere Länder riskieren. Und alle Menschen sollten sich ein Beispiel nehmen an Andrea Prudente und Abtreibungsverbote als das benennen, was sie sind: Menschenrechtsverletzungen, die überall auf der Welt ein Ende haben müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn