Abschiebung im Flugzeug verhindern: Versuch gescheitert
In Helsinki versucht eine weitere Frau, durch eine Abflugblockade eine Zwangsabschiebung zu verhindern. Doch die Polizei führt sie ab.
Pennanen ist juristische Mitarbeiterin der Parlamentsfraktion von „Vihreät“, den finnischen Grünen. Mit ihrer Familie hatte sie für Dienstag Tickets für die Mittagsmaschine der „Finnair“ von Helsinki nach Berlin-Tegel gebucht. Durchs Fenster fielen ihr Polizeifahrzeuge und ein Mann in Handfesseln auf, der von vier Zivilbeamten ins Flugzeug gebracht wurde. In eine Sitzreihe bugsiert drückte ihm ein Beamter den Kopf nach unten, so dass man sein Gesicht nicht sehen konnte.
„Ich sah es als meine mitbürgerliche Pflicht an, da zu reagieren“, erklärte Aino Pennanen später gegenüber der Presse. Sie teilte der Besatzung mit, erst dann ihren Platz einnehmen zu wollen, wenn der Flugkapitän diese Abschiebeaktion stoppen würde und der für sie unbekannte Mann das Flugzeug verlassen dürfe.
Ihre Protestaktion filmte und verbreitete sie über Livestream auf ihrem Facebookaccount und setzte sie auch fort, nachdem der Flugkapitän wissen liess, er werde die Abschiebung nicht stoppen. Begründung: Von der Polizei seien ja ordnungsgemäss Flugtickets gelöst worden.
Nach einiger Zeit erschienen mehrere Polizeibeamte an Bord und forderten Pennanen auf, sich entweder zu setzen oder mit ihnen zusammen das Flugzeug zu verlassen. „Diese Person soll zwangsweise abgeschoben werden und ist möglicherweise in Lebensgefahr“, sagt sie und fordert Mitpassagiere auf, ihre Solidarität zu zeigen und ebenfalls nicht ihre Plätze einzunehmen. Das sind die letzten Worte, die man hört, bevor die Polizisten ihr das Telefon, mit dem sie gefilmt hatte, aus der Hand reissen und die Übertragung abbricht.
Aino Pennanen
Anschließend wurde sie von Bord geführt und in einem Polizeifahrzeug zurück zum Terminal gebracht. Oder in den Worten von Polizeisprecher Jan Lindström: Man habe sie „aus dem Flugzeug entfernen müssen, weil sie den Anweisungen der Besatzung nicht Folge leistete“. Der „Finnair“-Flugkapitän habe die Entscheidung getroffen und den Polizeieinsatz angefordert. Das Flugzeug startete dann mit 18-minütiger Verspätung ohne sie nach Berlin.
Gegenüber der Tageszeitung Helsingin Sanomat berichtet Pennanen, sie habe die ungeplante Aktion unternommen, „weil ich das Bedürfnis hatte, dieser Person zu helfen“ und „ich grosse Probleme in unserem Asylsystem sehe“. Dessen mangelnde Rechtssicherheit und die Zwangsabschiebungen würden von Experten seit langem kritisiert. Die Möglichkeit juristisch gegen Behördenentscheidungen vorzugehen sei massiv eingeschränkt, Prozesskostenhilfe ganz abgeschafft worden.
Sie habe im Internet das Video von Elin Ersson gesehen und sich spontan entschlossen, auch ihre Aktion zu filmen, „weil ich mir davon eine Debatte über die Schwächen unseres Asylsystems erhoffe und ein Verständnis dafür, warum Menschen dagegen protestieren“. Leider hätten die anderen Flugpassagiere nicht reagiert und sie habe dem Mann dann doch nicht helfen können.
Respektbekundungen und Beschimpfungen
Die Reaktionen auf Pennanens Facebook-Account reichen von Glückwünschen und Respektbekundungen für ihre Aktion über Boykottaufrufe gegen „Finnair“ und Kritik, sie könne anderen Reisenden nicht ihren Willen aufzwingen, bis hin zu groben Beschimpfungen. Solche Aktionen seien „eine Bedrohung der Werte unserer westlichen Gesellschaftsordnungen“ kommentiert der konservative Parlamentsabgeordnete Wille Rydman.
Touko Aalto, der Vorsitzende der finnischen Grünen zollt „der mutigen Aino“ Respekt, versichert ihr Unterstützung und twittert: „Es reicht aber nicht, wenn wir die Verteidigung von Menschenrechten der Zivilcourage Einzelner überlassen.“
Gegen Elin Ersson hat die Staatsanwaltschaft in Göteborg mittlerweile ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, in dem geprüft wird, ob sie durch ihrer Blockadeaktion Straftatbestände erfüllt hat. Ihr drohen auch Schadensersatzansprüche seitens der Fluggesellschaft und der Luftfahrtbehörde aufgrund der wegen der Flugverspätung möglicherweise verursachten Zusatzkosten. Aino Pennanen muss vermutlich mit ähnlichen rechtlichen Folgen rechnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen