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Abschiebebeobachtung in HamburgAbschiebung bleibt fies

Hamburg schiebt Mi­gran­t:in­nen trotz Suizidgefahr ab und trennt Familien. Der Jahresbericht des Flughafenforums fordert mehr Menschlichkeit.

Wer mit der türkischen Airline Freebird aus Hamburg abgeschoben wird, ist nicht frei wie ein Vogel, sondern eher vogelfrei Foto: Breuel Bild/Imago

Hamburg taz | Bei Abschiebungen werden oft psychische Belastungen ignoriert, Kinderrechte verletzt und Familien getrennt. Das macht der am Dienstag veröffentlichte Jahresbericht 2024 des Flughafenforums Hamburg zur Abschiebungsbeobachtung deutlich. Er zeigt detailliert, wo humanitäre Standards nicht eingehalten werden – und wie sich das ändern ließe.

Das unabhängige Projekt, getragen vom Diakonischen Werk und finanziert von der Innenbehörde, überwacht seit 2009 Abschiebungen und Überstellungen nach dem Dublin-Vertrag, um Grund- und Menschenrechte zu schützen. „In einem zunehmend rauen Klima ist Transparenz bei Abschiebungen essenziell“, sagt Haiko Hörnicke, Leiter des Arbeitsbereichs Migration und Internationales der Diakonie.

Seit Ende 2023 ist Merle Abel Abschiebebeobachterin in Hamburg. Stichprobenartig begleitet sie Vorgänge im Organisationsbereich der Bundespolizei am Flughafen. Abels Aufgabe ist es, problematische Situationen zu dokumentieren und quartalsweise in das Flughafenforum einzubringen, ein Gremium, dem Ver­tre­te­r:in­nen von Behörden, NGOs wie dem Flüchtlingsrat oder Amnesty International und kirchliche Akteure wie die Nordkirche angehören. Der Bericht, den Abel im Spätsommer im Innenausschuss der Bürgerschaft vorstellen wird, basiert auf der EU-Rückführungsrichtlinie, die solche Überwachungen empfiehlt. Hamburg ist einer von nur fünf Standorten in Deutschland, die ein solches Projekt umsetzen.

Fast anderthalbmal so viele Maßnahmen

Im Berichtszeitraum vom 1. März 2024 bis 28. Februar 2025 beobachtete Abel 158 Einzelmaßnahmen und 17 Sammelcharter, also gecharterte Flüge etwa nach Bagdad, Madrid oder Zagreb, mit denen mehrere Personen gleichzeitig abgeschoben werden. Von diesen beobachteten Fällen wurden 80 im Forum debattiert.

Die Zahlen spiegeln eine größere Entwicklung wider: 2024 wurden deutschlandweit 20.084 Menschen abgeschoben, 22 Prozent mehr als im Vorjahr. Über den Hamburger Flughafen fanden im Berichtszeitraum 601 „Einzelmaßnahmen“ statt, fast anderthalbmal so viele wie im Vorjahr mit 425.

Der aktuelle Bericht zeigt systematische Probleme, etwa bei der Berücksichtigung psychischer Gesundheit. Eine 38-jährige Frau mit Depressionen sollte beispielsweise nach Polen überstellt werden. Kurz vor der Abschiebung hatte sie einen Suizidversuch unternommen, doch ein Begleitarzt stufte sie als reisefähig ein, da keine akute Suizidalität vorgelegen habe.

Verband und Fesseln über tiefen Schnitten

„Ein Mann hatte tiefe Schnitte, darüber trug er einen Verband und Fesseln“, sagt Abel über einen anderen Fall, den sie beobachtet hat. „Die Wunden wurden am Flughafen versorgt – dann wurde er abgeschoben. Aus rechtlicher Sicht wurde die Abschiebung für zulässig erklärt.“ Der Bericht fordert klare Kriterien für solche Untersuchungen, eine bessere Versorgung und eine gesicherte Anschlussbehandlung im Zielland, etwa durch Medikamentenpläne.

Das Amt für Migration verweist auf taz-Anfrage darauf, dass die Reisefähigkeit nach einer Einzelfallbewertung festgestellt werde, gegebenenfalls unter ärztlicher Begleitung. „Dabei finden auch die medizinischen Versorgungsmöglichkeiten im Herkunftsland Berücksichtigung.“

Eindringlich sind die Schilderungen über Kinder und Jugendliche, deren Rechte durch Abschiebungen oft verletzt werden. Ein Fall, der im Forum heftige Diskussionen auslöste, betrifft eine alleinerziehende Mutter mit fünf Kindern im Alter von drei bis zwölf Jahren, die nach Madrid überstellt wurde. Sie weigerte sich, ins Flugzeug zu steigen, die Bundespolizei fesselte sie mit einem Gurt, während ihre Kinder in Panik gerieten. Der elfjährige Sohn versuchte, sich zu wehren, und wurde von Beamten ins Flugzeug geschoben – ein Moment, der laut den NGOs psychische Gewalt darstellt.

Familien werden auseinandergerissen

Ein weiterer Fall betrifft einen neunjährigen Jungen, der bei einer nächtlichen Abholung von seiner Mutter getrennt wurde. Bewaffnete Polizei versetzte ihn in Angst, während seine Mutter eine asthmabedingte Panikattacke erlitt, ohne dass ein Rettungswagen gerufen wurde.

Familien werden häufig auseinandergerissen. So im Fall eines Achtjährigen, dessen Mutter mit drei Geschwistern nach Madrid abgeschoben wurde. Der Vater war unauffindbar, und die Behörde vermutete, die Eltern hätten das Kind versteckt, prüfte das aber nicht. Der Junge blieb bei einer anderen Familie zurück – was laut den NGOs das Kindeswohl missachtete.

Der Bericht fordert verbindliche Standards, um sicherzustellen, dass Familien zusammenbleiben, und die Konsultation von Jugendämtern, bevor solche Maßnahmen ergriffen werden. „Die UN-Kinderrechtskonvention gilt uneingeschränkt“, betont Hörnicke. „Daher müssen nächtliche Abholungen, die Anwendung von Zwang gegen die Eltern und die Trennung von Familien gestoppt werden.“

Auch die Anwendung von Hand- oder Fußfesseln benennt der Bericht als Problem. So klagte etwa ein 50-jähriger Mann mit einem nicht operierten Leistenbruch über starke Schmerzen, wurde aber gefesselt, weil er nicht fliegen wollte. Die Fesselung nahe dem schmerzhaften Bereich war laut NGOs unverhältnismäßig, doch die Bundespolizei rechtfertigte sie mit Sicherheitsbedenken.

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3 Kommentare

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  • Die Bevölkerung will dieses harte Vorgehen, aber ob sie die Details wirklich kennt oder kennen will?

  • Abschiebungen sind sinnlos, teuer und grausam. Wir sollten darauf grundsätzlich verzichten. Viel interessanter als die gestiegene Zahl der erfolgreich durchgeführten Abschiebungen ist ja die viel höhere Zahl an gescheiterten Abschiebeversuchen. Was für eine sinnlose Verschwendung an Zeit und Geld in der Verwaltung und den ausführenden Behörden. Die Lösung für die derzeitigen Probleme mit der Migration liegt nicht in Abschiebungen sondern kann nur bei einer besseren Auswahl vor der Einreise liegen.

    • @Šarru-kīnu:

      Sie meinen so wie 2015?