Abschiebungen nach Afghanistan: Ins Ungewisse geführt
Die abgelehnten Asylbewerber sind am Donnerstag in Kabul gelandet. Am Vorabend hatten Hunderte gegen das Vorgehen am Frankfurter Flughafen demonstriert.
Die Stimmung war gedrückt. Viele der Flüchtlinge waren traurig oder wütend. Babur Sedik (22) sagte, er habe vier Jahre in Deutschland verbracht, sei aber nie über Flüchtlingsheime oder Lager hinausgekommen. Er wisse nicht, wie es jetzt weitergehe. Er stammt aus der Provinz Kabul. Die ist noch vergleichsweise sicher. „Aber wenn die Sicherheitslage sich nicht verbessert und ich keine Arbeit finde, habe ich keine andere Wahl – dann muss ich wieder versuchen, zu fliehen. Oder ich muss nach Pakistan oder ein anderes Land gehen.“
Der 22-jährige Rahmat Khan, der aus der umkämpften ostafghanischen Provinz Paktia geflohen war, sagte, dorthin könne er nicht wieder zurück. Überall seien dort die Taliban. Er habe fünf Jahre in Deutschland verbracht, zuletzt als Kellner gearbeitet, habe die Sprache gelernt. „In Deutschland wollte ich an einer besseren Zukunft für meine Familie arbeiten“, sagte er. Was jetzt komme oder wohin er gehe, wisse er nicht.
Abschiebungen nach Afghanistan sind umstritten, weil es in weiten Teilen des Landes Kämpfe zwischen Regierungstruppen und radikalislamischen Talibanrebellen gibt und immer wieder zu Anschlägen kommt.
Acht der jungen Männer waren aus Bayern abgeschoben worden, wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in einer Mitteilung am Mittwochabend bestätigte. CSU-Chef Horst Seehofer begrüßte die Maßnahme. „Und ich hoffe, dass es keine einmalige Aktion ist“, sagte er in der ARD-Sondersendung „Farbe bekennen“, die am Mittwochnachmittag aufgezeichnet wurde.
Weitere Passagiere des Abschiebeflugs kamen aus Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Hamburg und dem Saarland.
„Unbarmherziges Spiel“
In Deutschland hatte die Abschiebung der Asylbewerber Proteste ausgelöst. Die nordrhein-westfälische Grünen-Politikerin Monika Düker will aus Protest ihre Funktion als flüchtlingspolitische Sprecherin der NRW-Landtagsfraktion aufgeben, wie ein Sprecher sagte.
Am Frankfurter Flughafen protestierten mehrere Hundert Demonstranten gegen die Abschiebung. Kritik kam auch von der Opposition und Nichtregierungsorganisationen wie Pro Asyl. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sprach von einem „unbarmherzigen Spiel“ von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Die Ärzteorganisation IPPNW hält die Maßnahme für unvereinbar mit der Achtung der Menschenrechte.
Das Bundesverfassungsgericht stoppte kurz vor dem Start der Chartermaschine in Frankfurt die Abschiebung eines abgelehnten Asylbewerbers nach Afghanistan. Dabei sei die Frage, ob angesichts der Lage in Afghanistan Abschiebungen verfassungsrechtlich vertretbar sind, offen gelassen worden, teilte das Gericht mit. Die Entscheidung beruhe allein auf einer Folgenabwägung. Der 29-Jährige könne auch zu einem späteren Termin abgeschoben werden, sein Asylverfahren könne er nach einer Abschiebung aber kaum noch fortführen. (Az. 2 BvR 2557/16)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“