Schwangerschaftsabbrüche in Ungarn: Ein Herzklopfen gegen Abtreibungen

Ungarn hat sein bisher liberales Abtreibungsrecht verschärft. Künftig müssen sich Schwangere vor einem Abbruch den Herzschlag des Embryos anhören.

Ebbryobild und Kerzenlichter

An vielen Orten bedroht: das Recht auf Abtreibung. Pro-Life-Demo in Malta Foto: Darrin Zammit Lupi/reuters

WIEN taz | Ein Herzklopfen soll Abtreibungen in Ungarn verhindern. Das ist das Ziel eines am Dienstag im Amtsblatt verkündeten Gesetzes, das am Donnerstag in Kraft tritt. Das liberale ungarische Abtreibungsrecht hatte sich bisher der Politik „traditioneller Familienwerte“, die Premier Viktor Orbán seit 2010 vorantreibt, entzogen.

„Fast zwei Drittel der Ungarn assoziieren den Beginn des Lebens mit dem Herzschlag“, begründete Innenminister Sándor Pintér die Reform. Hintergedanke ist offensichtlich, dass Mütter durch die akustische Wahrnehmung des Lebens in ihrem Bauch sich doch zum Austragen des Kindes entscheiden.

In Ungarn sind Abtreibungen seit 1953 legal. Ein Gesetz aus 1992 regelt eine Fristenlösung bis zur 12. Woche. In besonderen Fällen ist die Schwangerschaftsunterbrechung bis zur 24. Woche erlaubt. Daran ändert sich zunächst nichts. Frauen müssen aber jetzt eine fachärztliche Bescheinigung vorweisen, dass „die Faktoren, die auf das Vorliegen der Lebensfunktionen des Embryos hinweisen, auf eindeutige Weise zur Kenntnis gebracht wurden“. Ähnliche Gesetze wurden jüngst in US-Bundesstaaten wie Texas und Kentucky beschlossen.

Schon bisher mussten Frauen zwei Beratungstermine im Abstand von mindestens drei Tagen wahrnehmen, bevor sie sich an ein Krankenhaus zur Abtreibung überweisen lassen durften. Für Noá Nógradí von der Frauenrechtsorganisation Patent schreckt die Regierung Orbán vor einem völligen Abtreibungsverbot nach polnischem Vorbild zurück, weil zwei Drittel der Ungarinnen und Ungarn Verschärfungen nicht befürworten.

Unter Medizinern ist der Herzschlag als Beweis für Lebensfunktionen umstritten

„Viele kleine Schritte Richtung Einschränkung werden leichter hingenommen“, so die Frauenrechtlerin in der englischen Tageszeitung The Guardian. Die Beratungsgespräche würden in letzter Zeit zunehmend aggressiv geführt, was den Zugang zur Abtreibung spürbar schwieriger gemacht habe.

Frauenfeindlichkeit an der Tagesordnung

Gleichzeitig wurden auch finanzielle Anreize geschaffen, die die Mutterschaft attraktiver machen und den Frauen die ihnen nach dem Weltbild Orbáns zustehende Rolle in einer christlichen Familie zuweisen. Mütter von mindestens vier Kindern sind seit 2019 lebenslang von der Einkommensteuer befreit. Eine begleitende Kampagne mit Plakaten von Föten in der Fruchtblase setzt werdende Mütter moralisch unter Druck.

Unter Medizinern ist die Wahrnehmung des Herzschlags als Beweis für Lebensfunktionen umstritten. Die meisten Experten weisen darauf hin, dass der Ultraschallapparat selbst pulsierende Geräusche erzeuge.

Das Gesetz wurde nicht von der regierenden Fidesz eingebracht, sondern von der neuen rechtsextremen Partei Mi Hazánk (Unsere Heimat), die mit den Wahlen vom vergangenen April erstmals ins Parlament einzog. Diese extremistische Abspaltung von der in die Mitte gerückten Rechtspartei Jobbik ist die einzige Oppositionspartei, die in den gelenkten Medien häufig gelobt wird.

Für Verwunderung hat schon im August eine Studie des ungarischen Rechnungshofes gesorgt, die vor „zu weiblicher Erziehung“ warnte. Das Kontrollorgan sah psychische Probleme bei und negative Auswirkungen auf Jungen, wenn sie dem Einfluss von Frauen ausgesetzt sind. Wenn die Bildung „weibliche Eigenschaften“ wie „emotionale und soziale Reife“ begünstige und so die „Überrepräsentation von Frauen an den Universitäten“ verursache, werde die Geschlechtergleichheit „erheblich geschwächt“.

In einem Bericht des Europarates aus dem Jahr 2019 wurden dem Land unter der nationalkonservativen Regierung Rückschritte in Sachen Geschlechtergerechtigkeit attestiert. Ungarn ist in der EU auch das Land mit dem geringsten Anteil von Frauen in Regierungsämtern.

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